USA:"Bitte, helft uns!"

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Erstmals wird in den USA eine Zeitung zum Ziel eines bewaffneten Angriffs. Ein 38-Jähriger erschießt in der Redaktion der "Capital Gazette" im Bundesstaat Maryland fünf Menschen. Die Polizei spricht von einem gezielten Feldzug.

Dass sie überlebt haben, verdanken einige Reporter der Capital Gazette der Tatsache, dass Jarrod Ramos die Munition ausging. Mit einer Schrotflinte und Nebelgranaten war der 38 Jahre alte Mann am Donnerstagnachmittag in die Redaktionsräume der Zeitung in Annapolis im Bundesstaat Maryland gestürmt und hatte fünf Menschen erschossen und zwei verletzt. Einmal hatte er während seiner Attacke innegehalten, um nachzuladen. Als die Polizei eintraf, hatte er keine Patronen mehr. Er wurde festgenommen.

"Das war eine gezielte Attacke auf die Capital Gazette", sagte der örtliche Polizeichef William Krampf. Jarrod Ramos und die Zeitung lagen seit Längerem im Clinch. Im Jahr 2012 hatte er das Blatt wegen Verleumdung verklagt, weil es im Jahr zuvor berichtet hatte, dass er sich in einem Verfahren wegen Belästigung schuldig bekannt hatte. Ein Jahr lang hatte Ramos eine frühere Mitschülerin auf Facebook belästigt. Er wurde auf Bewährung verurteilt, zudem wurde angeordnet, dass er sich in eine Therapie begeben müsse.

Nach dem Blutbad in der Zeitungsredaktion in Annapolis nahmen Polizisten den mit einer Schrotflinte bewaffneten Täter fest. (Foto: Saul Loeb/AFP)

Vor Gericht befragt, was an dem Bericht über den Fall in der Capital Gazette falsch oder verleumderisch sei, konnte Ramos keine Antwort geben. Es war eher so, dass ihn prinzipiell störte, dass über den Fall berichtet wurde. Tom Marquardt, ehemals Chefredakteur des Blattes, erzählte am Donnerstag: "Ich habe einmal zu meinen Anwälten gesagt, das ist so ein Typ, der kommt irgendwann und schießt auf uns. Ich hatte Sorge, dass er es nicht bei juristischen Schritten belässt."

Als Ramos am Donnerstag schießend die Redaktionsräume betrat, versteckten sich die Anwesenden unter ihren Schreibtischen. Ein Praktikant twitterte die Adresse des Gebäudes in die Welt, verbunden mit der Aufforderung: "Bitte, helft uns!" Der für Verbrechen zuständige Reporter Phil Davis erzählte später: "Es gibt nichts Furchteinflößenderes als zu erleben, wie mehrere Menschen erschossen werden und dann zu hören, wie der Schütze nachlädt, während du unter deinem Schreibtisch kauerst."

Als die Polizei eintraf, kauerte auch Ramos unter einem Schreibtisch. Die Reporter hingegen kamen mit erhobenen Händen aus der Deckung und riefen: "Wir sind nicht der Schütze." Dieser ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen. Er verweigerte jedoch jegliche Kooperation, nicht einmal seinen Namen wollte er preisgeben. Den ermittelten die Beamten per Gesichtserkennung. Um seiner Identifizierung zu entgehen, soll sich Ramos zuvor die Finger verstümmelt haben. Ihm droht eine Anklage wegen fünffachen vorsätzlichen Mordes.

Als Reaktion auf den Anschlag verstärkte die Polizei ihre Präsenz rund um Medienhäuser im ganzen Land. Die New Yorker Polizei teilte dazu mit, dass die größere Präsenz nicht einer konkreten Bedrohung geschuldet sei, sondern einem "Übermaß an Vorsicht". Man wolle erst Genaueres über die Motive des Attentäters von Maryland in Erfahrung bringen. Im Übrigen sei ein solches Verfahren in solchen Fällen üblich. Zu Schießereien, beziehungsweise Amokläufen kommt es regelmäßig in den USA, betroffen sind meist Schulen, Kirchen oder Kinos. Ein gezielter Angriff auf eine Zeitung ist jedoch neu. Der Autor David Simon, der unter anderem die Fernsehserie "The Wire" verfasst hat, stellte auf Twitter einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und den permanenten medienfeindlichen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump her. Er tat das in drastischen Worten: "Blut in einer amerikanischen Redaktion", schrieb er. "Bist du nicht stolz, du niederträchtiger, faschistischer Hurensohn?" Dazu zitierte er einen Tweet, in dem Trump die Medien als Feinde des amerikanischen Volkes bezeichnet hat. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass nicht die Presse im Allgemeinen mit dem Anschlag gemeint war, sondern dass es sich um eine Fehde zwischen Ramos und der Capital Gazette handelte.

Die Zeitung zählt zu den ältesten der Vereinigten Staaten. In ihren besten Tagen zählte sie 250 Mitarbeiter. Mittlerweile arbeiten noch gut 20 Journalisten für das Blatt, dazu kommen Mitarbeiter in der Anzeigenabteilung. Die Überlebenden machten sich am Donnerstagabend daran, trotz des Anschlags auch für den Freitag eine Zeitung zu produzieren. Da die Büros von der Polizei gesperrt waren, versammelten sie sich mit ihren Laptops rund um einen Pick-up-Truck auf einem Parkplatz gegenüber der Redaktion. "Wir gehen nirgendwohin", sagte Fotograf Joshua McKerrow, "wir werden morgen erscheinen." Dabei weinte er.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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