Akteneinsicht:"Er hätte uns alle erschießen können"

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Das Blutvergießen habe er nicht gewollt, sagte Dimitri Todorov vor Gericht. (Foto: dpa/Collage: SZ)

Ein spektakulärer Bankraub mit Geiselnahme hielt ganz München Anfang der 1970er in Atem. Der SZ-Gerichtsreporter Erwin Tochtermann notierte seinerzeit die Zeugenberichte.

Diese Reportage erschien 1972 im Münchner Lokalteil der Süddeutschen Zeitung . Als "Akteneinsicht" werden in den Feiertagsausgaben der SZ Berichte über große Prozesse der vergangenen Jahrzehnte nachgedru ckt, versehen mit einer aktuellen Einordnung. Die Texte wurden in der Rechtschreibung ihrer Entstehungszeit belassen und gekürzt.

Die dramatischen Phasen des Überfalls auf die Bankfiliale in der Prinzregentenstraße vom 4. August letzten Jahres bis zu seinem blutigen Ende standen am gestrigen Donnerstag bei der Fortsetzung der Beweisaufnahme im Prozeß gegen Dimitr Todorov im Mittelpunkt. Ein freilich nicht durchwegs scharfes und widerspruchsloses Bild jener dramatischen Stunden ergab sich aus den Aussagen der Geiseln, die bis zuletzt in der Bank ausharren mußten. Immerhin bekundete eine der Zeuginnen uneingeschränkt, daß der Angeklagte nach den ersten Schüssen auf der Straße die Möglichkeit gehabt hätte, alle Geiseln zu erschießen. Elke Schmitz, deren er sich während der Schlußphase als Schutzschild bedient hatte, bestätigte das für ihre Person ebenfalls.

Was man über die Anfangsphase des Überfalls bis zur Freilassung des größeren Teils der Festgehaltenen schon am Dienstag von diesen erfahren hatte, wurde auch von den gestern gehörten Bankangestellten — Elisabeth Grottenthaler (36), Elke Schmitz (22) und Ludwig Kelnhofer (34) — sowie der als Kundin in der Bank anwesenden Verkäuferin Friederike Hohlbaum (24), die damals noch Schwind hieß, bestätigt. Von ihnen hatte allerdings niemand bemerkt, daß Todorov die Maschinenpistole durchgeladen hatte, ehe er sie seinem später erschossenen Mittäter Hans Georg Rammelmayr übergab.

Möglicherweise auch durch den Cognacgenuss sei die Stimmung lockerer geworden

Alle bekundeten übereinstimmend, daß sie mit gefesselten Händen an Stühle gebunden worden waren, mit Ausnahme des Kassiers Kelnhofer der über das Telephon die Verbindung zur Außenwelt aufrechterhalten mußte. Die Täter hatten ihnen aber erlaubt, den für den Abschied von Elke Schmitz besorgten Sekt und in der Bank vorhandenes Bier zu trinken. Nachdem Kelnhofer und Ingrid Reppel das im Tresor vorhandene Geld — rund 230 000 Mark — geholt hatten, sei mitverursacht möglicherweise auch durch Cognacgenuß, die Stimmung lockerer geworden Daß man dem Alkohol lebhaft zugesprochen habe, begründete die Zeugin Hohlbaum so. "Wir haben uns gesagt: ,Betrunken stirbt sich's leichter.'"

In dieser Stimmung kam dann auch seitens einer der Geiseln die Frage auf: "Kriegen wir auch was?" Die Räuber hatten nichts dagegen, und so bediente man sich, - mit Maßen natürlich und in der Absicht, das Geld nachher der Bank zurückzugeben, was auch geschah. Wieweit die Täter während des Überfalls mit einem oder mehreren Komplicen in Verbindung standen, wurde nicht ganz klar. Alle Zeugen bekundeten, es sei teils per Telephon, teils über ein Handfunkgerät von Todorov Verbindung nach draußen aufgenommen worden, wobei er das Wort "Winter" gebraucht habe. Ob er, der ja von der Beteiligung eines Dritten gesprochen hatte, dabei auch eine Antwort bekam, wurde jedoch nicht eindeutig geklärt. Lediglich Kelnhofer wollte etwas aus dem Hörer gehört, jedoch dabei den Eindruck gehabt haben, es handle sich um ein Tonband.

Den Höhepunkt der Tragödie schilderte Kelnhofer so. "Nachdem ich den Sack mit dem Geld und Ingrid Reppel zum Wagen gebracht hatte, kam mir der Täter mit der Maschinenpistole entgegen. Ich war unmittelbar am Eingang der Bank, als hinter mir eine furchtbare Knallerei anging. Ich wollte hinaus, mußte aber auf Befehl Todorovs die Tür abschließen. Dann sollte ich Polizeipräsident Dr. Schreiber anrufen, aber es klappte nicht. Ich flüchtete in meine Kassenbox, versuchte es nochmal, kam durch und fragte. ,Warum schießen Sie?' Ich bekam zur Antwort: ,Gehen Sie in Deckung!' Draußen tauchte Todorov mit Elke Schmitz auf, die er trotz ihres Sträubens festhielt. Ich sah von hinten einen Polizisten hereinrobben und gab ihm ein Zeichen, wo der Täter ist. Den sah ich dreimal die Hand heben und nahm an, daß er jeweils geschossen hat. Als immer mehr Polizisten hereinkamen, warf Todorov die Pistole weg."

"Ich habe nur noch auf die Geldübergabe gewartet und die Täter zu beruhigen versucht."

Elisabeth Grottenthaler, die sich nach den ersten Schüssen unter einen Schreibtisch geflüchtet hatte, berichtete, Todorov habe Elke Schmitz gepackt und gerufen. "Sie stirbt, wenn die Schießerei nicht eingestellt wird!" Das Mädchen habe geweint und gerufen, sie wolle nicht sterben. Als alles vorbei war, habe sie, die Zeugin, sich zunächst nicht herausgetraut aus Angst, es könne ihr jemand auf die Finger steigen. Auf die Frage von Elke Schmitz' Anwalt Hermann Messmer, ob Todorov, als draußen geschossen wurde, Gelegenheit gehabt hätte, die Geiseln in der Bank zu erschießen, antwortete Elisabeth Grottenthaler ohne Zögern. "Ja, ohne weiteres." Elke Schmitz, die freimütig einräumte, "mit am meisten getrunken" zu haben, begründete ihr freundliches Verhalten Todorov gegenüber so. "Ich habe nur noch auf die Geldübergabe gewartet und die Täter zu beruhigen versucht. Ich war zu meiner eigenen Sicherheit darum bemüht, mich mit Todorov gut zu stellen." Sie habe sich, als es darum ging, wer mit Rammelmayr mitfahren sollte, auch gemeldet, doch habe der Angeklagte gesagt. "Du bleibst da." Statt ihrer sei Ingrid Reppel ausgewählt worden. "Ich habe sie draußen zum erstenmal gesehen, wie sie auf dem Vordersitz saß oder sich gerade setzen wollte. Dann ist Rammelmayr raus. Als er sich gerade in den Wagen setzen wollte, krachte ein Schuß, und er sackte zusammen."

Nach ihrer Schilderung war sie darauf vom Angeklagten gepackt und vor sich hergeschoben worden. Mit ihm zusammen hatte sie sich in eine Ecke geflüchtet, aus der er mehrmals in Richtung des Fensters zur Straße geschossen hatte. "Ich bin irgendwann aufgesprungen, durch den Raum gerast und habe geschrien. ,Hört mit dem Schießen auf!' Dann bin ich aber wieder zu ihm zurück, weil es von allen Richtungen geschossen hat und ich mich in der Ecke am sichersten fühlte. Ich habe gesagt, er soll mich nicht erschießen, und er hat dann seinen Revolver weggeworfen. Darauf sind unheimlich viele Polizisten auf ihn zugelaufen und haben auf ihn losgeschlagen. Ich bin dazwischengegangen, weil ich das nicht leiden kann. Dabei habe ich auch einen Schlag abbekommen und bin ohnmächtig geworden."

Der Bericht über das Urteil am 14. Oktober:

Der Schwurgerichtssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, als dieser Urteilstenor verlesen wurde. Als sich der Vorsitzende danach anschickte, die Begründung folgen zu lassen, sorgte Todorov für einen Zwischenfall. "Muß ich mir das anhören oder kann ich gehen?", fragte er. "Es ist zweckmäßiger, wenn Sie dableiben", gab Dr. Bayrle zurück. "Ich möcht's net hören!", insistierte der Angeklagte. Darauf verlas der Richter den neuen Haftbefehl und fügte hinzu: "Sie haben ein Recht auf Anwesenheit." Darauf Todorov: "Ich verzichte darauf, besonders auf Ihre!" Nach einer Intervention des Staatsanwalts blieb er dann aber auf der Anklagebank sitzen.

Die beiden hatten zunächst 18 Personen festgehalten und zwei Millionen gefordert

Der Vorsitzende gab zunächst den Sachverhalt so wieder, wie er sich dem Schwurgericht auf Grund der Hauptverhandlung als erwiesen darstellte. Danach hatte Todorov mit Hans Georg Rammelmayr "und mindestens einem unbekannt gebliebenen Mittäter" den Überfall auf die Bankfiliale geplant und den Plan mit ersterem am 4. August in die Tat umgesetzt. Die beiden hatten zunächst 18 Personen festgehalten, davon dann sehr bald elf und im weiteren Verlauf noch zwei freigelassen, und zwei Millionen sowie freien Abzug gefordert.

Während der unbekannte Mittäter in der Prinzregentenstraße eine Sprengladung hatte hochgehen lassen, hatten die beiden Bankräuber das vorhandene Bargeld verlangt und etwa 230 000 Mark erhalten. Was geschah, nachdem der Bankkassier Ludwig Kelnhofer die inzwischen eingetroffenen zwei Millionen Mark und Ingrid Reppel ins Fluchtauto gebracht hatte, schilderte Dr. Bayerle so: "Rammelmayr kam heraus. Für diese Situation hatte die Polizei den Befehl, den Täter kampfunfähig zu schießen. Als er gerade im Begriff war, das Auto zu besteigen, fiel ein Schuß, der ihn tödlich traf. Er hatte aber noch Zeit, den schußbereiten Revolver in seiner Rechten siebenmal abzudrücken. Es lösten sich fünf Schüsse, von denen drei Ingrid Reppel trafen, davon zwei tödlich."

Nach dem ersten Schuß hätte die Polizei die Bank stürmen sollen, um die dort befindlichen Geisein zu befreien. Erst mit einiger Mühe, sei es den ersten Beamten geglückt, sich durch den Hintereingang Zutritt zu verschaffen. Als Kriminalobermeister Halser als zweiter das Gebäude betreten habe, habe er einen Schatten gesehen, sei zurückgesprungen, habe einen Schuß krachen hören und festgestellt, daß sich neben ihm ein Einschlag befand.

Polizeiobermeister Peter Kahlhammer habe ins Innere geblickt, die Hand Todorovs und einen Mündungsblitz gesehen. Der gleichfalls hineinschauende Kriminalobermeister Rudolf Trog habe direkt in die Mündung der Waffe des Angeklagten gesehen und sei zurückgewichen, worauf ein Schuß gekracht habe. Kurz darauf sei Todorov, der zuvor freiwillig den Revolver weggeworfen habe, von Kahlhammer und anderen Beamten festgenommen worden, wobei er einige Schläge mit Pistolen auf den Kopf bekommen habe.

Zur rechtlichen Würdigung führte der Vorsitzende aus, daß die Freiheitsberaubung und die schwere räuberische Erpressung schon nach den Angaben des Angeklagten feststehe. Dagegen mache dieser geltend, der Tod der Geisel sei nicht seine Schuld, und er habe in der Bank wohl geschossen, aber niemanden treffen wollen. Hinsichtlich des Todes von Ingrid Reppel habe sich das Schwurgericht nicht davon überzeugen können, daß Todorov sich eines in Mittäterschaft begangenen Mordes schuldig gemacht habe, wie es der Erste Staatsanwalt Dr. Dieter Hummel behauptet hatte. "Rammelmayr hat hier als Exzeßtäter gehandelt, wenn er überhaupt noch zurechnungsfähig war." Wohl aber sei der Angeklagte aus Fahrlässigkeit am Tod der Geisel mitschuldig.

Im Fall Trog war dagegen der von der Staatsanwaltschaft behauptete Mordversuch nach Ansicht des Gerichts erwiesen. "Der Angeklagte bestreitet nicht, daß er auf das Fenster geschossen hat, durch das die Polizei einzudringen versuchte. Er schoß einmal in Richtung auf den Zeugen Trog. Damit hat er dessen Tod billigend in Kauf genommen. Das Schwurgericht ist überzeugt, daß der Angeklagte hier mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Damit hat er sich des versuchten Mordes schuldig gemacht, weil er sich den Fluchtweg freischießen wollte, um sich der Strafverfolgung zu entziehen."

Bei der räuberischen Erpressung wurde dem Angeklagten zugute gehalten, daß er die Geiseln "im Rahmen des Möglichen anständig behandelt" habe. Erschwerend fiel aber deren Todesangst ins Gewicht, weiter Todorovs Vorstrafen wegen Eigentumsdelikten, die sorgfältige Planung der Tat und deren sich über Stunden erstreckende Ausführung wegen der darin zum Ausdruck kommenden erheblichen kriminellen Energie. Für die zusammen mit Rammelmayr begangenen Delikte verhängte das Schwurgericht zwölf Jahre Freiheitsstrafe.

Beim versuchten Mord wurden mildernde Umstände, die eine zeitliche Freiheitsstrafe ermöglicht hätten, verneint, weil sie "nicht am Platz sind". Eine Milderung nämlich, führte Dr. Bayrle aus, sei nur möglich, wenn der Täter die Möglichkeit habe, den Erfolg seines Tuns zu verhindern. Nun sei Todorov zwar nicht nachzuweisen gewesen, daß er Trog habe töten wollen. Nachdem der Schuß aber aus dem Lauf war, hätte er den Tod nicht mehr verhindern können, wenn der Zeuge noch einmal aufgetaucht und in die Schußbahn geraten wäre. So sei hier die einzig mögliche lebenslange Freiheitsstrafe verhängt worden.

© SZ vom 31.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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