Abschiebungen:Zurück nach Deutschland?

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Vier Jahre lang streiten Behörden und Gerichte über die Abschiebung des Ex-Leibwächters von bin Laden. Dann findet sie statt - trotz Verbots. "Grob rechtswidrig", erklärt ein Gericht.

Der am Freitagmorgen nach Tunesien abgeschobene mutmaßliche frühere Leibwächter des getöteten Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden muss zurück nach Deutschland geholt werden. Dies hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Freitagabend entschieden. Die Abschiebung sei "grob rechtswidrig" und verletzte grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien, erklärte das Gericht. Sami A. müsse "unverzüglich auf Kosten der Ausländerbehörde" zurückgeholt werden. Das Flüchtlingsministerium Nordrhein-Westfalens kündigte an, zusammen mit der Ausländerbehörde Bochum Beschwerde gegen den Beschluss einzulegen. Das Gericht hatte bereits am Donnerstagabend entschieden, dass A. nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in seinem Heimatland Folter drohe. Eine verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung, dass dem nicht so sei, liege nicht vor. Der Beschluss wurde aber erst am Freitagmorgen veröffentlicht, als sich A. bereits auf dem Flug befand. Laut Gericht war zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses die Abschiebung noch nicht abgeschlossen und wäre abzubrechen gewesen. Sie sei aber "sehenden Auges" vollzogen worden. Dass der Gerichtsbeschluss über das Fortbestehen des Abschiebungsverbots den Behörden erst bekanntgegeben worden sei, als die Abschiebung bereits lief, sei laut Gericht die Schuld der Behörden. Diese hätten trotz mehrfacher Anfragen den Zeitpunkt der Abschiebung nicht mitgeteilt. Das Asylbundesamt habe im Gegenteil vor wenigen Tagen auf Anfrage mitgeteilt, dass ein ursprünglich für den 12. Juli geplanter Abschiebeflug wieder storniert worden sei, kritisierte Richter Wolfgang Thewes. Zugleich sei dem Gericht nicht mitgeteilt worden, dass am 13. Juli ein neuer Flug geplant war. "Hätten wir das gewusst, wäre der Beschluss selbstverständlich viel früher rausgegangen oder die Kammer hätte einen Zwischenbeschluss oder einen Stoppbeschluss erlassen", sagte er. Am Vormittag hatte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums die Übergabe von A. an die tunesischen Behörden bestätigt. Zuständig für alle Entscheidungen sei NRW, es habe aber engen Kontakt zwischen Bund und NRW gegeben. Innenminister Horst Seehofer (CSU), der sich regelmäßig über den Fall habe unterrichten lassen, sei nach der Übergabe des Mannes über die Rückführung informiert worden. Seehofer hatte öffentlich erklärt, er wolle sich persönlich um den Fall kümmern. Das NRW-Flüchtlingsministerium teilte mit, am 11. Juli 2018 habe die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen die Abschiebungsandrohung für rechtmäßig erachtet. Auf dieser Basis sei die Rückführung erfolgt. "Ein anderslautender Beschluss lag dem Ministerium zu diesem Zeitpunkt nicht vor." Die Anwältinnen von A. haben die deutlichen Worte des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen begrüßt. "Wenn Behörden sich über gerichtliche Entscheidungen hinwegsetzen, ist die Rechtssicherheit gefährdet", sagte eine der Juristinnen, Seda Basay-Yildiz. Dies "kennt man sonst nur aus Staaten, in denen der Rechtsstaat noch nicht so gefestigt ist".

Sami A. lebte mit Frau und Kindern in Bochum. Von den Behörden ist der 1976 geborene Mann als sogenannter Gefährder eingestuft. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2000 eine militärische und ideologische Ausbildung in einem Lager der al-Qaida in Afghanistan absolviert und zeitweise zur Leibgarde von Bin Laden gehört zu haben. Anschließend soll er sich in Deutschland als salafistischer Prediger betätigt haben. Sami A. hat die Vorwürfe bestritten.

© SZ vom 14.07.2018 / Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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