Wiener Opernball:Liebe, Laster und Lakaienbuckel

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Wenn Wien das Tanzspektakel zelebriert, wird sich die österreichische Klatschpresse wieder auf ein Häuflein Prominenter stürzen - und mitkuscheln.

Michael Frank

Das Verbot, den Schönling öffentlich abzuküssen, erweist sich geradezu als Herausforderung: Fiona Swarovski busselt seither, dass es nur so schmatzt, und Österreichs Gazetten sind voller Fotos, auf denen sich die Finanzministersgattin um den Hals des verehrten Mannes rankt. Minister Karl-Heinz Grasser hatte sich, so entnehmen wir den Klatschspalten, nach der dröhnend verheimlichten Hochzeit in der Wachau verbeten, von seiner Angetrauten öffentlich beknutscht zu werden.

Debutanten beim Tanz im Jahre 2002 (Foto: Foto: AP)

Die Fotos aber mit den vorehelichen Pranken des Politikers auf den Hinterbacken der Schönen, und dies zu Zeiten, als man den feschen Karl-Heinz noch ganz anders liiert glaubte, die sind in deutschen Gazetten erschienen. Zum Trost suchen Österreichs Klatschbasen heute Fiona zur neuen "Königin der Herzen" zu stilisieren, mit mäßigem Erfolg.

Wien gibt sich gerne glamourös, selten aber dreist in seiner Art, der "Gesellschaft" auf und unter die Rockschöße zu schauen. Kaum despektierlich oder kritisch und ohne jeden Humor - befremdlich angesichts der ironischen Begabung der Stadt.

Soeben demonstrieren das die schrägen Protagonisten des Opernballes, der an diesem Donnerstag in all seiner langsam verblassenden Pracht aufgeführt wird. Bauunternehmer Richard "Mörtel" Lugner sah es wieder als seine nationale Pflicht, als Opernballgast ein besonders tiefes Dekolleté zu requirieren, in das sich dann die Objektive der "Seitenblicke"-Kameras versenken können. Lugner, dessen schlichte Weltsicht direkt mit prallen Miedern korreliert, hat diesmal das Baywatch-Girl Carmen Electra eingekauft.

Lästern? Allenfalls sehr verklausuliert

Christl Schoenfeld, vor 50 Jahren erste Organisatorin des Großereignisses, stellt fest: "Herr Lugner mit seinen furchtbaren Weibern existiert für mich gar nicht." Die 90-Jährige betrübt, wie die heutige Organisatorin Elisabeth Gürtler, Chefin des legendären Sacher, es zulassen könne, "dass dieser Herr dem Image des Opernballs dermaßen schadet". Und wo bleibt der Humor? Lugner hat die alte Dame wegen Beleidigung verklagt.

Gazetten und TV stürzen sich auf den Ball wie auf alles, wo man mit Weihrauch wedeln kann. Lästern? Allenfalls sehr verklausuliert, um die Gesellschaft nicht zu vergrätzen. So wuseln Kolumnisten und TV-Reporter mit Lakaienbuckel hinter dem immer gleichen Schwarm weniger Pseudo-Prominenter her.

Indiskretion? Unmöglich, sagt Ro Raftl, die Doyen der österreichischen Gesellschaftskolumne, seit vor Jahren der legendäre "Adabei" des Revolverblattes Kronen Zeitung aufgehört hat. "Sie müssen bedenken", sagt Ro Raftl, "wie klein das hier ist, wie eng. Hier kann keiner etwas Privates über jemanden sagen, wenn der nicht seine Einwilligung gegeben hat."

Die Lugners, Dinosaurier im Wiener Klatschtümpel, sind Exempel für Mühsal und Elend des krampfhaften Promi-Rummels. Ein TV-Privatsender setzte eine ganze Serie über deren Privatleben an, die wegen gähnender Langeweile wieder verschied. Spannend war nur das titanische Ringen, als "Mörtel" zu verhindern suchte, dass sich seine Frau ein so genanntes Dauer-Make-up ins Gesicht meißeln ließe. Er hat verloren.

Ex-Spice Girl Geri Halliwell und Bauunternehmer Richard Lugner, genannt "Mörtl" beim Opernball 2005 (Foto: Foto: dpa)

Ist womöglich ein Rest Respekt vor der Privatheit der öffentlich beäugten Existenzen geblieben? Ro Raftl glaubt mehr an pure Berechnung der Branche und daran, dass das immer auch vom Stil der Beschriebenen abhängt. So haben sich der Wiener Bürgermeister Michael Häupl und seine Frau mitten im Wahlkampf ohne jede Skandalisierung getrennt.

Angst vor dem Dammbruch

Die Fama, die Gattin des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel habe diesem vor sechs Jahren die Tür gewiesen, als sich das Bündnis mit der rechtsradikalen FPÖ ankündigte, blieb unerörtert. Weniger wegen großer Zweifel am Wahrheitsgehalt, sondern aus Angst, einen Dammbruch zu verursachen. Raftl sagt: "Ehrlicherweise geht uns so was eigentlich nichts an." Ein heroisch entsagungsvolles Wort für eine Gesellschaftsreporterin.

Dass der letzte Bundespräsident Thomas Klestil mit seinen Beziehungsaffären ins Schlaglichtgewitter aller Medien geriet, war eigenes Ungeschick: Um sich als verlassenes Opfer seiner abtrünnigen Frau zu verkaufen, machte er seine Misere selbst publik. Den Geist, den er damit losließ, hat er nie mehr bannen können.

Nicht zufällig hatte Klestil sich bei News ausgeweint, der Klatschpostille schlechthin - auch dann, wenn sie vorgibt, von Politik oder Wirtschaft zu handeln. Dieses Blatt war lange eines der wenigen wirklich unverfrorenen. Nach dem frühen Tod des Robert Hochner, eines hoch moralischen, angesehen Fernsehjournalisten, veröffentlichte News ein "Vermächtnis" des Verstorbenen, das in Wahrheit aus alten Texten zusammengeklaut war. Das wurde als Leichenschändung aufgefasst, hatte doch Hochner Vertrauten erklärt, er werde seine letzten Worte jedem gönnen, nur nicht News.

Auch News ist zahmer geworden. Allein der indessen ebenfalls emeritierte Adabei-Nachfolger Michael Jannee bei der Krone biss noch gelegentlich zu. Nur sei der so faul gewesen, feixt die Branche, dass er saftige Details oft zu spät erfuhr, um sie noch auskosten zu können. Ansonsten herrschen Charme und Schubidu in Wien. Die "Seitenblicke" sind die sektgetränkte ORF-Hagiographie. Da stülpen die "Charity-Ladies" ihre silikongeblähten Lippen in die Linse und flöten dafür, den österreichischen Charme in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Vom Tataren-Schnurrbart des jüngst verstorbenen Barbesitzers Schimanko, von der roten Mütze des Ex-Rennfahrers Lauda glaubt man sich regelrecht verfolgt.

Wie die Geier

Nur zwei knappe Dutzend Köpfe kommen immer vor, aber man erfährt nichts von ihnen. Eine übrigens eklatante Diskrepanz zum privaten Klatsch, der ätzender als in Wien nicht sein könnte. Auch wenn man nichts weiß, hängt man vorsorglich jedermann erst einmal ein Alkohol- oder Beziehungsproblem an, bevor man sich die Vorurteile von der Realität verderben lässt. Ro Raftl sieht in Österreich einen behutsameren Umgang mit den Gebrechen der Prominenz.

Sezierende Geschichten, wie sie in Deutschland einst über Juhnke und den Alkohol, oder nun sympathisierend über Carrell und den Krebs erscheinen, gibt es so gut wie nicht. Nicht mal, wenn sie einiges geraderücken könnten, wie beim indessen toten Präsidenten Klestil, dem man den totalen Suff andichtete, der aber wohl eher von der Behandlung seines Lungenleidens beeinträchtigt war. So wird die böse Suffversion überdauern, weil die andere, die gütigere, nie erzählt wurde.

Wie die Geier stürzen sich die Gazetten hingegen auf eine Affäre wie die des Musikers Reinhard Fendrich: In exhibitionistischem Furor legt man seine Seeleneingeweide bloß, seziert im Tremolo wüster Vorwürfe gescheiterte Ehe und frühen Tod der Tochter. Aber auch hier gilt: In Wien würde das niemand drucken, wenn es dem Beschriebenen nicht in den Kram passen würde.

© SZ vom 23.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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