Ägypten auf der Suche nach einem Regierungschef:Salafisten verhindern Ernennung von ElBaradei

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Wer wird ägyptischer Regierungschef? Zuerst hieß es, Übergangspräsident Mansur und die verschiedenen Gruppierungen hätten sich auf Freidensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei geeinigt, dann dementierte ein Präsidentensprecher. Offenbar gab es erheblichen Widerstand von Seiten der streng religiösen Salafisten.

Auf dem Platz, vor dem Präsidentenpalast in Kairo, so vermeldet es jedenfalls der arabische TV-Sender al-Dschasira, jubelte die Menschenmenge schon. Hupkonzerte, Feuerwerkskörper, wehende Fahnen. Die ägyptische Opposition, die sogenannte Tamarod-Bewegung, die mit ihren tagelangen Protesten maßgeblich zum Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi beigetragen hat, war zusammengekommen, um einen Erfolg zu feiern.

Mohamed ElBaradei, so hieß es am Samstagabend aus mehreren offiziellen Quellen in Kairo, sei zum Chef einer mit den "vollen Befugnissen" ausgestatteten Übergangsregierung ernannt worden. ElBaradei, 71, ausgebildet an Universitäten in Genf und New York, hat jahrzehntelang als Diplomat im Ausland gearbeitet. Der ehemalige Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträger war nach dem Sturz Hosni Mubaraks 2011 in sein Land zurückgekehrt. ElBaradei ist jetzt die Hoffnung aller liberalen Kräfte in Ägypten und auch die Hoffnung des Auslandes, wo viele ihm zutrauen, einen demokratischen Transformationsprozess zu moderieren.

Doch offenbar waren die Jubelschreie verfrüht, die Erfolgsmeldungen nicht angebracht. Denn noch in der Nacht zu Sonntag kam das Dementi, eine schon angekündigte Stellungnahme von Mansur und ElBaradei wurde wieder abgesagt. Der Sprecher von Übergangspräsident Adli Mansur betonte, es sei noch kein Regierungschef ausgewählt worden. ElBaradei sei zwar "die logische Wahl" für den Posten, aber noch nicht offiziell ernannt, so der Sprecher. Die Verhandlungen liefen noch, ElBaradei führe weiter Gespräche mit Mansur. Es gebe aber auch andere Kandidaten.

Widerstand der salafistischen Al-Nur-Partei

Offenbar ist ElBaradeis Ernennung am Widerstand der salafistischen Al-Nur-Partei gescheitert. ElBaradei, so heißt es, sei der falsche Kandidat, weil er die ägyptische Gesellschaft "zu sehr polarisieren" würde. Er sei "ein Technokrat und nicht in der Lage, die Spaltung auf den Straßen zu überwinden", sagte etwa Nader Bakkar, ein ranghohes Parteimitglied, der Nachrichtenagentur AFP. Die Al-Nur-Partei war früher mit der Muslimbruderschaft verbündet, aus der Mursi stammt. Zuletzt schloss sie sich aber der Oppositionsallianz gegen den Präsidenten an.

Ausgangspunkt für das politische Chaos war am Mittwoch die Entmachtung des seit einem Jahr amtierenden Mursi durch das Militär, das neben dem Staatschef auch etliche Führungskader seiner Muslimbrüder festsetzen ließ. Mursis Sympathisanten lieferten sich am Wochenende brutale Straßenschlachten mit ihren Gegnern und Sicherheitskräften, dabei wurden landesweit mindestens 37 Menschen getötet und mehr als 1400 verletzt. Im Sinai attackierten wütende Islamisten Regierungsgebäude und eine Gas-Pipeline und töteten einen koptischen Priester. Auch für den heutigen Sonntag sind wieder Versammlungen von Anhängern und Gegnern Mursis geplant, schreibt die Zeitung Al-Ahram online.

Die von Mansur, dem ehemaligen obersten Verfassungsrichter, geführte Übergangsregierung soll in einer möglichst rasch die von den Militärs ausgesetzte Verfassung überarbeiten und die Neuwahl von Präsident und Parlament vorbereiten. Ein konkretes Datum für Neuwahlen gibt es allerdings noch nicht.

ElBaradei wagt im Interview mit dem Spiegel trotzdem bereits eine erste Prognose für sein Land: Mit demokratischen Wahlen sei "spätestens in einem Jahr" zu rechnen, sagte er dem Nachrichtenmagazin. Gleichzeitig sendete er versöhnliche Signale an die Muslimbrüder: "Niemand darf ohne triftigen Grund vor Gericht gestellt werden. Ex-Präsident Mursi muss mit Würde behandelt werden", das sei die "Voraussetzung für eine nationale Versöhnung".

© Süddeutsche.de/AFP/Reuters/dpa/olkl/jhal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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