Urteil zum Söldener Seilbahnunglück:Opfer der Anklage

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Das Gericht verurteilt den Unglückspiloten zu 15 Monaten auf Bewährung. Er sei schuld am Absturz der Gondel, bei dem neun deutsche Urlauber starben. Doch nach Zeugenaussagen traf ihn nur eine Teilschuld. Die Familien der Opfer empfinden das Urteil als zu milde.

Heiner Effern

Der Pilot der Unglücksmaschine hockte nur wenige Meter von den Familien der Todesopfer entfernt, als er zu Beginn seiner Vernehmung sagte: "Nicht schuldig."

Nicht schuldig sei er am Tod von neun Skifahrern aus Deutschland, die am 5. September vergangenen Jahres in Sölden ihr Leben verloren, als sich über dem Gletscherskigebiet der Lastkübel eines Transporthubschraubers löste und das Seil der Schwarzen Schneidbahn traf, sodass eine Gondel zu Boden geschleudert wurde und aus einer weiteren Kabine Fahrgäste regelrecht herauskatapultiert wurden.

Das Gericht sah das anders: Am Ende eines einzigen Prozesstages verurteilte es den Piloten zu 15 Monaten auf Bewährung. Er habe zwei Schutzvorschriften verletzt und sei "objektiven Sorgfaltspflichten" nicht nachgekommen; der Pilot hätte, so die Einlassung der Richter, mit einem solchen Unglück "rechnen müssen".

Ansonsten hatte die österreichische Justiz zur Überraschung der betroffenen Familien niemanden angeklagt. Der 36-Jährige hatte allein wegen fahrlässiger Gemeingefährdung und fahrlässiger Körperverletzung vor Gericht gestanden und mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen. Er selbst war sich jedoch keiner Schuld bewusst: "Damit hat man nicht rechnen können."

"Ich habe da kein Problem gesehen"

Als Markus J. am Unglückstag gegen Mittag zur Arbeit am Parkplatz des Gletscherskigebietes eintraf, waren aus seiner Sicht keine Komplikationen zu erwarten. Die Checks am Helikopter verliefen einwandfrei, und die Route stand nach einem Gespräch mit dem Polier der ausführenden Baufirma schnell fest: Das Überfliegen der Piste war wegen des Skibetriebs tabu, Straßen und Wege ebenfalls, also ergab sich eine natürliche Route, die zweimal die laufende Kabinenbahn kreuzte.

"Ich habe da kein Problem gesehen", sagte er, obwohl er damals wusste, dass es anders lautende Vorschriften gibt.

Die ersten Flüge gingen glatt, doch nach einem Start gegen 13 Uhr schoss der Hubschrauber plötzlich nach oben. "Mir war sofort bewusst, dass ich die Last verloren hatte." Er bekam den Helikopter relativ schnell in den Griff, flog eine Kurve und sah, dass das Seil der Bergbahn zu schwingen begann.

Das von der Staatsanwaltschaft angeordnete Gutachten hat ergeben: Auslöser für das Ausklinken des 750 Kilogramm schweren Betonkübels war wahrscheinlich ein technischer Defekt. Ein abgeriebener Metallspan könnte einen Kurzschluss erzeugt und so die Öffnung des Hakens verursacht haben.

Ein Abwurf aus Versehen schied somit aus, alles konzentrierte sich nun auf die Frage, ob der Pilot die Route über die Bahn fliegen durfte. Die Vorschriften sagten dazu eindeutig nein, doch bestätigten alle Beteiligten am Bauvorhaben, dass dies die einzig mögliche Verbindung gewesen sei.

Staatsanwältin Silvia Geymayer trug mit ihren wenigen Fragen kaum dazu bei, Klarheit in die Verantwortung für den Unglücksflug zu bringen.

Ausschließlich das Nachbohren der Nebenkläger, die in Österreich Privatbeteiligte genannt werden, zeichnete ein Bild von den Arbeitsbedingungen an der Gletscherbaustelle: Weder in der Baufirma, welche die Betonarbeiten an der Bergstation ausführte, noch im Hubschrauberunternehmen selbst oder bei den Ötztaler Gletscherbahnen machte man sich nach Aussagen von Zeugen Gedanken, ob das Queren der Seilbahntrasse mit einem Lastenhubschrauber für die Fahrgäste gefährlich sein könnte.

Die Piste sei nur umgangen worden, weil der Betonkübel Wasser verlor und man das Risiko vermeiden wollte, die Kleidung von Skifahrern zu verschmutzen. Über das Anhalten der Bergbahn oder die Verlegung der Flüge auf die Zeit nach Betriebsschluss sei, sagten Zeugen aus, nicht nachgedacht worden. "Da sind viele Organisationsfehler, Sorglosigkeiten und Schlampereien zu erkennen", sagte Anwalt Hanns Forcher-Mayr, der einige Familien als Nebenkläger vertritt.

Sein Kollege Christian Rohde hielt die Anwesenheit der betroffenen Familien auch deshalb für wichtig, damit "hier nicht mal schnell kurzer Prozess gemacht wird" - vergeblich. Forcher-Mayr kritisierte, dass immer wieder tauchen neue Namen auftauchten. "Jeder will sich von jeder Verantwortung verabschieden." "Der Pilot", so der Anwalt, sei "allenfalls ein Mitschuldiger.

Die Bergbahnen, die Hubschrauber-Firma und das Bauunternehmen gehören ebenfalls auf die Anklagebank", so Forcher-Mayr. Rohde sah das ähnlich. "Das ist für uns nicht das Ende, sondern der Anfang der Strafverfahren."

© SZ vom 23.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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