"Violetta":Prinzessin Lilafee wird groß

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Vorbild Beyoncé: Die argentinische Schauspielerin und Sängerin Martina Stoessel bei ihrem Konzert in der Münchner Olympiahalle. (Foto: dpa)

Als "Violetta" bringt die Argentinierin Martina Stoessel auch in Deutschland Millionen kleine Mädchen zum Träumen - sowohl in einer Disney-Telenovela, als auch live auf der Bühne. Doch langsam emanzipiert sie sich von ihrer Rolle.

Von Kathleen Hildebrand

Zuerst einmal sind da diese Outfits. Kurze Kleider mit ausgestelltem Rock, Puffärmel, Schleifchen. Und immer glitzert irgendwas. Nein, eigentlich glitzert immer alles, was Martina Stoessel trägt, wenn sie Violetta ist. In einem Kleinmädchentraum nach dem anderen stakst sie mit fohlenhaft dünnen Beinen über die Bühne. Vor ihr: ein paar Tausend kleine Mädchen, die träumen. "Isn't she beautiful?", fragt der hübsche junge Mann an ihrer Seite. "I love you", erwidert Violetta. Das Publikum kreischt begeistert.

Wer jetzt denkt, ah ja, Violetta, das ist doch die aus "La Traviata", vielleicht in einer sehr altmodischen Inszenierung - wegen der Schleifchen - der hat wahrscheinlich keine Kinder. Jedenfalls keine zwischen sieben und 13 Jahren. Denn die füllen den Saal an diesem frühen Abend in der riesigen Münchner Olympiahalle. Ausverkauft. Die meisten im Publikum sind kleine Mädchen, von denen sich wiederum die meisten mit den Glätteisen ihrer Mütter die Haare gewellt haben dürften. Sie wedeln mit rosa Violetta-Fahnen, starren andächtig und schreien schrill und laut.

Am Tag zuvor sitzt Martina Stoessel, der Star der argentinischen Disney-Telenovela "Violetta", im Empfangszimmer eines Münchner Luxushotels. Sie fragt, ob jetzt eine Kamera kommt. Das wäre nicht so gut, vor ihr steht noch ein wenig dekorativer Rest Apfelstrudel. Nein, keine Kamera. Dabei müsste man eigentlich schon zeigen, wie Martina Stoessel aussieht, wenn sie gerade nicht Violetta ist: hochgeschlossene Bluse, langer dunkler Rock, sehr ladylike. Kein Vergleich mit der bunt glitzernden Manga-Prinzessin auf der Bühne.

Martina Stoessel ist 18, mindestens ein Elternteil begleitet sie auf Tour

In Deutschland ist die argentinische Telenovela erst seit einem Jahr im Fernsehen zu sehen. Ihr gewaltiger Erfolg zeigt, dass die Globalisierung von Unterhaltung nicht mehr nur von den USA aus in den Rest der Welt vordringt. In "Violetta" hat zum ersten Mal eine lateinamerikanische Fernsehproduktion den europäischen Markt erobert. Kinder lieben die Serie. Die erste Staffel im Disney Channel hatte mehr als neun Millionen Zuschauer, 21 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Dem Sender zufolge kennen 71 Prozent der deutschen Zehn- bis Zwölfjährigen Violetta. Die Serie wurde in 15 Sprachen synchronisiert.

Und weil das Disney-Imperium schon immer meisterhaft in der Mehrfachverwertung war, ist das Phänomen Violetta schon längst von den Bildschirmen auf die Bühnen übergegangen. Auf ihrer Live-Tour durch Lateinamerika und Europa haben die Schauspieler der Serie mehr als 200 Konzerte gegeben. Es gibt Violetta-CDs, Violetta-Schuhe, Violetta-Tagebücher.

Martina Stoessel ist vor wenigen Tagen 18 geworden. An ihrem Geburtstag stand sie mit der "Violetta"-Tour in Genf auf der Bühne. Wollte sie nicht lieber feiern? Habe sie ja, sagt sie. Danach. Und überhaupt: Sie liebe das Tanzen und Singen, besser hätte der Abend für sie also gar nicht sein können. Ziemlich brav, denkt man da und erinnert sich, dass die Frau, die neben Martina Stoessel auf dem Sofa sitzt, ihre Mutter ist. Mindestens ein Elternteil begleitet sie auf Tour. Nervt das nicht? "Es erdet mich", sagt sie.

Ganz unbeteiligt sind ihre Eltern nicht an ihrem Erfolg. Ihr Vater Alejandro Stoessel ist Fernsehproduzent und Regisseur und war an der Entwicklung einer anderen Telenovela beteiligt: "Patito Feo" hieß sie, auf Deutsch "Das hässliche Entlein". Seine Tochter war begeistert von der Serie, "fanatica", wie sie selbst sagt. Irgendwann spielte sie selbst eine kleine Rolle darin und fing Feuer. "Mein Vater wollte mich und meinen Bruder eigentlich immer von der Branche fernhalten", sagt sie, er habe nicht gewollt, dass seine Kinder in das harte Unterhaltungsgeschäft einstiegen. "Aber er hatte das Pech, eine Tochter zu bekommen, die genau das wollte."

"Violetta" kommt aus dem Hause Disney - eine gewisse brave Makellosigkeit ist da Pflicht, und Martina Stoessel hat sie bisher überzeugend verkörpert, auch wenn auf ihren Händen jetzt die ersten Tätowierungen zu sehen sind. Die Hauptfigur der Serie ist 16, gerade mit ihrem überbehütenden Vater nach Buenos Aires gezogen und findet in einer Popmusikschule neue Freunde - und ihre erste große Liebe. "Violetta" ist eine wenig wagemutige Kreuzung aus "High School Musical" und "Hannah Montana": Schöne junge Menschen erleben das, was schöne junge Menschen allen Filmklischees nach eben so erleben. Dazwischen singen sie Popsongs.

Doch man muss sagen, dass Martina Stoessel diese Popsongs wirklich gut singt. Nicht originell, aber im Rahmen des Mainstream-Pop, den sie bedient: gut. Ihre Stimme ist tief für eine 18-Jährige, manchmal hat sie diese angenehme Rauheit, die, auf die Spitze getrieben, Shakira berühmt gemacht hat. Wenn Martina Stoessel singt, meint man immer ein bisschen mehr echtes Gefühl zu hören, als die Plastik-Kulissen-Welt von Violetta suggeriert. Das geht so weit, dass man ihr nicht einmal böse sein kann, wenn sie da im Rüschenkleid auf der Megabühne steht und sagt: "I love you", diesmal zum Publikum.

Aus dem Disney-Kosmos sind einige der größten Popstars der Gegenwart hervorgegangen. Britney Spears, Justin Timberlake, Miley Cyrus. Alle mussten sich von ihren Kindheitsrollen emanzipieren. Das steht nun auch Martina Stoessel bevor. Ob sie sich in ein paar Jahren nackt auf einer Abrisskugel sitzen sieht wie Miley Cyrus? Martina Stoessel lacht und sagt, natürlich: "Nein."

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Jetzt plant sie ein eigenes Album

Trotzdem ist schwer zu übersehen, dass Martina Stoessel gerade dabei ist, sich von ihrer romantischen Serienrolle zu lösen. Es ist nicht nur an der eleganten Kleidung erkennbar, die sie jenseits der Bühne trägt, und nicht nur an diesem lakonischen Satz im Interview: "Violetta geht dem Ende entgegen", obwohl noch 80 Folgen ausstehen und auch darauf gewiss noch einiges aus dem Violetta-Universum folgen wird. Man merkt es an der Bestimmtheit, mit der Martina Stoessel von ihren Zukunftsplänen spricht: "Ich will jetzt ein eigenes Album aufnehmen."

In einem Alter, in dem andere Mädchen noch Fan sind, von Popstars oder Schauspielern, hat Martina Stoessel selbst schon Millionen Verehrerinnen. Wenn man sie nach ihrem eigenen Idol fragt, kommt die Antwort sofort, ohne nachzudenken: "Beyoncé". Wer das weiß, sieht es ihr auf der Bühne an: Die Glamourwellen, in die Martina Stoessel sich ihr Haar legen lässt. Wie sie selbstbewusst in großen Schritten von links nach rechts stolziert. Die zackige Aggressivität der Bewegungen. Noch fehlt da ein bisschen die Wucht, vielleicht auch bloß der Oberschenkelumfang, aber die Energie und der Wille, die sind da.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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