Aktuelles Lexikon:Notwehr

In den USA wird der Begriff weit gefasst. Trump versucht, das zu nutzen.

Von Meredith Haaf

Es stimmt zwar, dass US-Präsident Donald Trump die tödlichen Schüsse eines bewaffneten 17-Jährigen auf zwei Demonstranten in Kenosha, Wisconsin, mit Notwehr erklärt hat. Aber der Tatbestand der self-defense hat im US-amerikanischen Recht einen aktiveren Charakter gewonnen, als es die defensiv ausgelegte "Notwehr" im Deutschen nahelegt. Dies hängt mit dem zweiten Zusatzartikel der Verfassung zusammen, der laut vielen Interpreten das Recht der Bürger, Waffen zu tragen, verbrieft und seit Jahrhunderten die Frage aufwirft, wann diese Waffen straffrei zum Einsatz kommen dürfen. Notwehr mit der Waffe galt lange nur, wenn ihr ein Rückzug des Angegriffenen vorausgegangen war. Ab den Achtzigerjahren wurde diese Einschränkung in immer mehr Bundesstaaten aufgehoben, heute gilt sie fast nirgends. Stattdessen erlauben vielerorts sogenannte "Stand-your-Ground Laws", zu Deutsch "Halte-die Stellung-Gesetze", als Eindringling empfundene Personen mit Waffengewalt abzuwehren. Könnte der Schütze von Kenosha in Wisconsin nachweisen, er habe legitimerweise um "Leib und Leben" gefürchtet, könnte das sogar zum Freispruch führen. Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Trumps Erklärung ist viel mehr als Botschaft an seine Anhänger zu verstehen, die ihr Recht auf Waffengewalt sehr ernst nehmen.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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