Geschichte:Tulpe - die Blume der Spekulation

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Die "Semper Augustus" galt ob ihrer Seltenheit und Schönheit einst als Königin der Tulpen. (Foto: Mauritius Images/Art Collectio)

Im 17. Jahrhundert wurden Tulpenzwiebeln zum Objekt ökonomischer Gier, die angeblich als Geschenk eines muslimischen Herrschers nach Europa kam. Rückblick auf eine wahre Tulpenmanie.

Von Florian Welle

Eine Tulpe ist eine Tulpe ist eine Tulpe. Weit gefehlt! Einst galten die heute leicht zu erwerbenden, so überaus farbintensiven Blumen als Luxusgut, für das im Holland des Goldenen Zeitalters nicht wenige bereit waren, mehrere Tausend Gulden hinzulegen. Zur Einordnung: Ein Zimmermann verdiente um das Jahr 1630 250 Gulden im Jahr; Rembrandt erhielt für seine "Nachtwache" ein Honorar von 1600 Gulden; und ein Grachtenhaus in Amsterdam kostete rund 10 000 Gulden.

Als Königin der Tulpen galt ob ihrer Seltenheit und sinnbetörenden Schönheit damals die "Semper Augustus". Sie gehörte zur Gruppe der Rosen-Tulpen und war eine sogenannte "Gebrochene". Deren Grundton war ursprünglich weiß oder gelb, die Ränder der Blätter wurden jedoch unter anderem durch violette, rote oder braune Streifen aufgebrochen.

Neben der Vielzahl einfarbiger Tulpen existieren diese Sorten heute als sogenannte Rembrandt-Tulpen und sind gesunde Züchtungen. Denn was man erst im 20. Jahrhundert herausfand: Das besondere Aussehen der "Gebrochenen" ist auf eine Viruskrankheit zurückzuführen.

Den lebendigen Eindruck einer "Semper Augustus" erhält, wer etwa das prächtige Tulpenbuch von Judith Leyster von 1643 oder Robert Thorntons "The Temple of Flora, or Garden of Nature" aus der Wende zum 19. Jahrhundert studiert. Selbst auf Papier fasziniert die Blume mit ihrem schlanken, hohen Stiel und den sechs Blütenblättern, deren Weiß mit tiefroten feuerähnlichen Flammen aufs Eleganteste eingerahmt scheint.

Weil keiner damals in der Lage war, diese Blumen mit vorhersehbarem Ergebnis zu züchten, wurden für Zwiebeln der "Semper Augustus" (oder der violett geflammten "Viceroy", der unangefochtenen Herrscherin aus der Gruppe der sogenannten Violetten) schon mal 2000 Gulden aufwärts geboten.

1637 brach der Tulpenhandel fast schlagartig zusammen - nach einer Auktion

Unvorstellbare Preise, die schließlich zu einem Tulpenwahn führen sollten, der immer bizarrere Ausmaße bis hin zu windigen Termingeschäften annahm und an dem am Ende nicht nur die privilegierte Schicht beteiligt war, sondern ebenso Bauern, Handwerker, Hausierer.

Der Handel mit Tulpenzwiebeln in den Hinterzimmern verrauchter Wirtshäuser begann in den Dreißigerjahren des 17. Jahrhunderts immer mehr zu florieren, bis er 1637 nach einer Auktion in Alkmaar fast schlagartig zusammenbrach. Vor zwei Jahren hat der opulente, mit Christoph Waltz und Judi Dench hochkarätig besetzte Film "Tulpenfieber" die überhitzte Atmosphäre des Kaufens und Verkaufens einzufangen versucht.

Die Tulpe ist also eine Blume mit einer bewegten Geschichte, die noch immer Rätsel aufgibt. "Selbst heute noch gehen die Meinungen darüber auseinander", schreibt der Historiker Mike Dash in seinem "Tulpenwahn"-Buch, "ob die Tulpenmanie als klassisches Beispiel eines Schwindels zu begreifen ist - das heißt eines durch Spekulation verursachten steilen Preisanstiegs von etwas, das keinen echten Wert hat - oder ob die Tulpenzwiebeln die ungeheuren Summen schlicht dadurch erzielten, dass die Nachfrage groß und das Angebot gering war".

Dash plädiert eher für Letzteres, denn Gier und Kurzsichtigkeit hätten schließlich für die Blase ausgereicht. Wer mag, kann Parallelen zu modernen Finanzcrashs ziehen.

Schon die Frage, wie der ursprünglich in den Steppen und Hochtälern Zentralasiens beheimatete Frühlingsblüher, der Anfang des 16. Jahrhunderts im Osmanischen Reich eine erste kulturelle Blüte erlebte, nach Europa kam, ist eine Geschichte voller Zweifel.

Wiederholt fällt der Name des Flamen Ogier Ghislain de Busbecq, der 1554 als Gesandter von Kaiser Ferdinand I. nach Istanbul ging und mehrere Jahre blieb. Seine Eindrücke beschrieb er in den "Turcicae Epistolae", auch die Tulpe: "Sie hat wenig oder gar keinen Duft, aber sie wird ihrer Schönheit und ihrer Farbenpracht wegen bewundert."

Wer brachte diese Blumenart überhaupt nach Europa? Auch das ist noch immer strittig

Ob er aber als erster die Zwiebeln als Geschenk von Süleyman I. nach Europa brachte, um sie in den frühen 1570er-Jahren am Wiener Hof dem flämischen Botaniker Carolus Clusius bzw. Charles de L'Éscluse zu überreichen, wie man manchmal auf botanischen Internetseiten lesen kann, ist offen. Sicher ist, dass bereits 1559 der Schweizer Gelehrte Conrad Gessner im Garten eines Augsburger Ratsherren eine Tulpe hatte blühen sehen.

Überhaupt: Glaubt man dem erwähnten Mike Dash, dann erfuhr Clusius bereits 1563 (eventuell auch erst 1568 - so sicher ist sich der Historiker da nicht) von den Blumenzwiebeln, die kurz zuvor ein flämischer Händler zwischen seinen angelieferten Tuchballen gefunden und, weil er mit ihnen nichts anzufangen wusste, im Mist entsorgt hatte.

Wenig später war der Dunghaufen in ein blühendes Beet verwandelt, das ein Hobbygärtner entdeckte, der wiederum mit Clusius in Briefkontakt stand. Diese Geschichte wird jedoch mitunter schlicht als Legende abgetan. Auf sicherem Terrain ist man erst wieder 1593: Von da an lehrte Clusius an der Universität Leiden, und ab da pflanzte er als erster in Holland die Zierblumen professionell an. Der weitere Verlauf ist bekannt.

Ein letzter Mythos sei erwähnt: Schwarze Tulpen. Die zu züchten war der Traum vieler über Jahrhunderte hinweg. Ein Traum, der literarischen Niederschlag fand in Alexandre Dumas' Roman "Die schwarze Tulpe". Darin verspricht die Tulpengesellschaft von Haarlem demjenigen 100 000 Gulden, dem es gelänge, das Rätsel um die Züchtung einer schwarzen Tulpe zu lösen.

Ein Rätsel, das außerhalb der Literatur bis heute existiert. Denn allen Zuchterfolgen zum Trotz: Selbst die schwärzesten Züchtungen sind zuletzt purpurfarben und erscheinen nur bei entsprechenden Lichtverhältnissen tiefschwarz.

Dieser Text erschien zuerst in der Print-SZ vom 29.06.2019.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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