Versicherungen und Unfallopfer:7,2 Millionen für ein Leben

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Ein Streit mit Beispielcharakter: In Hamburg kämpft ein schwer hirngeschädigtes Unfallopfer um die höchste Versicherungssumme aller Zeiten.

Ralf Wiegand, Hamburg

Eine Kfz-Haftpflichtversicherung hat jeder, der ein eigenes Auto fährt. Seitdem man solche Verträge online abschließen und kündigen kann, tun das viele Autofahrer sogar jedes Jahr: Sie klicken sich durch hunderte Angebote, um eine Versicherung zu finden, die noch ein bisschen günstiger ist als die alte. Rabatte gibt es für Viel- oder Wenigfahrer, für Frauen und für Garagenparker.

Was aber wirklich zählt, ist online nicht zu erfahren. Wie verhält sich die Versicherung, wenn es darauf ankommt? Wie viel zahlt sie einem Opfer nach einem schweren Unfall tatsächlich?

Die Summen in den Policen erscheinen abenteuerlich hoch: Personenschäden sind in der Regel bis zu einer Obergrenze von acht Millionen Euro abgedeckt. Ausgezahlt wurde das in Deutschland jedoch noch nie.

"Diese Summen stehen da drin", sagt Wolfgang Leix von der Münchner Generali-Versicherung etwas ratlos, "weil der Gesetzgeber das im Rahmen der Opferentschädigung vorgesehen hat, falls es solche Schäden einmal gegen sollte." Nun könnte es soweit sein.

Das Landgericht Hamburg verhandelt am Donnerstag über die höchste Entschädigungssumme, die je ein Unfallopfer von einer Versicherung gefordert hat. Brigitte T., 58, Mutter der 23 Jahre alten Sarah T., streitet für ihre Tochter um 7,2 Millionen Euro. Diese Summe hat Anwalt Jürgen Hennemann ausgerechnet, "aufs Komma, jeden Posten", sagt er. Adressat der Forderung: die Generali-Versicherung.

"Sie war fast tot"

Sarah T. stand bis vor vier Jahren mitten im Leben. Die Hamburgerin war jung verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes, als sie mit ihrer Familie in die Ferien fuhr. Sie kamen bis zum Brenner, dann krachte es fürchterlich. Sarah wurde aus dem Auto geschleudert, "sie war fast tot", sagt Anwalt Hennemann. Multiple Schädigungen des Gehirns und des Körpers hinterließen irreparable Folgen. Mann und Sohn überstanden den Unfall vergleichsweise glimpflich.

Heute ist Sarah T. ein Pflegefall. Ihre Mutter betreut sie rund um die Uhr in einer nicht behindertengerechten Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, kümmert sich um den Enkel. Der Mann ist weg. Mit ihrem Sohn kann Sarah, seit sie eine neue Therapie begonnen hat, "ganz rudimentär kommunizieren", sagt Anwalt Hennemann, ein Lichtblick. Doch die Lebensbedingungen grundsätzlich zu verbessern, kostet viel Geld.

Dass die Generali leistungspflichtig ist, wie es im Versicherungsdeutsch heißt, sie also für das erlittene Leid von Sarah T. einen finanziellen Ausgleich leisten muss, "dazu haben wir immer gestanden", sagt Wolfgang Leix von der Versicherung. Alles andere, Höhe und Art der Entschädigung, ist strittig.

Mit harten Bandagen

Gekämpft wird, sagt Sarah T.s Anwalt, "mit ganz harten Bandagen". Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Brigitte T. möchte mit dem Geld das Leben ihrer Tochter absichern. Sie selbst wird nicht ewig da sein. 33 Euro kostet eine Stunde Pflege, 24 Stunden am Tag muss Sarah umsorgt werden, sieben Tage in der Woche, ihr ganzes, vielleicht noch 30, 40 Jahre währendes Leben. Dazu kommen Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Therapie- und Behandlungskosten. "7,2 Millionen Euro", sagt Hennemann, "sind nicht aus dem Orbit gegriffen".

Die Versicherung würde weiter lieber eine monatliche Rente zahlen. Im Moment überweist sie 4000 Euro. Zum Vergleich: Nach Hennemanns Berechnungen belaufen sich allein die künftigen Pflegekosten auf über 23.000 Euro monatlich. Die Versicherung argumentiert, es gebe keine rechtliche Grundlage, die Schadenssumme auf einmal auszubezahlen. "Dazu gibt es keine Rechtsprechung", sagt Wolfgang Leix.

Erstaunlicherweise hat die Generali aber im Februar 2008 genau das angeboten: die Abgeltung aller Ansprüche gegen eine Zahlung von einer Million Euro. Die Seite von Sarah T. lehnte ab. Das Angebot sei "ein erster Aufschlag gewesen, um überhaupt ins Gespräch zu kommen", sagt Generali-Sprecher Leix heute. Tatsächlich war es aber kein Angebot, sondern die Reaktion auf die damalige erste Forderung Sarah T.s von etwa vier Millionen Euro. Danach habe Generali die Gespräche abgebrochen, sagt Jürgen Hennemann.

Unredlich - und branchentypisch

Der Anwalt hält die Strategie der Versicherung für unredlich - und branchentypisch. Seiner Erfahrung nach wollten die Unternehmen Versicherte erst "zermürben", indem sie ihnen jahrelang kleine Renten zahlten oder sie sogar einzelne Belege einreichen ließen, um sie dann mit einer Einmalzahlung, deren Höhe die Versicherung bestimme, abzufinden.

Wer sich nicht jahrelang mit der Versicherung streiten wolle, schlage meist ein. Hennemann glaubt, dass das Gesetz es hergibt, dass das Opfer selbst wählen kann, den gesamten Schaden auf einmal ausbezahlt zu bekommen, wie er es für Sarah T. anstrebt. Weil lebenslange Auseinandersetzungen mit der Versicherung unzumutbar seien.

Sollte er erfolgreich sein, glaubt Hennemann, "bricht das Schadensregulierungsmodell zusammen, mit dem die Versicherungswirtschaft die Versicherten seit Jahren am Nasenring durch die Manege gezogen hat". Brigitte T. will Tochter Sarah zur Verhandlung mitbringen.

© SZ vom 10.06.2009/liv/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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