Wetter:Hitzewelle in der Arktis

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In Spitzbergen, der nördlichsten Siedlung der Welt, werden derzeit alle bisher aus der Arktis bekannten Temperaturrekorde gebrochen.

Patrick Illinger

Noch bricht den Polarforschern des Alfred-Wegener-Instituts AWI der Schweiß nicht aus. Dazu sind die Temperaturen dann doch nicht hoch genug.

Ein paar Grad über Null melden die deutschen Experten - allerdings von einem Ort, an dem man das im Januar nicht erwartet: Spitzbergen, die nördlichste Siedlung der Welt, erlebt zurzeit eine Hitzewelle, die alle bisher aus der Arktis bekannten Rekorde bricht.

Seit dem 4. Januar taut es ohne Unterbrechung. An zehn Tagen wurden die bisherigen Temperaturrekorde um mehr als drei Grad Celsius überschritten.

Der Januar 2006 ist insgesamt fast zehn Grad wärmer als der Durchschnitt. In der ersten Monatshälfte ist zudem dreimal so viel Wasser niedergegangen wie sonst im gesamten Januar.

Am vergangenen Montag wurden 6,5 Grad Celsius über dem Gefrierpunkt gemeldet - zwei Grad mehr als der bisherige Januar-Höchststand. Normal wären um diese Jahreszeit minus 12 Grad. Spitzbergen liegt nur 1200 Kilometer vom Nordpol entfernt.

Warmer Südwind

"Es ist ein extremes Wetterereignis", sagt Peter Lemke, Klimaforscher des Bremerhavener AWI. Zwar sei das augenblickliche Wettergeschehen nicht unmittelbar mit dem globalen Klimawandel zu begründen. "Schwankungen wie die derzeit zu beobachtende Tauwetterlage sind unabhängig vom steigenden Temperaturmittelwert möglich", sagt Lemke.

Doch die Dauer der Warmphase sei bemerkenswert. Über Finnland und der Barentssee hat sich ein hartnäckiges Hochdruckgebiet festgesetzt. Das versorgt die Region um Spitzbergen seit zwei Wochen mit warmem Südwind. Der gegenteilige Effekt zeigt sich in Russland: Dort wurden in dieser Woche minus 55 Grad gemessen. In Moskau waren es minus 37.

Doch die ungewöhnliche Wärme in der Arktis passt zum Trend der vergangenen Jahrzehnte.

"Die Arktis heizt sich seit etwa 20 Jahren doppelt so stark auf wie der Rest der Erde", sagt Lemke. Da immer mehr Eis und Schnee wegschmelzen und dunklere Meerwasserflächen oder nackter Erdboden zu Tage kommen, wird weniger Sonnenstrahlung reflektiert. Wärme wird quasi aufgesogen, was wiederum das Abschmelzen weiterer Eisflächen fördert.

Weil die Arktis besonders von der zum Teil menschengemachten Erderwärmung betroffen ist, hat im Jahr 2004 ein internationales Wissenschaftler-Gremium einen aufrüttelnden Bericht veröffentlicht.

Polarexperten aus sieben Staaten prognostizierten, dass die gesamte Wasserfläche des Nordmeers bis zum Jahr 2100 zumindest im Sommer eisfrei sein wird.

Die Änderungen der arktischen Lebensräume seien dramatisch: Indigene Bevölkerungen müssten umgesiedelt werden, wenn Permafrostböden aufweichen.

Unzählige Tierarten sind in Gefahr. Mit Sorge blicken Polarforscher daher auf den riesigen, bis zu drei Kilometer dicken Eispanzer Grönlands. Der wirkt derzeit noch wie ein gigantisches Kühlelement im schwächelnden Klimasystem der Arktis. Wie lange noch, weiß niemand.

Für die Menschen in Spitzbergen entwickelt sich die Situation unterdessen dramatisch. Unsichtbare und schwer zu kontrollierende Schmelzwasserströme unterspülen die oberen Schneeschichten und fließen um die Gebäude. AWI-Forscher berichten, dass sie ihre Station an der Westküste zeitweise nicht mehr verlassen können.

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