Unwetter auf Mallorca:Überrascht von der "Gewalt des Wassers"

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  • Nach heftigen Regenfällen und anschließenden Überschwemmungen auf Mallorca sind neun Menschen ums Leben gekommen.
  • Die EInwohner im Osten der Insel, der von dem Unwetter besonders betroffen ist, beklagen sich über das Kompetenzwirrwarr der Behörden.

Von Thomas Urban

Die beiden Briten saßen gerade im Taxi, als es über Mallorca zu schütten begann. Das Auto fuhr in der Gemeinde Sant Llorenç des Cardassar auf einer Straße, die an einem Bach entlangführt. Ein Rinnsal eigentlich, das durch den Regen binnen Minuten zu einem Sturzbach anschwoll. Die beiden Touristen konnten sich nicht mehr aus dem Auto befreien und ertranken. Der Fahrer schaffte es noch ins Freie, er wurde aber vermutlich von den Wassermassen fortgerissen und gilt als vermisst. Außer den Briten haben am Dienstagabend noch mindestens acht weitere Menschen bei dem Unwetter auf der Baleareninsel ihr Leben verloren. Bei den meisten handelt es sich um Menschen im Rentenalter. "Sie konnten nicht rechtzeitig in die höher gelegenen Ortsteile laufen oder auf Bäume klettern", sagte eine Dorfbewohnerin. Eine ältere Invalidin wurde in ihrem Keller vom Wasser überrascht. Ihr Nachbar klagte: "Niemand hat uns gewarnt. Im Wetterbericht war nur von starkem Regen die Rede." Aber auch ein fünfjähriges Kind ist vermisst. Es war kein Starkregen im normalen Ausmaß, der da über Mallorca niederging. Eine Wasserhose erfasste den Osten der Insel, ein Wirbelsturm also, der große Mengen an Flüssigkeit aufsaugt und dann sturzartig freigibt. Kein übliches Wetterereignis auf den Balearen. In Sant Llorenç des Cardassar gingen am Dienstagnachmittag binnen nur sechs Stunden etwa 220 Liter Regen pro Quadratmeter nieder, eine Menge, die noch nie zuvor gemessen wurde. Selbst die Meteorologen waren von der Heftigkeit des Unwetters überrascht. Die Wassermassen brachen aus dem Gebirgszug Serres de Llevant über die Dörfer in den Tälern hinein. Ein Dutzend Straßen wurden gesperrt, weil Sturzbäche zu Erdrutschen geführt hatten oder teilweise den Asphalt wegrissen. Dutzende Autos wurden von Schlammlawinen mitgerissen, kleinere Gebäude brachen zusammen. Der tiefer gelegene Ortsteil von Sant Llorenç, in dem drei Bäche zusammenfließen, wurde größtenteils überschwemmt. Mehr als 200 Menschen wurden obdachlos, weil ihre Häuser unter Wasser standen, mehrere Dutzend Gebäude wurden so sehr beschädigt, dass sie abbruchreif sind. Sechs Menschen wurden zunächst vermisst. Die stellvertretende Bürgermeisterin Antonia Bauzo sagte im Fernsehen: "Wir waren völlig hilflos angesichts der Gewalt des Wassers." Deutsche sind nach Auskunft des Generalkonsulats der Bundesrepublik in Palma nicht unter den Opfern. In den großen Touristenregionen regnete es zwar auch stark, aber die Niederschläge nahmen kein katastrophales Ausmaß an. Die Rettungsarbeiten in der Gegend um Sant Llorenç des Cardassar wurden erheblich dadurch erschwert, dass der Strom ausfiel und somit auch eine Verbindung über Mobiltelefone nicht möglich war.

Vom Wasser fortgespülte und zerstörte Autos in Sant Llorenç, jenem Ort auf Mallorca, der am stärksten von dem Unwetter betroffen ist. (Foto: Atienza/EPA-EFE/REX/Shutterstock)

Anhaltender starker Regen und tief hängende Wolken schränkten am Mittwoch den Einsatz von Rettungshubschraubern stark ein. Nur vorübergehend brach der Himmel auf, und die Sonne schien. Auch gelang es nicht sofort, die Stromversorgung wieder vollständig herzustellen.

Die lokalen Medien berichteten von einem Kompetenzwirrwarr zwischen der regionalen und der nationalen Polizei, zwischen dem Katastrophenschutz und den auf Mallorca stationierten Militäreinheiten, die mit schwerem Gerät bei den Bergungs- und Reparaturarbeiten eingesetzt wurden. Unter Regionalpolitikern setzte ein Streit darüber ein, wer die Verantwortung für die offenkundig nicht ausreichenden Notfallpläne und für die schlechte Infrastruktur im Katastrophenfall trägt. Es gebe keine Funkverbindungen, die auch im Notfall funktionieren, und auch keine ausreichende Notstromversorgung. Hingewiesen wurde auch darauf, dass die Kanalisation in den meisten Orten seit Jahren vernachlässigt worden sei; immer wieder habe sich gezeigt, dass auch bei gewöhnlichen Regenfällen das Wasser nicht schnell genug abfließen könne, da die Rohre teilweise verstopft seien. Auch müsse das meteorologische Warnsystem auf der Insel dringend verbessert werden.

Fahrzeuge - teilweise noch mit angeschalteten Rücklichtern - verschwinden in der besonders stark betroffenen Ortschaft Sant Llorenç in den Wassermassen. (Foto: dpa/Policía Nacional)

Naturschützer verweisen darauf, dass die Abholzung der Mittelgebirge sowie die intensive Landwirtschaft die Bildung von Sturzbächen begünstigt habe; Monokultur habe die Aufnahmefähigkeit des Bodens stark beeinträchtigt. Auch sind Wiesen neben den Bächen, die früher bei starken Regenfällen das Wasser aufgenommen haben, während des Baubooms in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts weitgehend zubetoniert worden. Im spanischen Fernsehen sagte ein Vertreter der Kommunalverwaltung: "Leider ist der Boden in den Ortschaften in den Tälern weitgehend versiegelt, es gibt kaum noch Sickerflächen."

Das Ausmaß und die Stärke der Niederschläge sind nach Meinung von Experten auch eine Folge des Klimawandels. Ein Meteorologe der Wetterwarte von Palma warnte: "In Zukunft wird es viel öfter Unwetter in dieser Dimension geben." Die vergangenen Sommer waren in Spanien ungewöhnlich heiß, trocken und lang; der Herbst mit immer stärkeren Regenfällen währte dagegen kaum länger als einen Monat, bevor meteorologisch der Winter einsetzte, bei dem das Wetter meist stabil kühl ist.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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