Milosevics Tod:Vergebliches Ringen um Gerechtigkeit

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Vier Jahre dauerte der Prozess gegen Slobodan Milosevic, ein Urteil wird es nie geben: Die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte steht nun vor den Trümmern ihrer Arbeit.

Marc Hoch

Das Kriegsverbrechertribunal erlebt seine schwärzesten Tage seit der Gründung im Mai 1993. Dass das Verfahren gegen Slobodan Milosevic mit dem Aktenzeichen IT-02-54-T ohne Urteil zu Ende gehen musste, ist für alle Richter und Ankläger in Den Haag ein schwerer Schock.

Chefanklägerin Carla Del Ponte steht vor den Trümmern ihrer Arbeit. (Foto: Foto: AFP)

Der Tod des früheren serbischen Machthabers stelle für sie "eine völlige Niederlage" dar, sagte Carla Del Ponte noch am Sonntag der italienischen Zeitung La Repubblica: "Es erschien mir einfach unmöglich, dass die jahrelange Arbeit, all die Energie, die Ermittlungen, das unablässige Anrennen gegen Hindernisse umsonst gewesen sein sollen."

Wie groß ihre Enttäuschung tatsächlich sein muss, lässt sich aus ein paar Zahlen ablesen, welche die Dimension dieses gewaltigen Prozesses veranschaulichen: vier Jahre Verhandlungsdauer, acht Millionen Seiten Akten, mehr als 350 Zeugen und Zigtausende Prozessmitschriften, die vom Gericht in mehreren Sprachen ins Internet gestellt wurden. Dass ausgerechnet der Milosevic-Prozess nun ohne Generalabrechnung zu Ende gegangen ist, hat schon am Wochenende wieder die Zweifel am richtigen Zuschnitt des Verfahrens laut werden lassen.

Schuldig in 66 Punkten?

Diese Zweifel bestanden schon seit Eröffnung des Prozesses am 12.Februar 2002. Von Anfang an wurde - auch im Tribunal selber - kritisiert, dass die Anklage überfrachtet sei und das Verfahren deshalb nicht in einem überschaubaren Zeitraum beendet werden könnte. Denn Milosevic war gleich in 66 Punkten wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gar wegen Völkermords angeklagt.

Alle drei Balkankriege der neunziger Jahre, in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und im Kosovo, schloss die ehrgeizige Staatsanwältin Carla Del Ponte ein. Die Schweizerin warf dem Machthaber die Verwicklung in die Belagerung von Sarajevo während des Bosnienkriegs ebenso vor wie das Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 mehr als 7000 Menschen umgebracht wurden.

Für Kai Ambos war die Überfrachtung der Anklage "ein Fehler". Der Göttinger Völkerstrafrechtler hätte es für vernünftiger gehalten, wenn einzelne Verfahren abgetrennt worden wären. "Dann hätten wir jetzt schon einen Schuldspruch", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Zudem sei die Beweislage sehr problematisch gewesen. "Es war durchaus nicht klar, ob die Anklagebehörde mit allen Vorwürfen durchgekommen wäre", so Ambos.

"Blamage erspart geblieben"

Seine Zweifel beziehen sich vor allem auf den Tatbestand des Genozids, des Völkermords. Del Ponte war es bis zum Schluss nicht gelungen, einen hundertprozentigen Beweis für Milosevics direkte Schuld zu erbringen. "Das ist unheimlich schwierig", meint der Völkerrechtler dazu. "Man muss erst die gesamte Deportation und Vernichtung der nicht-serbischen Bevölkerung durch serbische Truppen beweisen - und dann muss man die Verantwortung die gesamte Befehlskette hinauf bis zu Milosevic belegen."

Selbst im Gericht gab es erhebliche Zweifel, ob das gelingen würde. Im Frühjahr 2004 kritisierte einer der drei Richter diesen Anklagepunkt und wollte allenfalls noch von Beihilfe zum Völkermord reden. "Vielleicht ist Carla Del Ponte eine Blamage erspart geblieben", meint Ambos.

Die Chefanklägerin wird sich die Fragen gefallen lassen müssen, warum sie das Verfahren so ausufern ließ, statt es auf wesentliche Punkte zu konzentrieren. Zwar beteuerte sie auch am Sonntag, alle Opfer hätten sich in dem Prozess wiederfinden sollen und es sei ihr um die ganze Wahrheit gegangen.

Lehren für die Zukunft

Doch der Vorwurf steht im Raum, warum sie als Staatsanwältin nicht dafür gesorgt hat, dass eines der wichtigsten Kriegsverbrecherverfahren nach 1945 rechtzeitig mit einem Schuldspruch endete. Nach Einschätzung des früheren schwedischen Ministerpräsidenten und UN-Sondergesandten für den Balkan, Carl Bildt, hat sie dem Tribunal damit "schweren Schaden zugefügt".

Viele Rechtsexperten fordern nun, dass sie aus dem Scheitern des Milosevic-Verfahrens Lehren für künftige Prozesse zieht. Gelegenheit dazu hätte sie genug, denn noch sind einige Verfahren nicht eröffnet worden. So wartet der kroatische General Ante Gotovina, der jetzt bekannteste Angeklagte im Haager Tribunal, auf seinen Prozess. Noch immer auf freiem Fuß sind die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic sowie vier weitere Serben.

Del Ponte richtete am Sonntag den dringenden Appell an Belgrad, diese zu überstellen. Bis zum Jahr 2008 muss das Tribunal alle Verfahren zumindest in erster Instanz abgeschlossen haben.Das ist die Vorgabe der Vereinten Nationen. In diesem Sommer will Del Ponte deshalb schon das Srebrenica-Verfahren eröffnen und dabei auch auf die Erkenntnisse des Milosevic-Prozesses zurückgreifen.

Unschuldig "in alle Ewigkeit"

Milosevic selber jedenfalls bleibt juristisch unbescholten. Stefan Trechsel, der Schweizer Ersatzrichter am UN-Kriegsverbrechertribunal, sagte im Schweizer Fernsehen, der Tod des Ex-Präsidenten vor einer möglichen Verurteilung bedeute, dass er unschuldig gestorben sei.

Vom juristischen Standpunkt her gelte für Milosevic "in alle Ewigkeit die Unschuldsvermutung". Welche genaue Rolle der Zerstörer Jugoslawiens während der neunziger Jahre gespielt hat, wird damit juristisch für immer ungeklärt bleiben.

© SZ vom 13.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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