Wilde Bärenjagd in Bayern und Tirol:Bruno und die falschen Fährten

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Seit Wochen herrscht Raubtier-Alarm, die Büchsen werden gespannt - dabei könnte man in Kärnten viel lernen über den Bären und auch den Menschen.

Karin Steinberger

Vielleicht muss man die Geschichte über Bruno den Bären an einem Ort beginnen, der von Bruno dem Bären möglichst weit entfernt ist. Am Weißensee zum Beispiel, weit unten im Süden von Österreich, schon fast in Italien. Dort steht Hans-Peter Sorger, einen langen Stock in der Hand, einen Hut auf dem Kopf, ein bisschen wie Crocodile Dundee. Mitten in Kärnten. Auf seiner Jacke steht "Bear Specialist Group" und auf seinem Hut ist ein Band, das aussieht wie Schlangenhaut. "Es ist ein irres Kasperltheater", sagt Hans-Peter Sorger.

In Kärnten hat niemand ein Problem mit den Wildtieren (Foto: Foto: SZ)

Man kann sich denken, worum es geht.

Dann schmeißt er Hut und Stock ins Auto und fährt die kurvige Forststraße hinauf auf die Hermagorer Bodenalm. Auf der Alm sitzen ein paar Touristen mit zusammenschiebbaren Spazierstöcken und zartrosa Oberarmen. Und in der Stube erzählt die 23-jährige Pächterstochter Sandra Zobernig von dem Bären, der ihr und dem Vater die Äpfel geklaut hat. Acht Jahre war sie damals alt, als er den Schuppen aufbrach, ein paar Meter nur vom Haus entfernt, und zwanzig Säcke in den Wald schleppte, einen nach dem anderen. "Weil der Bär den Apfel liebt", sagt Sorger und trinkt seinen Schnaps. "Da draußen war er gestanden", sagt Sandra Zobernig, zeigt aus dem Fenster, über die Touristenoberarme hinweg zur Almwiese und lächelt, als sie das Wort Problembär hört. Sie bringen ihre Äpfel jetzt immer gleich runter von der Alm. Mehr ist nicht zu tun. Der Bär ist noch immer da, aber er schlägt ihnen die Tür nicht mehr ein.

Sie verstehen hier nicht, was das Problem ist in Tirol und Bayern.

Bruno, der Halbstarke

Am Weißensee leben die Menschen schon lange mit den Bären zusammen. Sorger sagt, hier im Grenzgebiet seien die Bären nie wirklich weg gewesen, es war immer Bärendurchzugsgebiet. Sie kamen herüber aus Italien und Slowenien. Lauter Grenzgänger, einige von ihnen schon knapp am Problembär, jung, neugierig, unvorsichtig, keck und gefährlich zutraulich, Pioniertypen - wie Bruno. Wenn es solche Typen nicht gäbe, sagt Hans-Peter Sorger, wäre nach der Ausrottung wohl nie wieder ein Bär bis in die Steiermark gekommen. Und wenn man jeden mit ein bisschen Pioniergeist in Zukunft gleich abknalle, dann brauche man nicht von einem Wiederansiedlungsprogramm für Bären reden. Hans-Peter Sorger glaubt an die natürliche Zuwanderung. Wie hier in der Gegend, wo 1991 mindestens acht Bären unterwegs gewesen seien, heute sind es weniger.

Aber sie sind da.

Sie haben hier schon ihre Erfahrungen mit Jungbären wie Bruno gemacht: geländegängig und frech. Das was Experten vom World Wide Fund for Nature (WWF) und Politiker jetzt Problembär nennen, nennt Sorger einen Halbstarken. Er kennt diese Typen, von der Mutter schlecht erzogen, dann verscheucht, plötzlich auf sich selbst gestellt, ziehen sie los. Da sei Bruno alias JJ1 keine Ausnahme. Und damit eines gleich klar ist, ein Bär, der jemanden verletzt hat, der gehört weg. "Für mich steht der Mensch immer im Vordergrund", sagt Sorger. "Aber so kann der Bruno jetzt doch gar kein Revier finden." Und noch etwas, im Beuteschema des Bären sei der Mensch nicht enthalten. Hans-Peter Sorger kennt seine Halbstarken, irgendwann gehe bei jedem von ihnen plötzlich der Knopf auf, dann sei es mit einem Schlag vorbei. "Dann bist froh, wennst einmal eine Losung von ihm siehst."

Die Menschen haben gelernt, mit Bären umzugehen

Zeit brauche der Bär, bis er sich in einer neuen Gegend zurechtfinde, bis er wisse, wo die Himbeeren wachsen und die Bucheckern, wo die im Frühling verdaubaren Gräser zu finden sind und die eiweißhaltigen Ameisenhaufen. Solange ein Bär das nicht wüsste, bliebe ihm gar nichts anderes übrig als Schuppen auszuräumen, Vieh zu zerlegen, Bienenstöcke zu verschlingen. Der Bär hat Hunger, sagt Hans-Peter Sorger. "Wenn die aus ihrem Bau rauskommen, monatelang abgemagert. Die müssen hart arbeiten im Frühling. Mit so kleinen Insekten geben sie sich ab", sagt er, zeigt auf eine Spinne am Boden. Eine sehr kleine Spinne.

Die Menschen am Weißensee akzeptieren das. Sie haben gelernt, mit Bären umzugehen, sie hören hier von Klein auf, dass man laut reden soll, wenn ein Bär in der Nähe ist und einen noch nicht gesehen hat. Damit er nicht erschrickt, und damit er abhauen kann. Jedes Kind weiß, dass man langsam weggehen soll, wenn ein Bär wirklich einmal direkt vor einem steht. So wie die zehnjährige Claudia Drumbl drüben im Gailtal, der plötzlich ein ausgewachsener Braunbär im Weg stand. Sie ist abgestiegen, hat das Rad umgedreht, ist langsam zurückgefahren. "Vorbildlich", sagt Sorger. Nur nicht panisch weglaufen, weil der Bär mit mehr als 60 Kilometern in der Stunde ohnehin schneller wäre, nur nicht auf den Baum klettern, weil er auch das behender könnte, nur nicht ins Wasser gehen, weil er auch da besser ist.

Der Bär ist immer überlegen. Und er ist nun mal ein Opportunist.

Wenn ein Schaf blöd rumsteht, warum dem Reh hinterherjagen, wenn haufenweise Bienenwaben locken, warum mühsam Steine umdrehen und Insektenlarven auflecken? "So ein Bienenstock, der ist wie eine Konditorei, die er über Kilometer riecht", sagt Sorger. "Die Nase ist sein Tor zur Welt." Man muss dem Bären die Sache schwer machen, dann überlegt er es sich. Kein Bienenvolk in dieser Gegend, das nicht mit einem Elektrozaun geschützt ist, keine Vorratskammer, in die er einbrechen könnte, kein Rapsölkanister, der noch griffbereit wäre, kein Müll vor der Türe, der ihn verlocken würde.

1994 wurde Problembär zum Wort des Jahres

Hans-Peter Sorger deutet hinein in Kärntens Bärenland, in steile, waldige Berghänge. Bestes Rückzugsgebiet. Seit 40 Jahren ist er mit Bären beschäftigt, er hat in Kanada, Alaska, in der Türkei, in Iran, Finnland und Rumänien ihre Spuren vermessen, hat sie beim Bau ihrer Winterhöhlen beobachtet, er hat ihnen kilometerweit nachgestellt, hat sie in eisigen Nächten mit Nachtsichtgeräten belauert, er hat ihre Kothaufen durchwühlt und hat ihnen Namen gegeben wie K1 für den Gipfelstürmer und Nurmi, nach dem finnischen Langstreckenläufer Paavo Nurmi. Als er 1987 den ersten Bären in Kärnten traf, machte er sich an die Arbeit, hielt Vorträge, sprach mit Bauern und Almwirten, ging in Schulen. 1995 gründete die Interessengruppe "Respect to Wildlife", aus Privatspenden finanziert.

Damals wurde Österreich Bärenland.

Das merkten auch die Naturschützer vom (WWF). Also nahmen sie sich des Themas an, stellten dem 1972 selbstständig aus Slowenien eingewanderten "Ötscherbären" 1991 ein erstes Weibchen bei, 1992 das zweite, 1993 brachten sie noch ein männliches Tier in das niederösterreichisch-steirische Grenzgebiet. Die Wiedereinbürgerung war gerade vollzogen, da tauchte das erste Mal ein Problembär auf. Nurmi, der Langstreckenläufer, auch er ein männliches Jungtier, ein bisschen zu keck, ein bisschen zu nahe am Menschen. Der WWF distanzierte sich, unterschied zwischen Projektbären und natürlich zugewanderten Bären, in den Zeitungen machten sie sich lustig über diese neue Art des Rassismus. Die Bauern forderten den Abschuss.

Es war das Jahr 1994. Das Wort Problembär wurde in Österreich zum Wort des Jahres. In den Zeitungen war von Blutrausch zu lesen und von Nurmi, dem Lustmörder. "Das waren die ersten Angstschreie", sagt Hans-Peter Sorger und lächelt. Beim WWF sah man das Bärenprojekt gefährdet und erarbeitete gemeinsam mit Landesregierungen den "Managementplan Braunbär Österreich", ein Papier, das den Umgang mit dem Braunbären regeln und zur "Klärung der Bär-Mensch-Beziehung" beitragen soll. Ein Papier, das den Abschuss von Problembären empfiehlt. Bis heute.

Am Ende waren zwei Bären tot, einer soll Nurmi gewesen sein. Hans-Peter Sorger sagt, dass der Jäger ein anderes Tier erschossen habe. Sorger kannte die Fährten Nurmis, er hatte eine Narbe an der Tatze, der erschossene Bär nicht. Nurmi war fast ausgewachsen, der erschossene Bär ein Jungtier. Sorger steht damit alleine. Er steht oft alleine. Er arbeite nun mal anders als der WWF, sagt er. Bärenanwalt? Da lacht er. "Was machen die, sitzen sie im Büro und nehmen die Beschwerdeanrufe der Bären entgegen?" Man beäugt sich, wo man doch gemeinsam für die Bären arbeiten könnte. Die Wissenschaftler hängen den eingefangenen Bären Sender um den Hals, um sie verfolgen zu können. Und verlören sie aus dem Blick, wenn das Gerät verschwinde, sagt Hans-Peter Sorger. Er bleibt dran. Er verfolgt seine Bären anders, eher gefühlsmäßig.

Bruno hält seit Wochen die Welt zum Narren (Foto: Foto: AFP)

Er macht ihn krank, dieser Unsinn, der jetzt über den Braunbären erzählt und geschrieben werde. Dass er verhaltensgestört sei, eine Bestie. Das sei schon ein heilloses, konfuses Durcheinander, die Sache mit Bruno, sagt Sorger. Auch das mit den Finnen sei ein Unsinn gewesen, das habe er schon davor gesagt. In Finnland könne man für 7000 Euro einen Bären schießen, die würden sich doch totlachen über unser Getue. Und in diesem Gelände ein Team, das normalerweise am flachen Land arbeitet, bei finnischen Temperaturen und mit Schützen, die scharf schießen dürfen. Und was wäre passiert, wenn sie ihn bekommen hätten? Bruno im Wildgehege Poing? Und dann dieser so genannte Tiertrainer, der seine Bärin angeboten hat. Einem Jungbären, vor der Geschlechtsreife. "Das ist alles derart kenntnislos, des macht einen verrückt", sagt Hans-Peter Sorger, schüttelt den Kopf.

Das Geld für die Hatz hätte man besser ausgeben können

Seit Wochen gibt es kaum ein anderes Thema im Land. Hans-Peter Sorger hatte sein ganzes Leben lang kein anderes als den Bären.

Das Geld, das sie für diese Hatz ausgegeben haben, das hätten sie besser investieren können, sagt er dann. Sie hätten es in Aufklärung stecken können, zum Beispiel. Sorger sagt, das Bärenproblem sei vor allem ein Akzeptanzproblem. "Ohne Bevölkerung geht da gar nix." Dann kickt er einen kleinen Kothaufen vor der Hermagorer Bodenalm herum: "Des is übrigens a Igellosung", sagt er.

Und noch etwas sagt er. Dass es der Bär ist, der Angst hat. Zu Recht. Der Mensch hat ihm lange genug nachgestellt, hat Fallgruben geschaufelt, Schlingen gelegt, hat Treibjagden veranstaltet und Selbstschussanlagen installiert, er hat den Bären mit gestutzten Krallen tanzen lassen und im Zirkus gequält, er hat ihn abgeknallt und vergiftet. Wer ist da die Bestie der Wildnis? Jeder Abschuss ein Triumphzug, jeder Bärenjäger ein Held. Bis 1835 der letzte in Bayern erlegt wurde und 1898 der letzte in Österreich, ausgerechnet in Tirol, wo die Hatz jetzt wieder beginnen soll.

Es gibt wieder knapp 4000 Bären in der EU

Dann war er erst einmal weg, der Braunbär, ursus arctos, das größte an Land lebende Raubtiere in unseren Breiten, bis zu 200 Zentimeter Rumpflänge - in Mitteleuropa schon so gut wie ausgerottet, gehalten hat er sich über die Jahre nur in den waldreichen Gebieten Nordost-Europas und in den Karpaten, den Dinariden, dem Balkangebirge. Laut WWF soll es heute auf dem Gebiet der Europäischen Union wieder knapp 4000 Bären geben. In ganz Österreich etwa 20 bis 30. Sorger sagt, es seien momentan nur zwölf Bären im Land.

Dann zeigt er zur Skipiste hinauf, die ein Bär vor zwei Jahren gemütlich herunterspaziert sei, direkt hinein in die Ortschaft, einen Meter am Kindergarten "Sumsiland" vorbei. Kein Mensch hätte sich deswegen aufgeregt, keiner hätte den Abschuss gefordert. "Unsere Bären gehen immer wieder ganz nahe zu den Häusern", sagt Hans-Peter Sorger.

Aber hier ist Kärnten. Und dort ist Tirol und Bayern. Hier lebt der Bär. Dort soll er sterben.

Tierschützer sind für Abschuss, Jäger dagegen

Noch ein bisschen weiter Richtung Osten sitzt Bernhard Gutleb, einer der drei Bärenanwälte Österreichs. Der einzige, der nicht dabei ist beim Bruno-Fang-Team. Gutleb sagt: "Die Geschichte ist deswegen so kompliziert, weil so viele kleine Schritte schief gelaufen sind, das kann man nicht mehr geradebiegen. Das Gesamtbild ist jetzt ein Scherz. Jetzt ist alles so aufgebauscht, und alle Teilnehmer sind irgendwie unglaubwürdig."

Die Tierschützer sind für den Abschuss, die Jäger dagegen. Alles ist verkehrt. Aber eines ist sicher: "Von den Bären, die wir gerade in Österreich managen, ist Bruno sicher der frechste."

Und noch etwas sagt Gutleb, das die Mutter von Bruno auch in diesem Jahr wieder drei Kinder bekommen habe. Darauf könnten sie sich am Alpenrand gleich vorbereiten. Es werden wieder welche kommen, wieder schlechterzogene, wieder das, was die WWF-Experten jetzt als Problembär einstufen. "Die wird am laufenden Band solche Typen produzieren", sagt Gutleb. Weil schon die Mutter nicht die Scheueste ist, weil sie den Kleinen beibringt, dass so ein Schaf leicht zu haben ist, auch wenn es nach Mensch stinkt. Und zurück zur Beute gehen sie auch nicht wie ein normaler Bär, der tagelang am Schaf frisst, bis nichts mehr übrig ist. In Kärnten lassen sie für den Bären das gerissene Schaf liegen. Dann kann man ihn auch besser erziehen, weil er ja wiederkommt, dann kann man ihm ein paar Plastikbolzen draufschießen zur Abschreckung, oder ein paar Leuchtraketen in die Erde daneben schießen, wie es Sorger macht, der Plastikbolzen ablehnt. So oder so. Der Bär weiß, beim Menschen wird es unangenehm.

Die braven Bären kommen gar nicht

Der größte Unsinn aber war, sagt Gutleb, als Ministerpräsident Stoiber in Bayern und Landesrat Steixner in Tirol brave Bären herzlich willkommen hießen. "Die braven Bären kommen nicht nach Bayern oder Tirol. So weit gehen nur Bären wie Bruno", sagt Bernhard Gutleb, der Bärenanwalt.

Es ist Samstag, es ist heiß, als der Tiroler Landesrat Anton Steixner in Kufstein der Welt mitteilt, dass finnische Jäger und Hunde abgereist sind. Erfolglos. Hinter ihm hängt ein Plakat: "Der Bär ist los." Er macht ein paar Scherze, weil der Bär vor allen Dingen in Bayern Schaden anrichte, obwohl er sich mehr in Tirol aufhalte. Aber es seien sich nun mal alle Bärenexperten einig, die Gutachten seien eindeutig, dass dieser Bär gefährlich sei und so schnell wie möglich aus der freien Wildbahn entnommen werden müsse, sagt er. Abschussbefehl.

Keiner der Experten ist anwesend.

Neben ihm sitzt sein Bruder Paul Steixner, Landesjägermeister. Sein Kopf wackelt leicht, als er sagt, er hätte sich eine andere Einschätzung gewünscht. Die Jäger waren von Anfang an gegen den Abschuss, weil sie das Risiko nicht sehen. Aber jetzt müssen sie schießen, wenn sie Bruno treffen, den Halbstarken, den schlecht Erzogenen. Der Landesjägermeister lächelt. Er sieht sehr traurig aus.

© SZ vom 26.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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