EU:Die Suche nach der idealen Wirtschaftspolitik

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Wie können Politiker ihr Land für den globalen Wettbewerb rüsten, ohne unterwegs den Rückhalt der Bevölkerung einzubüßen? Europa muss seine Antwort auf die Globalisierung aus verschiedenen Elementen kombinieren.

Alexander Hagelüken

Letzte Meldung aus Straßburg: Europa besitzt doch einen Ratspräsidenten. Nach neuesten Erkenntnissen handelt es sich um einen 52-jährigen Mann mit festem Wohnsitz, der auf den Namen Tony Blair hört. Der britische Premier hat sich mit einer Rede vor dem EU-Parlament als Ratspräsident zurückgemeldet, nachdem er volle vier Monate von der europapolitischen Bühne verschwunden war.

Auf Schloss Hampton Court wollen die Europäer eine Antwort auf die Globalisierung finden (Foto: Foto: dpa)

Blairs Versagen ist symptomatisch für den Zustand der Union. Sein Ausfall wäre zu verkraften, verfügte die EU über genügend Persönlichkeiten, die den Weg aus der Krise weisen. Doch sie steht inzwischen nicht nur ohne Verfassung, Finanzierung und Jobs für fast 20 Millionen Menschen da, sondern auch ohne Führung.

Zum Londoner EU-Gipfel, der Europas Antwort auf die Globalisierung finden soll, reist eine matte Truppe an, die der Herausforderung ratlos bis feindlich gegenübersteht. Jacques Chirac läuft gegen polnische Handwerker und die Welthandelsrunde Amok, als seien diese Boten der Globalisierung die neuen Reiter der Apokalypse. Silvio Berlusconi versucht seine Haut durch Polemik gegen den Euro zu retten, auch wenn die Gemeinschaftswährung Italien Wachstum durch niedrige Zinsen beschert. Und Gerhard Schröder begann in Deutschland mit mutigen Reformen, die der Wähler nicht honorierte.

Wie können Politiker ihr Land für den globalen Wettbewerb rüsten, ohne unterwegs den Rückhalt der Bevölkerung einzubüßen? Diese Kernfrage der Gipfelrunde auf Schloss Hampton Court weiß keiner der Herren Regierungschefs klar zu beantworten. Doch dieses Defizit bietet auch eine Chance: Weil keiner über ein Patentrezept verfügt, könnten alle beginnen, gemeinsam an der wirtschaftlichen Erneuerung zu arbeiten und aufhören, sich gegenseitig zu belehren.

Wirtschaftsmodell aus verschiedenen Bausteinen

Europa muss seine Antwort auf die Globalisierung aus verschiedenen Elementen kombinieren, die keine Regierung komplett in ihrem Instrumentenkasten hat. Von den Skandinaviern lässt sich lernen, auf Informationstechnologie zu setzen und Arbeit durch steuerfinanzierte Sozialsysteme zu verbilligen. Die Deutschen sind Exportweltmeister und verfügen über einen innovativen Mittelstand. Und die Briten sparen Staatsmittel für sterbende Industrien und ziehen bereitwillig in Regionen um, in denen Jobs vorhanden sind.

Wenn Europa sein Wirtschaftsmodell aus solchen Bausteinen zusammensetzt, sichert es seinen Wohlstand, ohne die soziale Kälte der USA zu importieren. Leider sind die Aussichten gering, dass Hampton Court zum Ort eines Aufbruchs wird. Die Verunsicherung der Bürger durch die Globalisierung versetzt viele Politiker in Panik, anstatt sie zum Handeln zu ermutigen.

Angeführt von Frankreich klammern sich zahlreiche Regierungschefs an das Überkommene. Sie wollen Dienstleister europäischer Nachbarstaaten an den Grenzen stoppen, als sei die EU kein gemeinsamer Markt. Sie beharren auf hohen Agrarsubventionen im Brüssler Etat, so dass Europa den Anschluss bei Forschung und Innovation verliert. Und sie schirmen ihre Bauern derart gegen Konkurrenz aus der Dritten Welt ab, dass jenes Welthandelsabkommen gefährdet ist, das dem Erdball ein Billionen-Euro-Konjunkturprogramm verheißt. Angeblich dient der xenophobe Protektionismus dem Schutz eines sozialen Europa. Das Gegenteil ist der Fall: Schottet sich der Kontinent ab und blockiert Reformen, werden ihm bald die Jobs und die Einnahmen fehlen, um den Schutz der Schwachen zu finanzieren.

Wenn Europa die Erneuerung verweigert, zementiert es seine Krise. Nur wenn die EU-Regierungen durch Modernisierung die Massenarbeitslosigkeit verringern, verlieren auch Europas Bürger wieder ihre Ängste und werden offener - ob für neue EU-Mitglieder oder mehr Integration. Die Regierungschefs haben es auf Schloss Hampton Court in der Hand.

© SZ vom 27.10.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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