Prozess um Misshandlungsvorwürfe in Kita:Babys "pucken" - Einschlafhilfe oder Fessel?

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Idyllisches Logo: die Kita "Spatzennest" in Altenburg. (Foto: Martin Schutt/dpa)
  • Richter des Amtsgerichts Altenburg müssen entscheiden, ob sich Erzieherinnen einer Kita durch rabiate Methoden strafbar gemacht haben.
  • Den vier Frauen wird unter anderem Misshandlung Schutzbefohlener und Nötigung vorgeworfen. Sie hatten Kleinkinder durch sogenanntes Pucken ruhiggestellt und gegen deren Willen Nahrungsmittel eingeflößt.
  • Die Beweisaufnahme gestaltet sich schwierig, außerdem ist umstritten, ob die angewandten Maßnahmen den Kindern geschadet haben.
  • Daher wird mit einem Freispruch gerechnet. Für drei der vier Frauen geht es um ihre berufliche Zukunft.

Von Cornelius Pollmer, Altenburg

Eine Schülerin macht ein Praktikum in einer Kindertagesstätte, sie fotografiert ihren Arbeitsplatz, dann baut sie aus den Aufnahmen eine Präsentation für die Schule. Auf den Bildern sind gewickelte Kinder zu sehen, null bis zwei Jahre alt, manche sind zusätzlich mit Mullwindeln fixiert, bei einigen liegen zur Verdunkelung Tücher auf dem Gesicht. "So müssen die Kinder schlafen", schreibt die Schülerin über ihre Präsentation. Man kann diesen Satz auf verschiedene Weise lesen. Man kann das "So" betonen oder das "müssen". Das weite Feld dazwischen ist Gegenstand eines Prozesses am Amtsgericht Altenburg, der auf genau diese Schülerarbeit zurückgeht.

Es geht um die Kita "Spatzennest", um 58 Fälle und um die Frage, wo wohlwollende Fürsorge aufhört und wo rabiater Umgang beginnt. Die Anklage lautet auf Misshandlung Schutzbefohlener, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, Nötigung. Sie richtet sich gegen vier Erzieherinnen, die am Montag recht gelassen vor dem Schöffengericht in Saal 07 sitzen; und ihre Gelassenheit liegt auch im Verlauf dieses und der vorangegangenen Prozesstage begründet.

In der Anklageschrift wird den Frauen vorgeworfen, unruhige Kinder, darunter auch schwerbehinderte, zum Mittagsschlaf wie beschrieben eingeschnürt zu haben. Zudem soll Kindern unter Zwang Essen eingeflößt worden sein - so sehr, dass sich einige erbrachen. Die Beweisaufnahme aber habe ein minder klares Bild ergeben, sagt Richter Sandy Bernd Reichenbach am Montag. "In vielen Punkten wird es auf einen Freispruch hinauslaufen."

Ein Junge weinte zu Hause, wenn er nicht aufessen konnte: offenbar aus Angst

Die anwesenden Eltern empört das nicht. Spricht man mit ihnen, hört man häufig das Wort "schwierig". Die Beweisaufnahme ist schwierig, weil die Zeugin sich nicht so klar erinnerte, wie es ihre Präsentation erwarten ließ. Sie ist schwierig, weil die Betroffenen in einem Alter sind, in dem sie sich schwerlich zu einem Sachverhalt äußern können. Und sie ist auch deshalb schwierig, weil die dokumentierten Methoden zuvorderst nicht Fragen des Rechts berühren, sondern solche der Erziehung.

Vor Gericht rechtfertigten drei der vier Erzieherinnen das Wickeln als "Einschlafhilfe", die es den Kindern erst erlaubt habe, zur Ruhe zu kommen. Die Zwangsernährung, "Abfüttern" genannt, begründete eine Erzieherin damit, dass sie einer Mutter abends nicht habe sagen wollen, ihr Kind habe nichts gegessen.

All dies aber präzise nachzuzeichnen, erwies sich bislang als schwierig, so auch am Montag in den Ausführungen des Kinder- und Jugendpsychiaters Bernhard Blanz. Wurden Gesundheitsschäden der betroffenen Kinder festgestellt? Lassen sich daraus "erhebliche Entwicklungsgefährdungen" ableiten? Schlafstörungen und Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder, von denen Eltern berichtet hatten, seien in dem Alter nicht ungewöhnlich, sagte Blanz.

Hebammenverbände lehnen das Pucken nicht grundsätzlich ab

Aus den Schilderungen sei nicht zu erkennen gewesen, dass die Kinder das Einwickeln beim Einschlafen negativ empfunden hätten. Ein Zusammenhang zu den Methoden der Erzieherinnen sei lediglich in zwei Fällen "vorstellbar": Bei einem Jungen, der zu Hause Angst hatte und weinte, wenn er nicht aufessen konnte, sowie bei einem Mädchen, das sich ängstigte, im Dunkeln einzuschlafen. Beide Kinder hätten dies inzwischen aber überwunden.

Zwar sei ihm das Fixieren in dieser Form bislang nicht bekannt gewesen, sagte Blanz, auch das Verb "pucken" habe er nicht gekannt. Zwei Kolleginnen aber wussten ihn über das enge Wickeln von Säuglingen zu deren Beruhigung aufzuklären und beide "haben das als positiv erlebt". Auch Hebammenverbände lehnen das Pucken nicht grundsätzlich ab, gerade im alternativen Bereich gibt es Befürworterinnen.

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Beim sogenannten Pucken werden Säuglinge ruhiggestellt, indem sie eng in feste Decken eingewickelt werden. Durch die Methode soll das Gefühl im Mutterleib nachgestellt werden. Handelt es sich bei dieser Art der Fixierung um eine natürliche Form der Beruhigung?

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Über Festigkeit und Dauer aber gibt es keinen Konsens.

Auch deshalb geriet Gutachter Banz an Grenzen: Es ist ja nicht nur unklar, wie die Kinder fixiert worden sind. Es sei auch kaum möglich, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Methoden der Erzieherinnen und möglichen Spätfolgen herzustellen, jedenfalls nicht mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", wie Richter Reichenbach den Anspruch formuliert hatte. Eingedenk dieser Schwierigkeiten und der Schilderungen der Eltern könne er keine konkrete Gefahr für die körperliche und seelische Entwicklung der Kinder durch die Praktiken der Erzieherinnen erkennen, sagte Blanz.

Für drei der Erzieherinnen geht es um ihre berufliche Zukunft

Richter Reichenbach sondierte schließlich die Bereitschaft, das Verfahren einzustellen - die Staatsanwaltschaft aber lehnte ab. Damit wird es am 28. April einen weiteren Verhandlungstag geben, an dem eine letzte Zeugin gehört wird. Das Urteil wird dann vor allem den Weg für die berufliche Zukunft von drei der vier Erzieherinnen weisen.

Seit etwa zweieinhalb Jahren sind die Vorwürfe nun bekannt. Eine der Erzieherinnen befindet sich inzwischen im Ruhestand, die anderen drei sind von der Arbeit freigestellt. Das Kultusministerium hatte der Volkssolidarität, dem Träger der Kita "Spatzennest", auferlegt, die Frauen bis zur Klärung nicht weiter mit Kindern arbeiten zu lassen.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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