Tödlicher Autobahnunfall:"Gedankenlose Täter"

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Der Holzklotz-Angriff bei Oldenburg ist sicher nicht die letzte Autobahnattacke. Der Psychologe Georg Sieber über die Motivation der Täter und wie man die Anschläge verhindern kann.

Claudia Fromme

Die Familie aus Telgte in Westfalen war auf dem Rückweg aus dem Urlaub, als am Wochenende bei Oldenburg ein sechs Kilo schwerer Holzklotz die Frontscheibe des Autos zerschlug. Die 33-jährige Frau starb vor den Augen ihres Mannes und ihrer zwei Kinder. Wer den Klotz von der Autobahnbrücke geworfen hat, ist noch unklar. Die Staatsanwaltschaft hat die Belohnung für Tathinweise auf 6000 Euro aufgestockt. Der Münchner Psychologe Georg Sieber, 72, erforscht die Motivation solcher Täter.

Tödliches Geschoss: Der Holzklotz, den ein Unbekannter von einer Brücke auf die A 29 warf, durchschlug die Scheibe eines BMW und traf eine 33-jährige Mutter. (Foto: Foto: Getty Images)

SZ: Was geht in einem Menschen vor, der einen Holzblock von einer Autobahnbrücke wirft, Herr Sieber?

Georg Sieber: Ich fürchte, nicht viel. Soweit man Brückenwerfer bis heute kennt, machen sie sich keine Gedanken über die Folgen ihres Handelns. Auch, weil sie offenbar zu dumm dazu sind. Menschen, die Dinge von Brücken werfen, tun das in der Regel ohne Tötungsabsicht. Sie bringen die Autos, die unter der Brücke herfahren, nicht mit den Menschen in Verbindung, die darin sitzen. Die Autos sind für sie nur Gegenstände.

SZ: Aber warum werfen sie überhaupt?

Sieber: So banal es klingt: Gelegenheit macht sie zum Täter. Etwa, weil in der Nähe ein Stein herumliegt. Ich kenne keinen Fall in den 40 Jahren, die ich die Polizei beraten habe, in dem sich ein Täter vorgenommen hat: Jetzt gehe ich zu der Brücke und werfe etwas herunter. Es sind reine Gelegenheitstäter.

SZ: In Oldenburg ist eine Frau vor den Augen ihrer Familie getötet worden. Die Angehörigen werden psychologisch betreut, die Staatsanwaltschaft hat die Belohnung erhöht. Wer das angerichtet hat, muss doch jetzt zur Vernunft kommen.

Sieber: Nicht zwingend. Selten stellen sich Täter, der Rest lügt sich die Sache zurecht. Dass es Pech war, dass man das nicht wollte und eigentlich gar nichts damit zu tun hat. Manche Brückenwerfer reden sich das so lange ein, bis sie es selbst glauben. In den wenigen Fällen, die zur Anklage kommen, verteidigen sich die Täter damit, dass ihnen Steine oder sogar Gullydeckel unglücklicherweise aus der Hand gefallen sind. Dabei nimmt jeder, der so etwas macht, billigend den Tod von Menschen in Kauf. Auch wenn kein Auto getroffen wird, muss man mit einer Anklage wegen versuchter Körperverletzung oder versuchten Totschlags rechnen. Es ist aber tatsächlich schwer, einem Täter Absicht nachzuweisen.

SZ: Ist es immer ein ähnlicher Typus Mensch, der Gegenstände wirft?

Sieber: Die Erfahrung zeigt, dass es meist männliche Personen sind, mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Die Polizei sucht den Täter meist unter denen, die die Brücke öfter benutzen. Dabei hat sich gezeigt, dass die dafür am wenigsten in Frage kommen. Es gibt zwölfjährige Täter ebenso wie über 80-Jährige. Oft ist Alkohol im Spiel, aber nicht immer. Es gibt Einzeltäter und Werfer, die es aus der Gruppendynamik heraus tun. Etwa Jugendliche, die es als Mutprobe sehen. Nach dem Motto: "Du traust dich nicht!"

SZ: Vor acht Jahren haben Jugendliche in Darmstadt Steine von einer Fußgängerbrücke über einer Bundesstraße geworfen und zwei Frauen getötet. Sie sagten, sie hätten es aus Langeweile getan. Am Ende wurde sie wegen Mordes verurteilt.

Sieber: Das war ein sehr erschreckender Fall, in der Tat. Noch tragischer war aber, dass die drei Jugendlichen in ihrem sonstigen Leben keiner Fliege etwas zuleide tun konnten. Das waren keine Monster und doch haben sie ganz gezielt auf zwei Autos geworfen.

SZ: Reichen die Gesetze aus, um Steinewerfer von ihrer Tat abzuhalten?

Sieber: Mit Gesetzen kann man keinem Delikt begegnen. Das ist eine populistische Vorstellung, die immer mal wieder diskutiert wird. Es kommt schließlich öfter vor, dass jemand irgendetwas von Brücken ins Wasser, von einem Turm oder auch über das Gipfelgeländer eines Bergs nach unten wirft. Als Psychologe vermute ich da einen spontanen Reiz durch das Tiefenerlebnis, etwas nach unten sausen zu sehen. Mit etwas Hirn könnte man sich sagen: Das könnte jemanden treffen. Aber der Drang zu werfen, ist dann doch größer. Das findet man ebenso beim Bergwandern oder Skifahren. Da stößt jemand einen Stein über den Rand, da provoziert jemand eine Lawine, obwohl er wissen müsste, dass er damit Andere töten kann.

SZ: Gibt es Erhebungen über die Anzahl solcher Taten?

Sieber: Nein, die Kriminalitätsstatistik führt das nicht als eigenes Delikt. Es wird viel geworfen, aber nur selten passiert etwas Ernsthaftes. Wie viel und was so von Autobahnbrücken heruntergeworfen wird, sieht man auf den Seiten- und Mittelstreifen gegen die Fahrtrichtung. Das ist erschreckend. Ich habe mal bei einer Recherche Kinder gesehen, die von einer Brücke Papierflieger warfen. Sie hatten sich nichts Böses dabei gedacht. Aber auch so etwas kann natürlich böse enden.

SZ: Lassen sich Taten wie die von Oldenburg verhindern?

Sieber: Ja, man kann schon durch eine regelmäßige Brückenkontrolle viel erreichen, bei der herumliegende Dinge entfernt werden. Das reduziert zumindest die Gelegenheitstäter. Das ist auch meine Empfehlung an Stadtverwaltungen vor Demonstrationen: Achtet darauf, dass an der Strecke nicht ausgerechnet Wurfmaterial herumliegt. Steine fliegen in der Regel nur, wenn sie verfügbar sind.

© SZ vom 26.03.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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