Afghanistan:Helfer in Angst

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Nach einem Überfall auf einen Konvoi des Roten Kreuzes setzt die Hilfsorganisation ihre Arbeit in dem Land bis auf Weiteres aus. Hinter dem Angriff, bei dem sechs Mitarbeiter starben, vermuten örtliche Behörden die IS-Terrormiliz.

Von Tahir Chaudhry, München

Nach einem Überfall auf einen Hilfskonvoi in der nordafghanischen Provinz Dschausdschan herrscht Verunsicherung bei den Helfern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Sechs ihrer Mitarbeiter wurden getötet, zwei weitere werden vermisst. Der Hilfskonvoi, bestehend aus drei Fahrern und fünf Helfern, transportierte laut der afghanischen Regierung lebenswichtige Vorräte und Viehfutter für Bauern in einer von einem Schneesturm heimgesuchten Region. Dorthin waren die angegriffenen Mitarbeiter unterwegs, als sie beschossen wurden.

Monica Zanarelli, Leiterin des IKRK in Afghanistan, nannte die Tat "verabscheuungswürdig". Nichts könne den Mord an ihren Kollegen und Freunden rechtfertigen. Am Mittwoch hatte Zanarelli noch betont, dass es zu früh sei, um über Konsequenzen aus dem Vorfall zu sprechen. Am Donnerstag folgte dann die Entscheidung: Das IKRK stellt nach Angaben seiner Sprecher in Kabul seine Arbeit in Afghanistan bis auf Weiteres ein. Marie Claire Feghali, die Sprecherin der IKRK im Nahen- und Mittleren Osten erklärte: "Das haben wir getan, um eine tiefergehende Analyse und Aufarbeitung des schrecklichen Vorfalls zu ermöglichen." Für eine effektive Arbeit müsse die Sicherheit der Mitarbeiter gewährleistet sein, so Feghali. Hintergrund könnten auch Expertenmeinungen sein, die von einer regionalen Expansion der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgehen. Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen ist über die Ziele und das Vorgehen des IS in Afghanistan weniger bekannt, die Terrormiliz ist daher unberechenbarer für Hilfsorganisationen.

Für das Rote Kreuz mit seinen etwa 2000 Mitarbeitern im Land ist dies ein erhebliches Risiko. Seit 1988 behandelt die Organisation in Afghanistan Kriegsverletzte. Sie ist bekannt für ihre neutrale Haltung gegenüber den Taliban und anderen Konfliktparteien und genießt deshalb einen besonderen Schutzstatus.

Zwar bekannte sich zunächst keine Gruppe zu der Tat, doch die örtliche Polizei vermutet Kämpfer des IS hinter dem Überfall. Die aufständischen Taliban haben unterdessen in einer Stellungnahme jegliche Beteiligung an dem Überfall zurückgewiesen. Rahmatullah Turkistani, Polizeichef von Dschausdschan, verwies darauf, dass die Behörden die Helfer im Vorfeld gewarnt hätten, nicht in "derart gefährliche Gegenden" zu fahren. Auch der Gouverneur der Provinz, Maulawi Lotfullah Asisi, geht davon aus, dass der IS für das Attentat verantwortlich ist. Mithilfe von Stammesältesten seien die sechs Toten geborgen worden. Man versuche derzeit, die Freilassung der beiden Geiseln zu erwirken.

IS-Kämpfer wären in Dschausdschan eine Neuheit. In der Vergangenheit kam es allerdings vor, dass sich ehemalige Taliban-Kämpfer oder Kriminelle als Mitglieder der Terrormiliz ausgegeben haben oder dass sie von Regierungsbeamten fälschlich als IS-Kämpfer bezeichnet wurden. Bislang war der IS nur in Kabul und den Provinzen Nangarhar und Kunar aktiv. Sollte tatsächlich der IS den Angriff auf die Hilfsorganisation verübt haben, wäre das eine Ausweitung seiner Ziele; bisher hatte er sich auf Anschläge auf Schiiten im Land konzentriert.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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