Aktuelles Lexikon:Fahrlässigkeit

Wo sie beginnt? Das hat schon höchste Gerichte beschäftigt.

Von Ronen Steinke

Für das, was einer 26 Jahre alten Amerikanerin in Garmisch-Partenkirchen vorgeworfen wird, gibt es in der unnachahmlichen Sprache des deutschen Rechts einen stehenden Begriff: die "Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt". So wird Fahrlässigkeit definiert. Die junge Frau soll - obwohl sie Krankheitssymptome zeigte, einen Corona-Test gemacht hatte und die Auflage hatte, bis zum Erhalt des Ergebnisses in Quarantäne zu bleiben - durch die Kneipen gezogen sein und dabei womöglich mehrere Menschen angesteckt haben. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt nun wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Juristen können argumentieren: Die "im Verkehr", also im jeweiligen sozialen Kontext, erforderliche Sorgfalt ist im Moment eines Corona-Verdachts groß. Eine Zeit lang hat es die Rechtsprechung bis hinauf zum Bundesgerichtshof intensiv beschäftigt, ob sich mit dem HI-Virus infizierte Menschen den Vorwurf der Fahrlässigkeit gefallen lassen müssten, wenn sie ungeschützten Geschlechtsverkehr haben. Seither gilt eine strenge Linie - auch schon für Menschen, die bloß einer Risikogruppe angehören. Nah ist dabei die Grenze zum sogenannten bedingten Vorsatz. Dieser beginnt dort, wo das entsprechende Risiko "billigend in Kauf" genommen wird.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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