Meine Presseschau:Libyen - Traum und Trauma

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Von Oliver Meiler

Alles, was in Libyen geschieht, geht den Italienern nahe, schon mal geografisch: Es trennen die beiden Länder nur einige Hundert Kilometer. Historisch: Libyen war einst eine italienische Kolonie. Wirtschaftlich: Öl und Gas kommen in großen Mengen von dort und werden von Eni gefördert, dem italienischen Energiekonzern. Emotional: Es gibt kaum eine italienische Familiengeschichte, in der nicht ein Kapitel "drüben" spielt. Und deshalb füllt nun der Krieg um Tripolis, ausgelöst durch die Offensive von General Khalifa Haftar, die Zeitungen. Alle großen Blätter haben Reporter nach Libyen geschickt.

Die Regierung in Rom allerdings schafft es erneut nicht, ihre natürliche Rolle als Mittler im Mittelmeer zu spielen. Die Onlinezeitung Linkiesta schreibt, Italien überlasse Frankreich, dem Rivalen, das Feld in Libyen. "Wir leiden an einem alten, ewigen Problem: Wir wissen nicht, wer wir sein wollen, welchen Platz wir in der Welt einnehmen möchten." Es sei ein ständiges Schwanken zwischen großer Ambition und Provinzialismus, zwischen zynischem Realismus und fahrigem Traum. "Unsere nationalen Interessen sichern wir nur, wenn wir solide auf der Weltbühne stehen."

Die liberale Zeitung Il Foglio hat sich bei Exponenten der Regierungsparteien Lega und Cinque Stelle umgehört und kommt dann in ihrer "Chronik des Deliriums" zu einem ähnlichen Schluss: "Niemand hat eine Vorstellung davon, wie es weitergehen soll. Die Verwirrung in der Regierung ist total." Erst kürzlich hatte Premier Giuseppe Conte die libyschen Konfliktparteien und einige wichtige regionale Akteure in Palermo zum Friedensgipfel versammelt, den er in der Euphorie als "historisch" beschrieb. Doch da plante Haftar schon seinen Marsch auf Tripolis, vielleicht mit dem Plazet aus Paris. "Bei uns heißt es jetzt, es sei ein Überraschungsangriff gewesen", schreibt Il Foglio. Dabei habe Rom alle Signale ignoriert und einfach tatenlos zugeschaut.

"In Libyen", schreibt Lucio Caracciolo, der Chefredakteur der geopolitischen Zeitschrift Limes, "hat Italien einen einzigen Fehler begangen, den üblichen: null Strategie." Die Italiener seien besessen von der vermeintlichen Flüchtlingskrise und verlören darüber den Sinn für das Gesamtbild. In der Kritik steht die außenpolitisch unbedarfte populistische Regierung, die sich in den vergangenen Monaten mit ihrer Zuneigung zu Russland (Lega) und China (Cinque Stelle) im Westen zusehends ins Abseits gespielt hat. Caracciolo, Italiens bekanntester Welterklärer, schreibt dazu: "Wenn wir verhindern wollen, dass die Region zur ständigen Chaoszone und zum Einflussgebiet fremder Mächte wird, sollten wir sehr schnell unsere Bande zu Washington, Berlin und Paris wieder stärken."

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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