Unfallfahrer von Hamburg-Eppendorf:Epileptiker nach tödlichem Verkehrsunfall zu Haftstrafe verurteilt

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Der Unfall hatte Hamburg erschüttert: Ein Mann verlor auf einer Kreuzung im Stadtteil Eppendorf die Kontrolle über sein Auto und raste in eine Gruppe Fußgänger und Radler, vier Menschen kamen dabei ums Leben. Dafür ist der Epileptiker jetzt zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden - den tödlichen Unfall nahm er nach Auffassung des Gerichts in Kauf.

Vanessa Steinmetz

Bis zuletzt wollte er es sich und den Angehörigen seiner Opfer wohl nicht eingestehen: Dass er Epileptiker ist. Dass er sich nicht hinter das Steuer eines Autos hätte setzen sollen. Dass er es doch tat und einen Krampfanfall erlitt - und dadurch vier Menschen tötete, darunter den Schauspieler Dietmar Mues und dessen Frau sowie den Sozialforscher Günter Amendt.

Der Angeklagte (r.) und sein Verteidiger Ralph-Dieter Briel vor der Urteilsverkündung: "Ich bin kein unverbesserlicher Totraser." (Foto: dpa)

Doch das Hamburger Landgericht ist überzeugt von der Diagnose Epilepsie. Die Kammer hat den Unfallfahrer von Hamburg-Eppendorf am Dienstag wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Das Leid der Angehörigen sei unermesslich, sagte die Vorsitzende Richterin, die von einer hohen Strafe sprach und dem Angeklagten vorwarf: "Sie haben Ihre Erkrankung seit 20 Jahren verdrängt und Ihre Ärzte nicht voll informiert." Er hätte erkennen müssen, dass jederzeit mit einem epileptischen Anfall zu rechnen war - der Unfall sei für ihn vorhersehbar gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Neben der Haftstrafe ordnete das Gericht auch die Einziehung der Fahrerlaubnis an.

Seit etwa zwei Monaten muss sich der 40-Jährige vor Gericht für den schweren Unfall verantworten. "Ich bin kein unverbesserlicher Totraser" sagte der Angeklagte noch in seinem Schlusswort und zeigte sich betroffen: "Jeder Tag und jede Stunde ist eine Last." Er werde nie wieder ein Auto fahren. Für die Opfer kommt diese Einsicht zu spät.

Es war ein sonniger Frühlingstag im März vergangenen Jahres, ein Samstag: Die Anwohner drängen im gepflegten Hamburger Stadtteil Eppendorf auf die Straße. Vor einer Ampel wartet eine Gruppe Menschen, unter ihnen auch das Ehepaar Mues, das mit einem Tandem unterwegs ist. Plötzlich durchdringt ein lauter Knall das Idyll, Bruchteile später schleudert ein Auto auf die wartenden Menschen zu. Zeugen berichten später vor Gericht, der Kleinwagen sei mindestens zwei Meter hoch geflogen.

Dann ist alles still. Vier Menschen sind tot. Noch Monate später legen Anwohner frische Blumen an der Kreuzung ab, auch die Gedenkveranstaltung für die Opfer im Jahr darauf wird von Fassungslosigkeit bestimmt - vor allem weil der tödliche Unfall wohl hätte verhindert werden können.

Die Kammer ist ebenso wie die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass der Angeklagte an Epilepsie leidet und bei einem Anfall die Kontrolle über seinen Wagen verlor. Mit mindestens Tempo 100 raste er über eine rote Ampel, stieß mit einem zweiten Wagen zusammen und schleuderte in die Menschengruppe.

Schon vorher verursachte der Angeklagte Unfälle, bei denen Krämpfe eine Rolle gespielt haben sollen - und trotzdem setzte er sich wieder ans Steuer. Das sei verantwortungslos gewesen, sagte Anklagevertreterin Sinja Sternsdorff in ihrem Plädoyer. "Er hat überhaupt kein Bewusstsein dafür, welche Fehler er gemacht hat", sagte Sternsdorff. Sie forderte drei Jahre und neun Monate Haft.

Diagnose Epilepsie unstrittig

Zu Beginn des Prozesses hatte sich der Angeklagte im dunklen Sitzungssaal 237 des Landgerichts regungslos gezeigt. Zur Sache wolle er sich erst später äußern, ließ er über seinen Verteidiger wissen. Die drei Söhne des getöteten Ehepaares Mues, die dem Unfallfahrer beim Prozessauftakt als Nebenkläger schräg gegenüber saßen, warteten zunächst vergebens auf Zeichen der Reue. Sieben Verhandlungstage dauerte es, bis der 40-Jährige sein Schweigen brach.

"Es tut mir unsagbar leid", sagte er schließlich. "Ich bitte um Verzeihung, könnte mir an Ihrer Stelle aber nicht verzeihen." Der Unfall sei für ihn "aus heiterem Himmel" gekommen. Epileptiker sei er aber nicht - obwohl er nach eigenen Angaben seit 2005 Medikamente gegen die Krankheit nimmt. Er habe nicht mit einem Anfall rechnen können, argumentierte auch sein Verteidiger. Er forderte einen Freispruch.

Der Darstellung des Angeklagten widersprechen allerdings eine ganze Reihe von Zeugenaussagen und auch für zwei Gutachter - einen Neurologen und einen Rechtsmediziner - ist die Diagnose Epilepsie unstrittig.

Für die Anfälle fand der Angeklagte jedoch immer wieder neue Erklärungen: Seine Kollegen, die vor Gericht von wiederholten Krämpfen des Angeklagten sprachen, hätten sich möglicherweise "schlichtweg geirrt". In seinen Krankenakten aufgeführte Gehirnerschütterungen begründete er damit, sich auf der Toilette beziehungsweise unter dem Schreibtisch den Kopf gestoßen zu haben.

Für die Söhne der Opfer wohl der blanke Hohn. "Was eine Entschuldigung sein sollte, war für mich eine Beleidigung", sagte Woody Mues. Die Familie wolle dem Todesfahrer deshalb nicht helfen, sein Gewissen zu erleichtern. "Wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an", sagte der älteste Bruder, Schauspieler Wanja Mues. Die Höhe der Strafe habe letztlich für die Familie keine Bedeutung. "Egal, wie dieses Urteil aussieht, die Toten werden nicht mehr auferstehen."

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