Stars:Unvergänglich

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Das Festival von Cannes feiert mit großem Promi-Aufgebot seinen 70. Geburtstag, und natürlich stehen alte und junge Diven im Rampenlicht - Weltstars, die in diesen Zeiten leicht wehmütig machen.

Von Tobias Kniebe, Cannes

Wer siebzigsten Geburtstag hat, darf in Sachen Nostalgie schon mal ein bisschen über die Stränge schlagen. Die Feier der Vergangenheit, die das Festival von Cannes in diesem Jahr inszeniert, sprengt aber doch jeden bisher bekannten Rahmen. Bei der Jubiläumsgala diese Woche zum Beispiel ließ der endlose Strom von Stars, Großregisseuren und Palmengewinnern auf den Stufen des Festivalpalasts beinah schon die Oscars verblassen.

Unmöglich, alle Namen aufzuzählen, allein im Département Großdiven sah man Claudia Cardinale, Liv Ullmann, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Charlize Theron, Salma Hayek, Diane Kruger, Monica Bellucci, Tilda Swinton, Juliette Binoche, Uma Thurman und Nicole Kidman, die auf dem roten Teppich überraschenderweise beste Freundin mit dem ewigen Model Naomi Campbell spielte. Auch männliche Filmgrößen wie Will Smith, David Lynch, Christoph Waltz oder Roman Polanski ließen sich im Grand Théâtre Lumière feiern, Isabelle Huppert gab die Moderatorin und stimmte das Geburtstagslied an. Nach anderthalb Stunden voller Reden und Filmclips aus den Archiven, in denen selbst die Flops und Skandale des Festivals thematisiert und wie Siege zelebriert wurden, bat man die Ehrengäste auf die Bühne. Dort standen sie dann aufgereiht, auf fünfzig Metern Breite, drei Reihen tief, jedes Gesicht ein Stück Filmgeschichte. Oder, bei manchen, eher schon ein ganzes Kapitel.

Faszinierend dabei das Wechselspiel zwischen den Filmszenen aus der Vergangenheit und den Stars in Fleisch und Blut. La Deneuve zum Beispiel war praktisch in allen Stadien ihrer Karriere zu sehen - und dann eben auch in ihrer heutigen Inkarnation als Galionsfigur, deren Wuchtbusen man jederzeit vor ein Schlachtschliff der Filmkunst spannen könnte. Oder Jean-Pierre Léaud, im Leinwandbild noch der vierzehnjährige, hübsche Rebell am Strand, wie François Truffaut ihn einst filmte. Real, mit über siebzig nun, die Haare strähnig, die Augen wild, sah er aus wie ein spinnerter alter König.

Die Bilder von damals wirken halt bis heute, stärker als alles, was neueren Datums ist

Die Nostalgie geht aber noch viel weiter, das konnte man dann etwa am Abend der Trophée Chopard erkennen. Dieser Nachwuchspreis, abseits des offiziellen Programms vom Schweizer Juwelier Chopard gestiftet, ging an die Jungtalente Anya Taylor-Joy ("Split") und George MacKay ("Captain Fantastic"). Bemerkenswert war aber vor allem der Look der anderen jungen Akteure, die sich an diesem Abend auf der Dachterrasse des Hotels Martinez versammelt hatten. Eine Französin namens Stacy Martin fiel zum Beispiel dadurch auf, dass sie sich exakt wie in einem Jean-Luc-Godard-Film von Ende der Sechzigerjahre gestylt hatte - und das war im Grunde nichts anderes als Werbung für ihren Cannes-Beitrag, in dem sie tatsächlich Godards Ehefrau und Muse spielt. So ist das französische Kino inzwischen dabei, die ikonischen Bilder seiner Nouvelle Vague zu verdoppeln und in eine Art selbstreferenziellen Tunnel einzutauchen.

Doch der Grund ist auch klar: Die Bilder von damals wirken halt bis heute, stärker als alles, was neueren Datums ist. Die Gegenwart zum Beispiel bietet gar nichts Vergleichbares, und so springen dann alle immer wieder fröhlich in ihre Zeitmaschine. Am konsequentesten war dabei die englische Sängerin Whinnie Williams, die mit ihrer Band auftrat. Sie trug Minikleid, Blondhaarmähne und Kajalstrich so, als sei Brigitte Bardot für einen Abend aus ihrer Front-National-Umnachtung ausgebrochen - und magisch verjüngt nach Cannes zurückgekehrt. Allerdings liegt der Gedanke nicht ganz fern, dass diese Epigonen - und das Kino überhaupt - hier eine Art Raubbau betreiben, der nicht auf Dauer so weitergehen kann. Als wären diese alten Bilder Nährstoff der Imagination, der irgendwann in den tektonischen Verschiebungen der kollektiven Erinnerung bis zum höchsten Energiegehalt zusammengepresst und verdichtet wurde - und von den Stylisten und Bilderschöpfern der Gegenwart nun angezapft und verfeuert und aufgebraucht wird wie ein fossiler Brennstoff. Nachhaltig ist das nicht.

Denn, mal anders gefragt: Welche Bilder hat das Festival 2017 produziert, die dereinst, in fünfzig oder siebzig Jahren, als neue Ikonen wieder Brennstoff liefern könnten? Das kann man zwar mit dem Wissen der Gegenwart unmöglich sagen - aber man ahnt, dass da möglicherweise nicht viel bleiben wird. Als Beispiel bieten sich zwei Szenen aus dem Leben von Cannes an, die mehr als ein halbes Jahrhundert auseinanderliegen. Vor ein paar Tagen konnte man die 19-jährige Schauspielerin Elle Fanning sehen, wie sie mit zwei Begleiterinnen bauchfrei und auch sonst sehr durchsichtig durchs Nachmittagsgewusel der Strandpromenade steuerte. Keck warf sie ihre Blondmähne über die Schulter und hielt ihre Stupsnase in den Wind, erkennbar wollte sie ihre Fähigkeit testen, einen Volksauflauf auszulösen. Dann aber blieb sie über zehn Minuten lang fast unbehelligt, es dauerte, bis der erste französische Paparazzo sie überhaupt erkannte.

Elle Fanning macht ihre Sache richtig gut. Sie gibt alles auf der Croisette. Aber wer schaut hin?

Dagegen diese andere 19-Jährige, die 1953 zum ersten Mal nach Cannes kam. Brigitte Bardot war damals zwar schon Schauspielerin, hatte aber noch keinen einzigen Filmhit gelandet. Sie war als Frau eines Journalisten mitgereist, ihr Mann, Roger Vadim, wurde erst später Filmemacher. Die Blondmähne über die Schulter werfen und die Nase fotogen in den Wind halten aber - das konnte sie wie keine andere.

Rein arbeitstechnisch liegt die Amerikanerin Elle Fanning in diesem Vergleich weit vorn. Sie hat schon in Disneys "Maleficent" neben Angelina Jolie gespielt, war voriges Jahr Hauptdarstellerin des Wettbewerbsfilms "Neon Demon" und wirkt diesmal unter anderem bei Sofia Coppola mit. Aber was zählt das schon, wenn es um die Geburt einer Ikone geht?

Als die Bardot zum ersten Mal über die Croisette lief, elektrisierte sie jedenfalls schlagartig die ganze Stadt, entfachte eine Art Fotografen-Wahnsinn und brachte die Logistik des Festivals ins Wanken. Nach zwei Tagen gaben viele Paparazzi ihre Termine auf, um ihr rund um die Uhr hinterherzujagen. Elle Fanning wird, daran gemessen, wohl eher ein ganz normaler Star werden.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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