Wahl in Österreich:Das Zittern geht weiter

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Österreich hat gewählt. Was aber in anderen Ländern zum normalen Polit-Prozess gehört, wächst sich bei unserem Nachbarn zum Demokratie-Debakel aus: Die Volksparteien sind keine mehr.

G. Fischer

Es hat alles nicht geholfen. Weder die Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre - was einmalig in Europa ist -, noch die kurzfristig beschlossene Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre.

"Jetzt reicht's", dachte sich offenbar nicht nur der bisherige Vizekanzler Wilhelm Molterer (r.), sondern auch der österreichische Wähler und beförderte den ÖVP-Obmann ins politische Abseits. Jetzt geben andere den Ton an, wie BZÖ-Gründer Jörg Haider. (Foto: Foto: Reuters)

Mit der Herabsetzung des Wahlalters waren viele Jugendliche erstmals und damit exakt 6.329.568 Wähler stimmberechtigt. Die Verlängerung der Amtszeit wiederum sollte das Vertrauen der Menschen in die Planbarkeit und Gestaltungskraft von Politik stärken.

Das Wesen einer Demokratie ist allerdings der Konsens. Es ist die Fähigkeit zum Kompromiss, zum Verhandeln, zum Vermögen, unterschiedliche Standpunkte zu respektieren und sie zum Wohle der Menschen vereinen zu können. So verstanden hätte die große Koalition (SPÖ/ÖVP) das Beste sein müssen, was Österreich passieren konnte.

Das Gegenteil trat ein: Die handelnden und Verantwortung tragenden Personen stellten stets persönliche Aversionen und Antipathien, den Streit um Kompetenz und Inkompetenz einzelner Regierungsmitglieder über das Gemeinwohl. Seit der letzten österreichischen Nationalratswahl 2006 galt: Politik findet nicht mehr statt.

Wer streitet, wird bestraft

Das Ergebnis der Wahl zeigt zunächst eines: Wer streitet, wird bestraft. Das war eigentlich schon immer so - selbst im Kindergarten. Alle Politiker Österreichs aber reagierten in ihren ersten Statements nach der Wahl so, als wäre diese Erkenntnis gerade erst über sie gekommen.

Das Ergebnis zeigt aber auch: Die österreichischen Wähler haben ein längeres Gedächtnis als vermutet. Sie sind fauler Versprechen und nicht eingehaltener Zusagen überdrüssig.

Auch deswegen hat die gestrige Nationalratswahl die politische Landschaft Österreichs nachhaltig umgepflügt. Herauszufinden, wo die vermeintlich vielen Jungwählerstimmen abgeblieben sind, wird in den nächsten Tagen Sache der Wahlforscher sein.

Tatsache ist aber vor allem, dass die bisherigen Volksparteien in Österreich, die SPÖ und die ÖVP, keine mehr sind. Sie sind auf historische Tiefststände abgerutscht (29,7 Prozent beziehungsweise 25,6 Prozent).

Und das sogenannte rechte Lager, versammelt um die Freiheitliche Partei Österreichs (Heinz-Christian Straches FPÖ; 18 Prozent) und das Bündnis Zukunft Österreich (Jörg Haider, BZÖ; elf Prozent), ist - zusammengerechnet - sogar zur zweitstärksten Kraft in Österreich aufgestiegen. Womit der politische Sündenfall bevorsteht: Eine der beiden bislang großen Parteien wird mit dem rechten Lager koalieren müssen, um an der Macht zu bleiben.

Österreichische Form der Resignation

Das intellektuelle Reservebecken Österreichs wiederum, die Grünen um ihren Parteivorsitzen Alexander Van der Bellen, haben sich mit der Tatsache abgefunden, dass das Reservoir "für eine weltoffene, liberale Partei eben nicht größer ist als es ist".

Dem braven Herrn Professor Bellen jedenfalls gelang bei seiner vierten Wahl wieder das Kunststück, seine Partei stabil zu halten. Auch diesmal hielten sich die grünen Verluste in Grenzen - allerdings landeten sie auf Platz fünf, noch hinter FPÖ und BZÖ.

Angesprochen auf eine rot-schwarze Koalition unter grüner Beteiligung gab Bellen überrascht zu Protokoll: "Das war bisher noch nie ein Thema." Vielleicht ist das die österreichische Form der Resignation. Ein Modell für die Zukunft ist das nicht. Etwas mehr Wille zur Gestaltung sollte schon vorhanden sein.

"Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte", erkannte auch SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann kurz nach der Wahl. "Und in diesem Fall war der Dritte eben zwei Parteien." Er wird sich als der Politiker, der zumindest formell die Wahl gewonnen hat und den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten wird, mit der Tatsache abfinden müssen, dass im nächsten österreichischen Parlament eine rechtspopulistische Phalanx sitzen wird, die immerhin fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung zu vertreten in Anspruch nimmt.

Positive Aspekte

Sollten sich die zwei rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ dann auch noch einig werden und sich verbünden, könnte eine Regierungsverantwortung in herausragender Position der Lohn sein - ein Albtraum. Jörg Haider verwies in der TV-Runde nach der Wahl nicht zufällig auf eine bürgerliche Mehrheit rechts der Mitte. Das kenne man doch schon aus Italien, so Haider.

Kann man dieser Wahl also überhaupt etwas Positives abgewinnen? Durchaus. Immerhin wurde die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl auflagenstärkste Tageszeitung Europas, die Kronen-Zeitung, kräftig entzaubert.

Es war das Kleinformat des Verlegers Hans Dichand, das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den SPD-Kandidaten Werner Faymann zum Wahlsieger und möglichen nächsten Bundeskanzler befördern wollte. Das ist ihr nicht gelungen. Das mediale Sturmgeschütz wurde äußerst offensiv eingesetzt, seine Waffen aber verpufften und erwiesen sich als erstaunlich wirkungslos.

Und noch etwas kann als eher gutes Zeichen angesehen werden. In der ÖVP wird die obligatorische Obmann-Debatte ausbrechen - und den bisherigen Vizekanzler Wilhelm Molterer, der die Koalition mit der Gusenbauer'schen SPÖ mit den Worten "Jetzt reicht's" aufgekündigt hat, ins politische Abseits befördern.

Damit wird endlich auch der ÖVP-Schattenmann und Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel der Vergangenheit angehören. Ihm ist nicht nur die größte politische Kanzler-Lüge in der Vergangenheit der ÖVP anzulasten, auch eine weitere Geschichtslüge hat sich damit erledigt: Die Behauptung nämlich, dass Schüssel durch die Regierungsbeteiligung des Rechtsaußen Jörg Haider im Jahr 2000 dessen Wirksamkeit und Charisma zerstört habe. Selten wurde jemand in so kurzer Zeit von der Geschichte bestraft: Schüssel hat dem rechten Lager erst seine Konsolidierung ermöglicht.

"Wir wurschteln weiter"

Eine kleine Hoffnung ruht noch auf den fast zehn Prozent Wahlberechtigten - genau 9,27 Prozent -, die ihre Stimme per Wahlkarte abgeben konnten. Das kann noch einige Verschiebungen ergeben - zu wessen Gunsten, wird allerdings erst am 6. Oktober feststehen.

Die Freude vieler Menschen, es "denen da oben" durch eine Protestwahl richtig gezeigt zu haben, könnte dabei schnell verfliegen. Denn die Menschen und zukünftigen Verantwortungsträger, die durch diese Protestwahl nach oben gespült wurden, sind nach wie vor dieselben wie vor der Wahl - und sie weisen eine eindeutige Vergangenheit auf: Ob es nun die rückwärtsgewandte "ordentliche Beschäftigungspolitik" im Dritten Reich (Copyright: Jörg Haider) betrifft oder den fremdenfeindlichen Wahlkampf-Slogan "Daham statt Islam" (Copyright: Heinz-Christian Straches FPÖ) ist.

Bei der ORF-Runde am Wahlabend präferierte der SPÖ-Chef Werner Faymann erneut eine große Koalition. Der Rest erging sich in Wahlkampfrhetorik und den sattsam bekannten gegenseitigen Vorwürfen.

Ein österreichischer Kabarettist würde es wohl so formulieren: "Schon wieder. Ist etwas passiert? Wurde gewählt? Die Menschen haben etwas gegen uns? Na, die haben halt nix verstanden. Eh wurscht - wir wurschteln weiter. In Wien, in Kärnten und anderswo."

Nach der Wahl ist also vor der Wahl: Das Zittern um Österreichs Zukunft geht weiter.

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