Zahnspangen-Gutachten:Statussymbol: Schönes Lächeln

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Roberto Firmino beim Torjubel im Dezember 2018: Er ist einer der besten Fußballer der Welt und hat inzwischen die vermutlich weißesten Zähne des Planeten. (Foto: Paul Ellis/AFP)

Schiefe Zähne haben nur die Armen, so das Klischee. Wer wie Profifußballer Geld hat, lässt sie sich richten. Nur was, wenn die Kassen keine Zahnspangen mehr zahlen? Werden Zähne noch wichtiger als Zeichen der Klassenzugehörigkeit?

Von Moritz Geier

Das Märchen vom kleinen Roberto mit den krummen Zähnen ist eines von sehr brasilianischem Zuschnitt und es beginnt auch noch mit Kokosnüssen. Die Früchte verkauft jener Roberto am Strand seiner Heimatstadt Maceió im Bundesstaat Alagoas, ein schmächtiger Junge mit einem großen Traum. Er will einmal ein Star werden, um seiner Familie ein anderes Leben zu ermöglichen.

Der Kokosnussverkäufer mit den krummen Zähnen ist heute einer der besten Fußballer der Welt, angestellt beim FC Liverpool in England. Sein Name ist Roberto Firmino, schon lange ist er nicht mehr schmächtig und schon lange sind seine Zähne nicht mehr krumm. Ach was, er besitzt, das muss mal gesagt sein, die geradesten und weißesten Zähne des Planeten. Schießt er ein Tor, leuchtet sein Lachen derart sonnengleich, dass man sich selbst zu Hause vor dem Bildschirm am Strand von Maceió wähnt.

In der Geschichte von Firminos märchenhaftem Aufstieg steckt eine Parabel, die Gleichung nämlich, dass schlechte Zähne für Armut und schöne für Wohlstand stehen. Wer Geld hat, lässt sich die Zähne richten, man kennt das von deutschen Prominenten, mehr noch von englischen und amerikanischen. Eine Karriere in Hollywood scheint ohne kleinere Weißelarbeiten (Emma Watson), mittlere Renovierungsmaßnahmen (Morgan Freeman) oder eine ordentliche Komplettsanierung (Tom Cruise, Demi Moore) kaum möglich.

Schönes Gebiss
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Nun hat in Deutschland auch noch ein Gutachten den medizinischen Nutzen von Zahnspangen infrage gestellt (nicht den ästhetischen wohlgemerkt) und damit auch deren Finanzierung durch die Krankenkassen. Die leidvolle Kindheits- und Jugenderfahrung könnte also bald nur noch dem Nachwuchs wohlhabender Eltern drohen, die sich die rein dentalästhetische Behandlung leisten können.

Später dürfen sie sich dann über Zähne freuen, die sie vom Durchschnitt abheben. Kommt es jetzt so, dass der Zahn zum Kennzeichen wird, zur optischen Manifestation sozialer Ungleichheit? Zum neuen Statussymbol?

Zähne haben eine besondere Bedeutung für das Erscheinungsbild eines Menschen, sie liegen an exponierter Stelle. Wer einem Menschen begegnet, blickt ihm innerhalb von Sekunden auf den Mund. Und nichts, sagt man, macht einen Menschen schöner als sein Lächeln. Der Zahnmedizinpsychologe Tim Newton vom Londoner King's College hat Probanden in einem Experiment einmal verschiedene Versionen von Porträtfotos gezeigt.

Bei einer Version waren die Zähne der gezeigten Personen natürlich belassen, bei einer per Bildbearbeitung gebleicht, und bei einer dritten waren Anzeichen von Fäulnis zu erkennen. Die Probanden sollten Psyche, Intelligenz und soziale Kompetenz der Personen bewerten. Newtons Vermutung: Menschen ziehen Natürlichkeit vor. Die Probanden jedoch vergaben die Bestnoten an die digital überarbeiteten, weißen Zähne.

Vielleicht sind lückenlose, gerade und weiße Zahnreihen für das ästhetische Empfinden auch deshalb so wichtig, weil das Gegenteil derart negativ behaftet ist. Schlechte Zähne stehen für Krankheit und Verfall. Nicht umsonst hat Thomas Mann in seinen "Buddenbrooks" das Motiv des kranken Zahns gewählt, um damit durchgängig den Niedergang der Handelsfamilie zu symbolisieren.

Auch wenn der Mensch versucht, sich das Böse vorzustellen, sind Zahnlücken schon einmal ein guter Anfang. Die Graien zum Beispiel, Ungeheuer der griechischen Mythologie, teilen sich ein Auge und einen Zahn, den sie sich bei Bedarf gegenseitig überlassen. Und der wohl berühmteste aller James-Bond-Schurken, der Beißer, ist zahntechnisch so ziemlich das exakte Gegenteil von Strahlemann Roberto Firmino.

Was bleibt zu sagen zur Rettung des schiefen Zahns? Auf jeden Fall hat ein Konsens der Attraktivitätsforschung trotz Newtons Studie weiterhin Bestand, er gilt nicht nur für Körper und Gesicht, sondern auch für Zahnreihen im Speziellen: Perfekt ist nicht am schönsten. Oft sind es ja genau jene Abweichungen von der idealen Symmetrie, die einen Menschen anziehend machen. Individuelle Zahnstellung kann charismatisch wirken, Ausdruck der Persönlichkeit sein.

Lächeln mit geschlossenem Mund

Ein paar Beispiele gibt es noch, die Lücke zwischen den Schneidezähnen zum Beispiel. Madonna blieb lange standhaft (hat sie mittlerweile aber auch verkleinern lassen), Willem Dafoe ist standhaft geblieben (Muss er deswegen immer den Bösewicht spielen?). Die seriösen unter den Zahnärzten raten übrigens von allzu übertriebenen Generalüberholungen ab. Und wem das als Verteidigung natürlicher Gebisse noch nicht reicht, dem sei ein Trick ans Herz gelegt, den die meisten Porträtierten der Kunstgeschichte angewandt haben und der der Mona Lisa die geheimnisvolle Aura beschert: das Lächeln mit geschlossenem Mund.

Roberto Firmino hat beim FC Liverpool nichtsdestotrotz einen Trend ausgelöst, Mannschaftskameraden und auch sein deutscher Trainer Jürgen Klopp haben zuletzt den gleichen Liverpooler Zahnarzt aufgesucht. Die weißen Zähne Firminos sind längst - zu was der Fußballfan bekanntlich neigt, um Außergewöhnliches zu würdigen -, in den sogenannten Kultstatus erhoben worden. Die Fans feiern ihn, einer hat sogar ein Lied geschrieben und auf Youtube hinterlassen: "His teeth get whiter day by day".

Und dann kursiert da ja noch diese Anekdote.

Vor ein paar Jahren war im Daily Mirror die Geschichte von Marcellus Portella zu lesen, jenem Mann, der den schmächtigen Roberto mit den krummen Zähnen einst in Maceió entdeckte. Anderen waren das Talent, die Dribbel- und Passfähigkeiten des kleinen Roberto nicht aufgefallen, er aber prophezeite ihm eine große Karriere und brachte ihn bei einem brasilianischen Profiverein unter - und das, obwohl er selbst kein professioneller Scout oder Trainer ist.

Marcellus Portella, kein Scherz, ist Zahnarzt.

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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