Wenn der Tiger ausgerottet ist, wird Indien das schönste Stück seiner Fauna verloren haben", warnte Jim Corbett einmal. Der legendäre britische Tigerexperte, der sich im Lauf seines Lebens vom Großwildjäger zum Tierschützer wandelte, hätte wohl trotzdem kaum damit gerechnet, dass seine schlimmsten Befürchtungen Realität werden könnten. Als Corbett 1907 seine Jagd auf die als Menschenfresser verschrieenen Tiere begann, lebten Schätzungen zufolge noch 40 000 bengalische Tiger im indischen Dschungel. Heute geht die indische Regierung offiziell von knapp 4000 Exemplaren aus. Indische Tierschützer glauben jedoch, dass selbst diese Angaben geschönt sind. Mit einer geschätzten Höchstzahl von 1500 Tieren, verstreut auf mehr als 20 Reservate, so befürchten sie, stehen die Bestände des Königstigers auf dem Subkontinent vor dem Kollaps.
Stärke als Schwäche: Der Tiger ist vor allem Lieferant für Potenzmittel.
(Foto: Foto: dpa)Die Zahlen sind längst zum Politikum geworden, um das heftig gestritten wird - Kritiker werfen dem Land vor, den Tigerschutz völlig verschlafen zu haben. Derzeit versucht die indische Regierung, sich mit der methodisch exaktesten Tigerzählung seit Jahrzehnten einen Überblick über die Misere zu verschaffen, die Premier Mammohan Singh "die größte Krise unseres Tierschutzmanagements" nannte. Eigentlich sollte das Ergebnis im Juni vorliegen, nun rechnet man frühestens im Dezember mit ersten Zahlen. "Die Zählung wird nicht kommentiert. Sie ist sehr kompliziert, wir wollen sicher gehen, dass alles stimmt - und das dauert", sagt Tariq Aziz, Artenschutzkoordinator des World Wildlife Funds (WWF) in Delhi.
Tigerprodukte als Potenzmittel
Beim WWF Deutschland geht man davon aus, dass heute nur noch knapp 2000 Tiere auf dem Subkontinent leben. Bevölkerungsexplosion und Siedlungswachstum hätten den Lebensraum der Tiere dramatisch verringert, das mit Abstand größte Problem jedoch sei die ausufernde Wilderei in den Naturparks. "Die Reservate in Indien sind in den vergangenen 15 Jahren regelrecht leer gewildert worden", sagt Stefan Ziegler, Artenschutzexperte beim WWF in Frankfurt. In der traditionellen chinesischen Medizin wird Tigerprodukten vor allem eine potenzfördernde Wirkung zugeschrieben.
Der illegale Markt mit Pillen, Salben und Tinkturen aus Knochen und Organen boomt in ganz Südostasien. Mafiaähnlich organisierte Banden arbeiten bei der Tigerjagd oft mit korrupten Wildhütern zusammen und lassen die Kadaver über Nepal nach China schaffen. "Bis zu 3000 Dollar bringt einem Wilderer ein toter Tiger auf dem Schwarzmarkt", sagt Ziegler. Um die Korruption in den Nationalparks zu beenden, müsse man Wildhütern mehr bezahlen als die bisher 120 Dollar im Monat, doch dafür fehle der indischen Regierung das Geld, sagt der Artenschützer.