Ein paar Bäume als Sichtschutz reichen ihm nicht. Ole Morten Jensen will das Denkmal dort nicht haben, direkt am Seeufer, an dem sich lediglich eine kleine Straße zwischen Wasser und Berghang entlangschlängelt. Nur wenige Häuser stehen hier, von seiner Terrasse aus kann Ole Morten Jensen die Insel Utøya sehen. "Wir versuchen, unsere normalen Leben wiederzubekommen", sagt Jensen. "Mein normales Ich ist 2011 verschwunden."
Das Denkmal soll an die 69 Menschen erinnern, die Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 auf Utøya ermordet hat. Wenn es tatsächlich kommt, so glaubt Jensen, wird für ihn alles noch schlimmer. Zwei Jahre haben er und andere Anwohner versucht, diese "Wunde der Erinnerung" zu verhindern. Nun wollen sie die norwegische Regierung verklagen, ihr Anwalt hat dem Staat einen entsprechenden Bescheid geschickt. Und die Regierung hat bereits geantwortet: Sie hält an ihren Plänen für das Denkmal fest.
Den Namen "Memory Wound" hat der Schwede Jonas Dahlberg der Gedenkstätte gegeben, er hat sie entworfen. Nicht für die Insel Utøya selbst, dort wäre sie schlecht erreichbar gewesen. Stattdessen soll sie am Festland gegenüber der Insel entstehen, nicht weit von Jensens Haus entfernt. Dort möchte Dahlberg eine Landzunge, die in den See hineinragt, komplett durchtrennen, sie vom Festland abschneiden. In den Schnitt hinein plant er eine Einbuchtung als eine Art Balkon für die Besucher. Auf der Felswand gegenüber sollen dann die Namen der Opfer zu lesen sein. Der Spalt, der bis unter die Wasseroberfläche reicht, liegt dazwischen. So soll der Verlust spürbar werden.
Viele Anwohner könnten den Schnitt durch die Halbinsel von ihren Häusern aus sehen. Manche führen täglich daran vorbei. Sie sagen, dass sie so ständig an jenen schrecklichen Tag erinnert würden, den sie eigentlich vergessen möchten. Viele von ihnen haben damals verletzten Jugendlichen geholfen. Sie sind mit ihren Booten auf den See hinaus gefahren und haben die aus dem Wasser gezogen, die um ihr Leben schwammen. Sie erinnern sich noch gut an die Rettungswagen, die tagelange Suche nach den vielen Toten. Sie wollen ihre Ruhe - und fürchten sich vor den vielen Besuchern, die das Denkmal sehen wollen.
Ihr Protest hat die Bauarbeiten lange verzögert, ursprünglich sollte das Denkmal zum Jahrestag 2015 fertig werden. Nun will die Regierung es 2017 eröffnen, die Entscheidung in Oslo fiel im März. Danach engagierten die Anwohner den norwegischen Anwalt Harald Stabell. Einige seiner Klienten litten nach dem 22. Juli unter gesundheitlichen Problemen, sagt er. Der Spalt mit den Namen sei eine ständige Erinnerung an Schmerz und Verlust. Hätte die Regierung einen anderen Ort gefunden, hätte es ohne weiteren psychologischen Schaden für die freiwilligen Helfer von damals gebaut werden können, sagt er.
"Wir sind natürlich bereit, über Anpassungen zu diskutieren", meint Nora Ceciliedatter Nerdrum von der Behörde für Öffentliche Kunst in Norwegen. Sie ist für die Umsetzung zuständig. Denkbar sei etwa "abschirmende Bepflanzung", um den Blick der Anwohner auf das Kunstwerk einzuschränken. Dass die nun klagen wollen, überrasche ihre Behörde nicht. "Wir hatten mehrere Treffen mit ihnen im vergangenen Jahr und sie haben klargestellt, dass sie das Denkmal auf der Halbinsel Sørbråten nicht wollen", sagt Nerdrum.
Die Behörde habe auch mit der National Support Group für Angehörige und Opfer und mit der sozialdemokratischen Jugend AUF gesprochen, deren Sommerlager Breivik damals auf Utøya angriffen hatte. "Sie sehnen sich nach einem Denkmal, wo sie sich an ihre Freunde und Angehörigen erinnern können", so Nerdrum. Wenn es zum Verfahren kommt, würde sich das Projekt wohl weiter verzögern. Ohne die Zustimmung der Regierung kann das Denkmal nicht versetzt werden. Und dann müsste der gesamte Prozess mit Ausschreibung, Architekturwettbewerb und Planungsverfahren noch einmal von vorne beginnen.
Eine Lösung zu finden, die jeder akzeptieren kann, sei unmöglich, hieß es im Antwortschreiben der Regierung. Die Bedenken der Anwohner seien sorgfältig berücksichtigt worden, schreiben dort Kulturministerin Linda Hofstad Helleland und Jan Tore Sanner, Minister für Kommunalverwaltung. Die Androhung eines Gerichtsverfahrens sei kein Grund, die Entscheidung für das Denkmal infrage zu stellen. Anwalt Stabell will den Fall nun so bald wie möglich vor Gericht bringen.