Wohnen neben dem Kraftwerk:Atomkraft, ja bitte

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Der Alltag im Schatten eines umstrittenen Pannenreaktors - ein Stimmungsbild aus dem 14.000-Einwohner-Ort Brunsbüttel.

Roman Deininger

Nach Brunsbüttel findet nur eine überschaubare Zahl von Touristen, und dennoch ist es dieser Tage schwer, in der 14.000-Einwohner-Stadt an der Elbmündung ein Zimmer zu bekommen. Es ist das Kernkraftwerk, das Hotels und Pensionen füllt.

Rissige Armaturen, fehlerhafte Dübel: Das AKW Brunsbüttel, seit über einem Jahr vom Netz, soll bald wieder Strom liefern. (Foto: Foto: AP)

Der von Vattenfall betriebene Meiler gilt als Pannenreaktor, seit den jüngsten meldepflichtigen Zwischenfällen im Juni 2007 steht er still. Für die Revisionsarbeiten sind mehr als 1500 Fachkräfte in der Stadt - und allen Geschäftsleuten herzlich willkommen. 330 Menschen arbeiten regulär im Kraftwerk, mindestens noch mal so viele in Handwerks- und Zulieferbetrieben.

Angst, sagt der parteilose Bürgermeister Wilfried Hansen, hätten die meisten Brunsbütteler nicht vor einem GAU - sondern vor dem Atomausstieg. Die Reststrommenge, die dem alten Siedewasserreaktor laut Atomkonsens zusteht, hätte eigentlich 2009 aufgebraucht sein sollen. Nun sieht es so aus, als könnte der Reaktor nach seiner Wiederinbetriebnahme bis ins Jahr 2010 laufen - und vielleicht noch darüber hinaus.

Die Bundespolitik diskutiert über den Ausstieg vom Atomausstieg, und Brunsbüttel wäre direkt betroffen. Die Ratsversammlung hat kürzlich mit 90 Prozent Zustimmung eine Resolution verabschiedet, die eine längere Laufzeit für den Reaktor fordert. "Die Angst vor einem Kernkraftwerk", glaubt Hansen, "wird größer, je weiter die Leute davon entfernt leben."

Ein Stimmungsbild.

Auf Seite 2 AKW-Mitarbeiter Kurt Frisch, der die Mängel nach den Zwischenfällen abarbeiten muss

Es ist pervers, anderen Angst zu machen

Windkraftanlage in der Nähe von Brunsbüttel: "Die Dinger liefern ja nur in zwei Monaten im Jahr richtig Strom." (Foto: Foto: dpa)

Knut Frisch, 56, gibt eine Führung durch das Kernkraftwerk Brunsbüttel, im Grunde ist es eine Beweisführung. "Wenn hier auf der Zufahrtsstraße in einer Laterne eine Glühbirne durchbrennt, tun manche Leute ja schon so, als wäre das ein Störfall."

Frisch schaut den Gast lange an, immer mit einem Lächeln im Gesicht, und er freut sich jedes Mal, wenn man zurücklächelt. Der Reaktor erhebt sich direkt an der Elbe, und tatsächlich fühlt man sich in seinem Inneren wie im Maschinenraum eines Ozeanriesen. Aus einem kleinen Fenster blickt man auf grüne Wiesen und einige Windkraftanlagen.

"800 von denen bräuchte man theoretisch, um ein Kernkraftwerk zu ersetzen", sagt Frisch, aber diese Rechnung gehe sowieso nicht auf: "Die Dinger liefern ja nur in zwei Monaten im Jahr richtig Strom."

Frisch ist Revisionsplaner im Kraftwerk Brunsbüttel, er hat die Mängel abzuarbeiten, die nach den Zwischenfällen im vergangenen Jahr entdeckt wurden. Es geht um Dübel, die ein paar Millimeter tiefer in die Wand müssen, und um Armaturen, in denen sich winzige Risse gebildet haben.

"Das ist nichts", sagt Frisch und dreht an einer Schraube: "Es ist doch pervers, wenn manche Leute so etwas missbrauchen, um anderen Angst zu machen." Frisch zieht einen weißen Schutzkittel und Überschuhe mit gelben Noppen an. Hinter mehreren Sicherheitsschleusen liegt tiefblau das Lagerbecken für die Brennelemente. "Völlig sicher", sagt er, und fügt hinzu, dass nachts die Sonne ja auch nicht scheint. Und dass der Wind nicht immer weht - und Kohle Dreck macht.

"Wir haben uns innerlich arrangiert"

Es ist schon ein paar Mal vorgekommen, dass Münchner Freunde bei Silke und Dietrich Wienecke in Brunsbüttel angerufen und mit sorgenvoller Stimme gefragt haben: Was ist denn bei euch im Reaktor wieder los, habt ihr die Koffer schon gepackt?

Silke Wienecke lächelt verlegen: "Wir wissen dann immer gar nicht, wovon die reden." Man bekomme vom Kraftwerk im Alltag einfach nichts mit, und von Problemen lese man selbst nur in der Zeitung. Früher, sagt Silke Wienecke, 38, habe ihr schon bei dem Gedanken gegraust, in der Nähe eines Kernkraftwerks zu wohnen.

Dann hat sie das Leben vor sechs Jahren hierher verschlagen, mit ihrem Mann Dietrich führt sie eine Buchhandlung, die einzige am Ort: "Wir sind weiter zwiegespalten, aber innerlich haben wir uns irgendwie arrangiert." Das täten hier viele, sagt Dietrich Wienecke, 39, "weil der konkrete Nutzen viel größer ist als die abstrakte Gefahr".

Das Kraftwerk gehöre zu seinen besten Kunden, jede Woche gehe ein ganzer Stapel technische Fachliteratur über die Ladentheke. Vor allem aber habe er Vertrauen in die Menschen, die im Reaktor arbeiten: "Die kennen wir ja alle, denen vertrauen wir." Einige, weiß er, hätten gar Greenpeace-Bücher im Regal.

Auf Seite 3 erklärt der Pastor, welche Sorgen die Gemeindemitglieder haben

"Wes Brot ich ess, des Lied ich sing"

In seinem blauen Surfer-T-Shirt sieht Jochen Driesnack nicht aus, wie man das von einem Pastor erwartet, und er redet auch nicht so salbungsvoll. Nur ab und an schleicht sich eine kleine Wendung ein, die dem Klischee entspricht: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", sagt der 50-Jährige, er spricht über die Menschen in Brunsbüttel und ihre Haltung zum Kernkraftwerk.

Er zuckt mit den Schultern, für einen Moment wirkt er resigniert. Doch dann betont er rasch, dass er niemanden verurteile. Dass er, im Gegenteil, dieses Denken gut verstehe: "Die Leute, die im Reaktor arbeiten, müssen eine Familie ernähren."

Viele seiner Gemeindemitglieder, berichtet der Pastor, hätten seit dem Atomkonsens echte Zukunftsangst: "Die haben doch alle erwartet, dass sie im Kernkraftwerk in Rente gehen können." Die Diskussion über den Ausstieg vom Atomausstieg sei für sie ein "Hoffnungsschimmer": "Die meisten hier wollen, dass es mit dem Kraftwerk weitergeht."

Und er merke ja selbst, wie wichtig der Reaktor für die Stadt sei: Mit der Seemannsmission sei er stets auf der Suche nach Jobs für Bedürftige, und am häufigsten ergebe sich etwas im Einzugsbereich des Meilers, zum Beispiel, wenn ein Handwerksbetrieb zwei Hände zusätzlich braucht für eine dringende Reparatur.

"Der kleine Mann will Arbeit", sagt der Pastor, und was der kleine Mann noch wolle, sei Frieden. Deshalb sei er froh, dass sich Befürworter und Gegner des Kernkraftwerks höflich begegnen. Und wo steht er selbst? Ein Pastor, sagt Jochen Driesnack, müsse immer dort sein, wo seine Gemeindemitglieder sind. Und auf Anti-Atom-Demonstrationen seien die nicht.

"Sonst geht der Albtraum weiter"

Anke Dreckmann, 65, ist früher als Lotsin zur See gefahren, war zuhause auf allen Meeren dieser Erde. "Mich hat so schnell nichts geschreckt", sagt sie, und man glaubt es ihr sofort. 1986 musste sie dann doch noch lernen, was Furcht ist - durch Tschernobyl.

"Auf einmal hatte ich Angst. Auf einmal war da eine Gefahr, die mich hat schaudern lassen." Erst hat sie versucht, sich zu wappnen, im Keller zwei Säcke Milchpulver eingelagert. Dann hat sie begonnen zu kämpfen, sich, wenn es sein musste, auch allein vor das Kernkraftwerk gestellt mit einem selbst bemalten Protestplakat in den Händen.

Von manchen in der Stadt wird sie belächelt dafür, aber das stört sie nicht: "Einer muss ja was tun." Sicher, sagt sie, die Frustration sei gewachsen mit den Jahren und "mit jedem Zwischenfall im Reaktor, der die Leute gar nicht interessiert hat".

Keiner habe ihr zuhören wollen, als sie eine Häufung der Krebsfälle in der Region vermutete. Doch die Kommunalwahl im Mai habe ihr neue Zuversicht gegeben: 20 Prozent der Stimmen erhielt da die "Wählerinitiative für reelle Politik", beinahe hätte sie es selbst zur Ratsfrau geschafft.

Jetzt wolle sie alles daran setzen, dass die Laufzeit des Reaktors nicht verlängert werde: "Sonst geht der Albtraum weiter." Sie kenne die Leute, die im Kraftwerk arbeiten, sagt Dreckmann, viele möge sie. Aber Menschen seien fehlbar, und Fehler in der Atomkraft tödlich. Die zwei Säcke Milchpulver hat sie immer noch im Keller.

Auf Seite 3 erklärt ein Brunsbütteler SPD-Politiker, warum er für Kernkraft ist

Die Zeiten sind rosig hier

Willi Malerius, 62, reicht die Lokalzeitung vom 11. Juli. Ganz oben auf der Titelseite steht: "Brunsbütteler SPD ärgert Parteispitze". Darunter ein Foto: Willi Malerius, trotzig, stolz, keck.

Das ist der Malerius-Blick, er trägt ihn auch jetzt, auf der kleinen weißen Holzbank auf seiner Terrasse. Und natürlich hatte er ihn auch vor der ARD-Kamera aufgesetzt, als der SPD-Fraktionschef in der Brunsbütteler Ratsversammlung erklärte, dass er - Malerius - für eine längere Laufzeit des Kernkraftwerks sei, und gegebenenfalls für den Bau eines neuen.

"Die Zeiten sind rosig hier", sagt er, "und das sollen sie auch bleiben". Ob man sich vorstellen könne, was allein der Ausfall an Gewerbesteuer bedeuten würde: Das Kulturzentrum Elbeforum wäre dann kaum zu halten. Ein Hallenbad müsste schließen, und Schüler vielleicht für Bücher bezahlen.

"Wir machen Politik für Brunsbüttel, ganz pragmatisch, nicht ideologisch." Er sehe sich nicht als Rebell, versichert er, aber er hört sich an wie einer. "Wir stehen zu unserer Überzeugung", sagt er mit der Zeitung in der Hand, "da kann sich Kurt Beck auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln".

"In der Schule wirst du schief angeschaut"

Das Wort Kernkraft, sagt Maria Manowsky, benutze sie nicht. Aus Prinzip. Sie sage Atomkraft, das klinge nach Bombe und Gefahr, und genau so solle es auch klingen.

Maria Manowsky ist 20, Abiturientin, sie trägt einen Ring in der Nase und bekommt jedes Mal aufs Neue Angst, wenn sie am Kernkraftwerk vorbeifährt. Maria Manowsky fühlt sich ziemlich allein in Brunsbüttel.

"In der Schule wirst du von den anderen schief angeschaut, wenn du kritisch bist", sagt sie in einer Eisdiele in der Koogstraße. "Kein Revolutionsgeist, das ist doch nicht normal. Aber die Kinder werden hier so großgezogen."

Viele Eltern arbeiteten im Kraftwerk, und wenn nicht die Eltern, dann der Onkel, und wenn nicht der Onkel, dann der Nachbar. Ihre Eltern, sagt Manowsky, seien schon immer strikt gegen Kernkraft gewesen, egal was Onkel sagen oder Nachbarn: "Aus so einer Familie komme ich dann schon."

Sie selbst sei ein paar Mal zu einer Demo gegangen, da seien dann nur eine Handvoll Leute gewesen, und fast alle mindestens dreißig Jahre älter als sie. Irgendwann ist auch sie zu Hause geblieben.

© SZ vom 02.08.2008/imm/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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