Wandern in Nordkorea:Jenseits der Grenze

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Unterwegs im Diamantgebirge: Ein Wanderausflug mit 4000 Südkoreanern in das kommunistische Nordkorea. Dort darf man die Menschen nicht fotografieren - aber mit ihnen reden.

Matthias Kolb

Fünf Kilometer vor der Grenze wiederholt die Reiseleiterin die wichtigste Regel: "Machen Sie keine Fotos! Bleiben Sie ruhig!" Langsam rollt der Bus durch die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea. Es ist eine Fahrt durch die am strengsten bewachte Grenzregion der Welt, in der auch die flachen Strände im Süden mit Stacheldraht und Minen gesichert sind.

Ohne Busse kommt niemand vom Fleck: Der Wanderausflug nach Nordkorea ist organisiert wie eine Kreuzfahrt. (Foto: Foto: Matthias Kolb)

Der Bus passiert einen salutierenden südkoreanischen Soldaten, Reiseleiterin Yun Son Kim greift wieder zum Mikrofon: "Wir sind in Nordkorea", sagt sie. Im Bus bleibt es ruhig, vielleicht auch in den vielen anderen Bussen vor und hinter uns. 4000 Südkoreaner bringen sie Woche für Woche zur dreitägigen Reise nach Nordkorea, in das einst völlig abgeschottete kommunistische Land.

Der erste Blick im fremden Land geht auf eine Anhöhe, auf der ein einzelner Soldat steht. Er beobachtet, wie die Touristen am Kontrollposten aussteigen. Aus Lautsprechern erklingt eine hohe Frauenstimme, die in einer Dauerschleife singt: "Bangapseumnida!" - "Herzlich willkommen!" Alle Bus-Gruppen stellen sich in Reihen auf, niemand spricht. Der Grenzbeamte mustert Gesichter, kontrolliert Pässe und lässt den Stempel auf Passierscheine krachen.

Kennkarte um den Hals

Jeder Reisende trägt eine Kennkarte um den Hals - wie ein Kind, das alleine fliegen muss. Das Gepäck wird gescannt, alle verbotenen Gegenstände wie Mobiltelefone, MP3-Player oder Teleobjektive haben die Reiseleiter zuvor eingesammelt. Nun drängen sie zur Eile, obwohl das Ziel der Reise nur 20 Minuten entfernt liegt: das Feriendorf am Fuße des Diamantgebirges Kumgangsan.

Auf der Fahrt dorthin herrscht im Bus angespannte Stille: Alle wollen so viel wie möglich von Nordkorea in sich aufnehmen. Überall stehen Soldaten regungslos in der kahlen Mondlandschaft, Eisenbahnschienen verschwinden zwischen den Bergen, auf Hügeln sind Militärlastwagen zu erkennen. In 100 Meter Entfernung verläuft eine mehrspurige Asphaltstraße. Es sind mehr Fußgänger und Ochsenkarren zu sehen als Autos, alles wirkt gemächlich, keiner der vielen Fahrradfahrer überholt den anderen.

Der Bus passiert ein Dorf mit einstöckigen Häusern. "Es sieht aus wie bei uns vor 40 Jahren", sagt Sung-Rim Park leise und späht hinaus. Park hat den Koreakrieg miterlebt, den ein Waffenstillstand 1953 beendet hat. "Wir sind ein Volk mit einer gemeinsamen Sprache", sagt er.

Ein Raunen geht durch den Bus: An der Fassade des Bahnhofs ist ein Porträt des Staatsgründers Kim Il Sung angebracht. Auch nach seinem Tod 1994 wird der "Große Führer" als Vater aller 22 Millionen Nordkoreaner verehrt. Jeder Nordkoreaner trägt einen Anstecker mit seinem Gesicht oder dem seines Sohnes Kim Jong Il. In Nordkorea heißt er "Geliebter Führer", im Westen nennt man ihn den Irren mit der Bombe.

Ankunft im Feriendorf, in dem seit Kurzem das so genannte Versöhnungszentrum steht. In ihm, so haben es die beiden Koreas vereinbart, sollen sich bald schon getrennte Familien treffen können. Bislang konnten Verwandte nur per Videokonferenz miteinander sprechen, die Erlaubnis dafür ist schwer zu bekommen. Das Zentrum ist ein typisch koreanischer Kompromiss: Das Regime im Norden behält die Kontrolle, Südkorea schafft einen weiteren Schritt in Richtung Annäherung.

Fotografieren verboten

Beim Aussteigen verkündet Reiseleiterin Yun Son Kim: "Jetzt dürfen Sie alles fotografieren, nur keine Nordkoreaner!" Im Feriendorf werden die Klischees von Nordkorea nur teils erfüllt. Die Straßen sind schmal, und Staatssymbolik wird strikt vermieden. Ganz ohne Denkmäler geht es aber nicht: Eine Steinsäule preist die Erfolge der Revolution und gegenüber dem nobelsten Hotel zeigt ein Denkmal Kim Jong Il und Kim Il Sung vor einem Sonnenaufgang in sattem Orange.

Kaum ist die Kamera aus der Tasche geholt, eilt ein Angestellter herbei und ruft: "No, no!" Schließlich wird klar: Das Fotografieren ist nicht verboten, aber nur Nordkoreaner dürfen die Herrscher knipsen, damit die nicht unvorteilhaft dargestellt werden. Der Mann ist zum Glück geübt mit Kameras und erfüllt die Wünsche der Südkoreaner im Eiltempo.

Das Feriendorf ist eine Art südkoreanische Exklave mit Restaurants, fünf Hotels, Wellness-Bereich und dem Dollar als offizieller Währung. Und es sind direkte Begegnungen möglich, sogar Gespräche. Mehr als 1000 Nordkoreaner arbeiten hier. Sie verkaufen Alkohol und Parfum von Gucci und Versace im Duty-Free-Shop oder Coca-Cola im Supermarkt, sie stehen an der Hotelrezeption und bedienen in den Restaurants wie dem Bierlokal "Obersthaus".

Der Kontakt mit Südkoreanern macht sie zu Auserwählten. Die meisten ihrer Landsleute wissen nichts vom kapitalistischen Nachbarn. Die in Nordkorea hergestellten Radios empfangen keine Sender aus dem Süden, im kommunistischen Land gibt es nur einen Fernsehsender, und über einen Zugang zum Internet verfügt nur eine kleine Elite.

Am frühen Abend in der Sky Lounge, im 12. Stock des feinsten Hotels am Ort: Die Kellnerinnen sind nur anfangs schüchtern, dann stellen sie eine Frage nach der anderen, vor allem den europäischen Touristen: "Wann heiraten Europäer? Gibt es noch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland? Gibt es in Deutschland Berge?" Nach jeder Antwort tuscheln die Mädchen, einige erzählen auch ein wenig von sich: Dass sie in einem Dorf direkt neben dem Feriendorf leben, dass die Arbeit abwechslungsreich sei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso ein Nordkoreaner niemals den Anstecker mit dem Gesicht von Kim Il Sung hergeben würde.

Dass sie etwa 300 Dollar im Monat verdienen und damit weit mehr als den Durchschnittslohn, berichtet Olivier Baiblé. Der Franzose lehrt an einer südkoreanischen Universität und besucht das Diamantgebirge zum zweiten Mal. Die Kellnerinnen fragen ihn, wieso ein Europäer in Südkorea arbeitet. Weil die Gehälter in Südkorea höher sind als in Frankreich, antwortet er. Die Kellnerinnen sind verblüfft. Eine sagt, sie würde auch gerne mal die Hauptstadt Seoul sehen, aber erst nach der Wiedervereinigung. Zum Abschied dann noch eine letzte Frage an die Kellnerinnen: Kann man einen Anstecker mit den Führern Nordkoreas kaufen? Da schütteln die Mädchen energisch die Köpfe, ihre Chefin kommt herbei und sagt: "Der Anstecker ist das Herz eines Nordkoreaners. Ihn herzugeben, würde bedeuten, sich das Herz herauszureißen!"

Das einzige Bild der beiden Staatsführer in Kumgangsan: Kim Jong Il (l.) neben seinem Vater Kim Il Sung, der auch nach seinem Tod Staatschef in Nordkorea ist. (Foto: Foto: Matthias Kolb)

Es ist Nacht geworden. Shuttlebusse bringen die Südkoreaner zu ihren Hotels. Langsam löst sich die Anspannung. Es wird geplaudert. Wie seltsam es sei, in Nordkorea Bier zu trinken, sagt ein junger Mann. Ein anderer erzählt von seinen ersten Gesprächen mit Nordkoreanern, wie unschuldig sie auf ihn wirkten. "Es war doch nur Smalltalk", fasst sein Bekannter den Abend zusammen. "Ich hatte Angst, über Politik zu reden", sagt er und blickt aus dem Fenster. Was man dort sieht, mutet bizarr an. Alle Hotels und Restaurants sind dank einer eigenen Elektrizitätsversorgung in Neonfarben erleuchtet, während das Dorf, in dem die Nordkoreaner leben, in der Dunkelheit verschwunden ist. Ein Südkoreaner seufzt: "So schnell wie in Deutschland wird es für uns keine Wiedervereinigung geben."

Das Erbe des Patriarchen

Organisiert werden die Reisen von Hyundai Asan, einer Tochterfirma des Automobilherstellers Hyundai. Dessen Gründer Chung Ju Yung wurde im Norden geboren und kam in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, während des Kriegs, in den Süden, eröffnete eine Autowerkstatt, dann noch eine, investierte bald in die Fabrikation eigener Autos - und wurde Milliardär. 1998 erwarb er die Lizenz, 50 Jahre lang Touristen nach Kumgangsan zu bringen.

1,7 Millionen Südkoreaner bereisten seither das Kumgangsan, dessen zerklüftete Bergspitzen seit Jahrhunderten gemalt und besungen werden, bis heute auch im Süden. Kumgangsan bedeutet Diamantgebirge, weil im Sonnenaufgang die Granitspitzen der Berge wie Diamanten glitzern. In Ruhe lässt sich dieses Naturschauspiel nicht genießen, denn für Koreaner zählt beim Wandern das Gemeinschaftserlebnis. Bestens ausgerüstet marschieren sie einem der Gipfel entgegen - 4000 Menschen auf einem langen Marsch. Oft wird der chinesische Dichter Su Dong-Po zitiert: "Wenn ich einen Tag, nachdem ich den Kumgangsan in Korea gesehen habe, stürbe, so würde ich es nicht bedauern."

Alles ist bestens organisiert: Zahlreiche Stände versorgen die Besucher mit Essen und Trinken und auch Toiletten wurden aufgestellt: Ein Dollar kostet das kleine, zwei Dollar das große Geschäft. "Es müssen extra chemische Mittel gekauft werden", erklärt eine der Bergführerinnen und grinst etwas verschämt.

Unentwegt passieren sie Denkmäler, die an Kim Jong Ils Besuch des Diamantgebirges im Jahr 1973 erinnern. Riesige Buchstaben wurden in die Felsen geritzt und mit dunkelroter Farbe bestrichen, um dem "General und Führer" zu huldigen. Die Südkoreaner posieren grinsend neben den Denkmälern, doch unter den Reisenden sind auch Idealisten: Am Gipfel stehen drei Männern und vier Frauen und singen voller Inbrunst ein Lied über die Wiedervereinigung. "Ich bin zum achten Mal hier", berichtet Ingenieur Chang-Hwan Kim. Da tritt ein Nordkoreaner hinzu und sagt: "Die Gipfel sind so alt und schön, irgendwann werden sich die Politiker einigen." Dann geht er wieder auf Distanz.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer künftig in Nordkorea Golf spielen soll.

Rund um das Kumgangsan wird gebaut: Im Herbst wird ein 18-Loch-Golfplatz mit Luxushotel eröffnet. Offenbar gibt es genug Südkoreaner, die für knapp 20.000 Euro Mitgliedsbeitrag umgeben von Minen und Elektrozäunen ihre Bälle abschlagen wollen.

Beim Gedanken an den Golfplatz schüttelt Yun Son Kim den Kopf. Seit einem Jahr arbeitet die 23-Jährige als Reiseleiterin: "Es macht mich traurig, zu sehen, wie die Menschen hier leben." Es seien nicht die schlichten Häuser, die sie beunruhigen, sondern das Gefühl der ständigen Kontrolle: "Schaut, selbst der Eingang zum Dorf wird überwacht", sagt sie und erzählt von ihren nordkoreanischen Kollegen. Freundlich seien sie, aber die Gespräche mit ihnen blieben oberflächlich, unverbindlich. Erst nach einer Weile sei ihr aufgefallen, dass die Nordkoreaner immer zu zweit seien: "Es ist unmöglich, mit jemandem alleine zu reden, außerdem werden die Angestellten oft ausgetauscht. Keiner weiß, wer für den Geheimdienst arbeitet."

Auf der Straße, die das Feriendorf mit dem Dorf der Nordkoreaner verbindet, stehen Südkoreaner und versuchen einen Blick hinüber zu erhaschen. Bewaffnete Soldaten verscheuchen mit roten Fahnen und Trillerpfeifen jeden, der stehen bleibt. Eines aber sieht man doch: Die Menschen tragen schlichte, fast uniforme Kleidung, und alle fahren auf identischen Damenrädern mit Körben auf den Lenkern.

Am letzten Tag der Reise fährt der Buskonvoi zum Strand, vorbei an einer Schule, staubigen Fußballplätzen und einem einsamen Basketballkorb. In der angrenzenden Siedlung gleicht jedes Haus dem anderen, alles erscheint wie geputzt. Die Straße ist für die Busse abgesperrt worden, Grenzposten bewachen die Sperren. Hinter ihnen warten Zivilisten darauf, ihren Weg fortsetzen zu können. Niemand winkt, es scheint sich niemand zu regen. Im Bus sinniert Sung-Rim Park: "Vielleicht sind die Menschen ja glücklich, sie kennen doch nichts anderes." Die anderen nicken.

Für jeden Touristen 80 Dollar

80 Dollar überweist Hyundai Asan für jeden Touristen. Es gibt Kritiker, die sagen, Hyundai stütze das Regime. Manager Dan Buyn, ein Südkoreaner mit amerikanisch klingendem Pseudonym nur für die Arbeitswelt, weist den Vorwurf zurück. Die Reisen seien ein Beitrag zur Annäherung der beiden Koreas, sagt er. Insgesamt habe man eine halbe Milliarde US-Dollar investiert, seit kurzem gebe es kleine Gewinne.

Aber nach wie vor beeinflusse die Tagespolitik das Geschäft: Als Nordkorea 2006 die Atombombe testete, stornierten Zehntausende ihre Buchungen. Doch bei Hyundai glaubt man an langfristige Erfolge, an kleine Schritte auf dem langen Weg zur Normalität. Ab Mai sollten Südkoreaner eigentlich zum Berg Baekdusan an der nordkoreanisch-chinesischen Grenze fliegen dürfen. Dort wurde der Legende nach der Gründer Koreas geboren - wegen politischer Spannungen ist der Start erst mal verschoben. Sung-Rim Park hat schon reserviert und bleibt optimistisch: "Es ginge ein Traum in Erfüllung, wenn ich den Baekdusan sehen könnte."

Rückfahrt zur Grenze. Reiseleiterin Yun Son Kim erinnert an das Fotografierverbot, doch die Kontrollen bei der Ausreise sind erstaunlich locker. Alles geht zügig voran. Der nordkoreanische Grenzbeamte scherzt ein bisschen mit der südkoreanischen Reiseleiterin. Sie lächelt.

(sueddeutsche.de/jüsc/lala)

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