Abu Dhabi:Die Lizenz zur Wandlung

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Wie Father Clive in Abu Dhabi den Messwein ergattert.

Christiane Schlötzer

Es ist nicht gerade alltäglich, dass ein Priester gleich neben seinem Schreibtisch einen Safe hat, so ein richtig schweres Ding, das nur mit einer Zahlenkombination zu öffnen ist. Wenn Father Clive, den alle Clive Windebank nennen, in den Tresor greift, dann holt er ein Büchlein heraus. Das sieht aus wie ein alter deutscher Personalausweis, in dem man noch blättern konnte. Nur ist die Schrift in diesem Fall arabisch. "Meine Alkohollizenz", sagt der Kirchenmann und lacht.

Father Clive (Foto: Foto: Süddeutsche Zeitung)

Das Heftchen darf der anglikanische Geistliche nicht verlieren, denn sonst kann er keinen Gottesdienst halten, weil er keinen Wein kaufen darf. Christen in aller Welt feiern schließlich die symbolische Wandlung von Wein in "Christi Blut". Aber wo kein Wein, da auch kein Ritus. Deshalb der Safe, denn Vater Clive lebt in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.

Alkohol nur in Spezialgeschäften

Alkohol gibt es in dem islamischen Land nur in Läden mit Speziallizenz, und auch dort nur für Bürger mit dem Büchlein. Das erhalten nur Nichtmuslime. Die Gesetze in dem Golfstaat sind streng. Trunkenheit in der Öffentlichkeit wird mit Geldstrafen oder Haft geahndet. Bereits eine leere Bierdose kann als Beweisstück gelten.

Deshalb hat Father Clive die Lizenz immer dabei, wenn er seinen Messwein transportiert, wobei er sogar mehr einkaufen darf als andere Ausländer. "Ich bin ein guter Kunde", scherzt er.

In muslimischen Ländern Christ sein, das heißt: zu einer Minderheit gehören, der das Leben meist nicht leicht gemacht wird. Reverend Clive hat allerdings nicht nur einen Tresor unter dem Tisch, sondern auch einen dicht beschriebenen Stundenplan auf der Schreibunterlage. Denn die St. Andrew's Church des Clive Windebank gibt Christen von rund 60 Glaubensrichtungen Obdach: Griechisch-Orthodoxe beten neben indischen Mar-Thoma-Christen, deutsche Lutheraner neben Pfingstlern aus Ostafrika, und Kopten müssen sich mit Aramäern arrangieren.

Mosaik der Messen

Father Clive wacht über eine Art christlichen Taubenschlag. "An Weihnachten wird es besonders eng", sagt der Hüter des Gottesdienstplans. "Wenn eine Messe zu lange dauert, muss ich einschreiten. Ich sage dann, eure Zeit ist vorbei." Father Clive erzählt das gern. Als Brite ist er die leeren Kirchen in seinem Heimatland gewohnt. Den religiösen Andrang nennt er "sehr bewegend".

Das Mosaik der Messen ist ein Abbild der christlichen Geschichte - und ein Spiegel der Gesellschaften am Golf. Der Ölreichtum hat dort einen einmaligen Wirtschaftsboom geschaffen, der Menschen aus aller Welt anzieht. Islamische Traditionen und westlicher Trend stoßen hart aneinander. Auf der Corniche, der eleganten Strandpromenade, joggen am Abend Europäerinnen im schulterfreien Shirt und schlängeln sich zwischen Araberinnen in der Abaya hindurch , dem alles verhüllenden bodenlangen Mantel. Für Clive Windebank ist das ein Ausweis von Toleranz. "Christen können hier so frei sein, wie es in einem islamischen Land möglich ist", sagt er. Schon 1966, noch unter britischem Protektorat über dem Gebiet am Golf, habe seine Kirche vom damaligen Scheich ein Stück Land direkt an der Corniche erhalten.

1978 aber drängte man die Kirche, diese Immobilie in bester Lage aufzugeben, wies ihr jedoch einen Platz an weniger begehrter Stelle zu - nun direkt neben einer prominenten Moschee. Von außen ist St. Andrew's nur ein großer grauer Block, den man nicht als Gotteshaus erkennt. Im Hof empfängt lautes Vogelgezwitscher - eine Oase mit Akazienduft.

Father Clive weiß, was er für sein christliches Paradies unter Palmen tun muss. Er pflegt gute Kontakte zum Herrscherhaus und zeigt sich auf Empfängen der Emire. Dort hat er gelernt, sagt der Reverend, dass "man es schätzt, wenn wir uns zu unserem Glauben bekennen, die Muslime tun es ja auch." In Europa, bedauert der Geistliche vom Golf, werde das christliche Bekenntnis gegenüber Andersgläubigen stattdessen "häufig tief gehängt". Ein "falsches Verständnis von Toleranz" nennt er das.

Father Clive offeriert süße Kekse, die nach schottischem Shortbread und Orient zugleich schmecken. Die ägyptischen Kopten, erzählt er, bauen mit Hilfe aus Kairo nun sogar eine eigene Kirche. Der Rohbau, gleich nebenan, ist schon so hoch wie die Moschee. Das, sagt der Priester mit der Speziallizenz, hätte er persönlich nun doch nicht gewagt.

© SZ vom 24.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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