Vogelschützer versus Baumfäller in Kalifornien:Schuldig des "Oakland-Kettensägenmassakers"

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Ernesto Pulido wäre an jenem Samstag im Mai vielleicht lieber im Bett liegen geblieben. Sein Auftrag war es eigentlich nur, ein paar Bäume vor dem Postamt im kalifornischen Oakland zu schneiden. Doch jetzt droht ihm vielleicht sogar Gefängnis.

Von Oliver Klasen

Das Postamt im kalifornischen Oakland hatte jüngst ein Problem mit den Ausscheidungsprodukten von Vögeln, die in den Bäumen neben dem Parkplatz des Gebäudes nisteten. Die Lieferwagen der Post waren regelmäßig vollgesaut und weil das keinen guten Eindruck macht, beschloss man, einen Arbeiter zu engagieren, der die Bäume zurechtschneiden und so verhindern sollte, dass sie weiter als Nistplatz dienen.

Der 26-jährige Ernesto Pulido bekam den Job, aber nach allem, was in der New York Times zu lesen ist, würde er wohl ziemlich viel dafür geben, wäre er an jenem Tag im Mai einfach im Bett geblieben.

Die US-Fischerei- und Naturschutzbehörde droht Pulido nun mit einer Geldstrafe von 15 000 Dollar und sogar mit sechs Monaten Gefängnis, weil er das Wandervogelgesetz aus dem Jahr 1918 verletzt habe. Außerdem hat Pulido den Zorn von Vogelschützern aus Frankreich, Rumänien, Serbien, Schweden, der Ukraine und aus dem Ostküsten-Bundesstaat New Jersey auf sich gezogen. Diese internationale Front hat eine Online-Petion gestartet. Sie ist überschrieben mit: "Das Oakland-Kettensägenmassaker". Und auch wenn sie sich hauptsächlich gegen die Post richtet, hat Pulido inzwischen ein bisschen Angst bekommen. Er wurde bedroht und hat seine schwangere Frau und seine kleine Tochter vorsichtshalber aus der Stadt gebracht.

Was war geschehen?

In den Zweigen und Ästen, die Pulido gemeinsam mit mehreren seiner Angestellten an jenem Samstag zu schneiden hatte - sämtlich Bäume aus der Gattung des Ficus Benjamini - saßen zum Zeitpunkt der Arbeiten fünf junge Nachtreiher, die durch das Werk des Arbeiters zu Boden fielen.

Eine Landschaftsgärtnerin, die in der Nachbarschaft lebt, hat die Szenerie zufällig beobachtet. Sie sah die Hebebühnen und die Häckselmaschine und dann die neugeborenen Vögelchen, die gerade auf den Boden gefallen waren. Sie schrie die Arbeiter an, dass sie aufhören sollten und fragte, ob sie denn nicht gesehen hätten, dass auf den Ästen Vögel sitzen. Dann sammelte sie Beweismittel, sie nahm die Vorgänge auf Video auf, alarmierte eine Naturschutzorganisation und die Polizei.

"Ich bin kein Gangster"

Die Beamten kamen auch und wiesen Pulido und seine Kollegen an, die Arbeiten einzustellen. Die fünf jungen Nachtreiher wurden in eine Vogelauffangstation gebracht, wo die Mitarbeiter sie wieder aufpäppelten. Eines der Tiere hatte eine Fraktur am Unterkiefer, die anderen vier Prellungen. Doch der Leiter der Station sagte, alle fünf würden durchkommen.

Die Vögel gelangten danach sogar zu einiger Prominenz, denn über die Webcam der Auffangstation ließ sich die Genesung der Tiere live im Internet verfolgen. Das taten derart viele User, dass die Website zusammenbrach.

Alles nochmal gut gegangen, könnte man nun denken. Doch für Ernesto Pulido ist die Sache nicht so einfach ausgestanden. Er hat die Vögel zwar in der Auffangstation besucht und freiwillig 2500 Dollar für ihre medizinische Versorgung überwiesen. "Ich bin kein Gangster", hat er außerdem versichert, doch die Untersuchungen dauern an. Die Fischerei- und Naturschutzbehörde hat ihn verhört, Zeugen und Postangestellte befragt, die Häckselmaschine untersucht und das Video der Landschaftsgärtnerin ausgewertet.

Immerhin gerät jetzt auch die Leitung des Postamts in den Blick, die sich nach Meinung von Stadträtin Patricia Kernighan "vor der Verantwortung drückt", weshalb Polido nun möglicherweise doch mit einer milderen Strafe rechnen kann: Die Fischerei- und Naturschutzbehörde will jetzt der Staatsanwaltschaft empfehlen, nur eine Strafe von 1500 Dollar zu beantragen. 1000 Dollar für den Verstoß gegen das Wandervogelgesetz und 100 Dollar für jeden Vogel.

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