U-Boot-Unglück:Ein russischer Katastrophen-Cocktail

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Überleben geht vor Nationalstolz - die russische Militärführung hat dazugelernt und akzeptiert überraschend die Hilfe von Nato-Staaten bei der Bergung der U-Boot-Besatzung.

Frank Nienhuysen

Jelena Milaschewskaja blieb äußerlich ziemlich gefasst, als sie die russischen Fernsehreporter in ihre Wohnung ließ. In Ruhe zeigte sie ihnen ein paar hübsche Fotos von ihrem Mann Wjatscheslaw, auf einem sitzt er in weißem Marinehemd und mit verschränkten Armen in der Ecke, während eine der kleinen Zwillingstöchter respektlos die Zunge rausstreckt.

Rettung kam aus Großbritannien mit dem kleinen Tauchroboter. (Foto: Foto: AFP)

Auch ihr Hochzeitsfoto zeigt sie her, sie selber in weißem Brautkleid, er in blauer Uniform. "Mein Mann ist sehr erfahren, er hat als Kapitän bereits sieben Tauchgänge geleitet", sagte sie tapfer. Da kämpfte der U-Boot-Kommandant der Pris gerade um sein Leben.

Was Jelena Milaschewskaja wirklich gedacht hat in jenen öffentlichen Minuten, ob sie sich ausreichend informiert und betreut fühlte, all das hat sie für sich behalten.

Andere haben keine Rücksichten genommen. "Die Militärführung vernebelt den Zivilisten wieder nur die Gehirne", sagte ein ehemaliger Marinesoldat der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda. "In den fünf Jahren seit dem Untergang der Kursk hat sich nichts geändert."

Nach der Tragödie um das prestigeträchtige Atom-U-Boot im Jahr 2000 hat die russische Führung ihre große Chance verspielt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Statt klar zu informieren, mixte sie auch diesmal die verschiedensten Zutaten zu einem typisch russischen Katastrophen-Cocktail: Ein harmloses Fischernetz entpuppt sich als geheimnisvolle Abhöranlage, der Sauerstoff im U-Boot reicht erst für bis zu fünf Tagen, dann nur für 24 Stunden, dann doch wieder für zwei, drei Tage.

Und Präsident Wladimir Putin, der nach dem Untergang der Kursk tagelang abgetaucht war und dafür in Russland harsch attackiert wurde, ließ auch diesmal einfühlsame Worte vermissen, die die Angehörigen und das Volk vielleicht getröstet oder beruhigt hätten. Bis Sonntagabend blieb er stumm.

Immerhin beharrte er darauf, dass sich Verteidigungsminister Sergej Iwanow auf den Weg nach Kamtschatka machte - mehr als zwei Tage nach Beginn des Unterseedramas.

Doch Russland hat auch gelernt. Anders als noch vor fünf Jahren orderte das Militär diesmal verhältnismäßig schnell ausländische Hilfe und stellte so das Leben der Besatzung eindeutig vor russischen Nationalstolz. Wjatscheslaw Milaschewskij und seine sechs geretteten Kollegen dürften dabei allerdings froh sein, dass nicht Eduard Baltin, Held der untergegangenen Sowjetarmee, ihr oberster Dienstherr ist.

Der inzwischen pensionierte Chef der russischen Schwarzmeerflotte kritisierte nämlich den Hilferuf seiner ehemaligen Kollegen als schweren Fehler. Soldaten der Nato hätten nichts zu suchen in einer Region, die voll sei mit russischen Geheimobjekten, sagte Baltin nach Berichten der Nachrichtenagentur Interfax. Die russische Marine wäre sehr wohl selber in der Lage gewesen, das verhedderte Mini-U-Boot aus seiner Not zu befreien.

Das war sie nicht, wie sich schnell herausstellte, und auch deshalb lieferte das russische Militär genug Munition für die Opposition. "Diese Geschichte mit dem U-Boot wirft eine ganze Menge Fragen an das Militär und das Verteidigungsministerium auf", sagte Dmitrij Rogosin, Vorsitzender der nationalistischen Partei Rodina. Unklar ist nur, ob sie auch richtig und in vollem Umfang beantwortet werden.

© SZ vom 8.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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