Türkei:Alles auf Zucker

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Beim Fastenbrechen essen die Türken traditionell besonders viel Süßes - Premier Erdogan schmeckt das säkularisierte Fest nicht.

Kai Strittmatter

Der Türke und der Zucker, das ist ein heiliger Bund. Als sich 1923 die Republik aus Trümmern erhob, da machte sie sich als allererstes an den Bau von Zuckerfabriken. Kein Zufall auch, dass der Gründer einer der ersten dieser Fabriken ein islamischer Mullah war, der auf den Namen Nuri hörte.

Zum Ende des Ramadan gibt es traditionell viele Süßigkeiten. (Foto: Foto: dpa)

Die Hingabe dieses Volkes ans Süße ging stets einher mit religiöser Verzückung. Eine Verzückung, der sich auch der säkulare Flügel der Republik nie zu erwehren gedachte: Jener Konditor, der Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk ein Denkmal setzen wollte, tat dies in Form eines "Mustafa Kemal"-Plätzchens.

Die Türken essen das ganze Jahr über gerne Süßes, aber an drei Tagen gönnen sie sich noch eine Extraportion: Am Zuckerfest, das am Dienstag begann. Dann, wenn sie das Fastenbrechen feiern nach dem Fastenmonat Ramadan. Tage der Versöhnung sollen das sein. "Lasst uns süß essen, lasst uns süß sprechen", lautet ein gern zitierter Spruch.

Ein Kübel schlechte Laune

Nur der Premier machte seinem Ruf als Polterer wieder alle Ehre, und manche munkeln, es sei das Fasten, das ihn noch gereizter mache als sonst. Jedenfalls kippte der fromme Muslim Tayyip Erdogan mal wieder einen Kübel schlechte Laune über sein Volk aus: "Sie haben unser Fest in ,Ferien' verwandelt. Und sie nennen es 'Zuckerfest'", polterte Erdogan: "Nein, so heißt es nicht! Es heißt einzig und allein 'Ramadanfest'. Was hier passiert ist eine kulturelle Erosion."

Tatsächlich haben die Feiertage mit der zunehmenden Säkularisierung der Türkei eine ähnliche Entwicklung erlebt wie unser Weihnachtsfest: Wer es sich leisten kann, fährt in den Urlaub, andere frönen dem Kommerz, Supermärkte verkaufen Berge von Schokolade und Bonbons.

Trotzdem löste Erdogans Attacke Verwunderung aus. Kolumnisten staunten ob des Talents ihrer Politiker, sich selbst in Zeiten globaler Krisen über "total überflüssigen Krampf" in die Haare zu kriegen. Zudem wurden Funken geschlagen, wo noch kein Mensch überhaupt Zunder vermutet hätte: "Zwar sagten wir in meiner Kindheit auf dem Dorf meist 'Ramadanfest' und in den Städten hieß es 'Zuckerfest' - aber gestritten wurde darüber nie", schrieb der einst streng islamische Kolumnist Ahmet Hakan in Hürriyet: "Heute aber werfen einem die einen ,Ramadanfest' hin wie einen Fehdehandschuh. Und die anderen bellen: 'Zuckerfest' und zeigen damit, dass sie Widerstand leisten werden bis zum Ende."

Das Letzte, was die Türkei nötig habe, meinten andere, sei ein weiterer Lackmustest im türkischen Lagerkampf zwischen Säkularen und Frommen. Das Land sei gespalten, meldete die Turkish Daily News: "Zwischen 'Ramadan'-Leuten und 'Zucker'-Leuten".

Vielleicht sollte Premier Erdogan noch einmal die Geschichte von Nuri nachlesen, dem islamischen Mullah und Fabrikgründer. Als Atatürk seinem Volk 1934 befahl, sich Nachnamen zuzulegen, zögerte der Mann nicht lange: Fortan hieß er Nuri Seker, Nuri Zucker.

© SZ vom 1.10.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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