Terre des Hommes:Kinderschützer kritisieren Babyklappe

Lesezeit: 2 min

Die Idee ist einleuchtend: Babyklappen sollen verhindern, dass verzweifelte Mütter ihre Kinder töten. Doch jetzt wird die Logik in Frage gestellt - von Kinderschützern.

Nina von Hardenberg

Sie gelten als letzte Anlaufstelle für verzweifelte Mütter. Wer sein Kind in größter Not möglichst unauffällig und schnell abgeben möchte, kann es in eine Babyklappe bringen. "Keine Fragen, keine Zeugen, keine Polizei" lautet etwa das Motto des Babyklappenbetreibers Sternipark, der in Hamburg zwei Wärmebettchen für anonym abgegebene Kinder bereitstellt.

Trotz Babyklappen seien die Zahlen von Kindestötungen und Lebendaussetzungen nicht gesunken, so die Kritik. (Foto: Foto: dpa)

Das Angebot helfe Müttern, die ihr Kind sonst vielleicht töten würden, lautete das Argument, mit dem die Abgabestationen in den vergangenen Jahren überall in Deutschland aufgebaut wurden. Diese Logik wird nun ausgerechnet von Kinderschützern selbst in Frage gestellt.

Das Konzept der Babyklappen sei gescheitert, argumentiert die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes anlässlich der Vorstellung von neuen Zahlen zu Kindestötungen in Deutschland. Demnach wurden im ersten Halbjahr 2007 16 Säuglinge getötet oder starben, nachdem sie ausgesetzt worden waren. Im Gesamtjahr 2006 waren es 34 - sechs mehr als 2000, dem Jahr, in dem die erste Babyklappe in Hamburg installiert wurde.

Eine Argumentation auf dünnem Eis

"Trotz Babyklappen und Einrichtungen zur anonymen Geburt sind die Zahlen von Kindestötungen und Lebendaussetzungen nicht gesunken", moniert Michael Heuer von Terre des Hommes. Für die Organisation ist dies ein klares Indiz, dass die Klappen nichts bringen: Offenbar erreiche das Angebot die falschen Frauen, nämlich jene, die ihr Kind nicht töten, sondern nur loswerden wollten. Diese Kinder beraube man aber durch die anonyme Abgabe der Möglichkeit, jemals nach ihren biologischen Wurzeln zu forschen.

Die Argumentation der Organisation basiert allerdings auf einer dünnen Datenbasis: Terre des Hommes wertete Zeitungsberichte der vergangenen Jahre aus.

"Die Behauptung, Babyklappen hätten keine Kindstötungen und Aussetzungen verhindert, sind schlicht absurd", sagt denn auch die stellvertretende Geschäftsführerin von Sternipark Leila Moysich. Dort, wo Babyklappen in erreichbarer Entfernung seien, gehe die Zahl der Aussetzungen sehr wohl zurück. "In Hamburg hatten wir keine einzige Aussetzung mehr", betont Moysich.

Wenn sich dies noch nicht in statistischen Zahlen niederschlage, läge das daran, dass der Bereich der Tötungen von Neugeborenen eine hohe Dunkelziffer aufweise. Auch die Kritik an der anonymen Geburt lässt Sternipark nicht gelten: "Das Kind muss erst mal überleben, um später seine Identität erfragen zu können", argumentiert eine Sprecherin.

Sternipark baute 2000 als erste Organisation in Deutschland Babyklappen auf. Im Jahr zuvor waren in Hamburg mehrere Säuglinge tot aufgefunden worden. Neben den Klappen betreibt Sternipark eine bundesweite Notrufnummer, bei der sich schwangere Frauen über Hilfsangebote informieren können. Inzwischen sind mehr als 80 Hilfsorganisationen und Krankenhäuser dem Beispiel gefolgt.

Kritiker: Angebot helfe gefährdeten Kindern nur wenig

Die Adoptionsforscherin Christine Swientek schätzt, dass in den vergangenen Jahren zwischen 300 und 500 Kinder in Babyklappen abgegeben wurden. Legt eine Mutter ein Kind in eines der Wärmebettchen, wird mit einiger Verzögerung ein Alarm ausgelöst. Das erlaubt der Mutter, sich unbemerkt zu entfernen.

Den gefährdeten Kindern helfe dieses Angebot nur wenig, argumentieren Kritiker. Die Tötung eines Neugeborenen folge einer anderen Psychodynamik als die geplante Aussetzung eines Kindes, heißt es in der Analyse von Terre des Hommes.

Mütter, die ihr Kind unmittelbar nach der Geburt töten oder sterben ließen, befänden sich in der Regel in einem psychischen Ausnahmezustand, der es ihnen unmöglich mache, zielgerichtet zu handeln. "Diesen Müttern ist mit Babyklappen nicht zu helfen."

Dass Kinderklappen anfangs eventuell zu positiv bewertet wurden, glaubt auch Rudi Tarneden von Unicef Deutschland. "Es ist an der Zeit, dass diese Einrichtungen auf den Prüfstand kommen", sagt er. Man müsse sich fragen, warum Hunderte Frauen nicht den Weg in die Jugendämter fänden und ihr Kind zur Adoption freigäben. Hier müssten die Hilfeangebote ausgebaut werden.

© SZ vom 6.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: