Starkoch:Frischer. Leichter. Teurer.

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Das Glück der Gänsestopfleber: Paul Bocuse, der französische Kochkünstler und Propagandist der "Nouvelle Cuisine", wird 80.

Gottfried Knapp

Hat man in Deutschland schon einmal eine Straße nach einem Koch benannt? Wohl kaum, denn Künstler, die sich ausschließlich dem Geschmackssinn, also vergleichsweise "niedrigen" Gelüsten verpflichtet fühlen, haben hierzulande keine Chance auf Verehrung.

Paul Bocuse. (Foto: Foto: dpa)

In Frankreich ist das ganz anders. Da genießen die großen Zauberer und Reformer der Nationalküche seit jeher höchstes Ansehen. Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755-1826) etwa, der Prophet des "höheren Tafelvergnügens", der mit dem denkwürdigen Satz "Die Entdeckung eines neuen Gerichts ist bedeutsamer als die Entdeckung eines neuen Sterns" Position bezogen hat, oder Auguste Escoffier (1846-1935), der einflussreichste Speisen-Erfinder und Küchen-Reformator - sie sind auch heute noch präsent im Bewusstsein der französischen Gourmets und leben in wunderbaren Speisen, die ihre Namen tragen, aber auch in Straßennamen fort.

Gastro-Wallfahrtsort

Ob Paul Bocuse, der berühmteste unter den französischen Köchen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, schon zu Lebzeiten mit einer Straße geehrt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gemeinde Collonges im Tal der Saône ein paar Kilometer nördlich von Lyon, in der der "König der Köche" geboren wurde und heute noch höchst erfolgreich wirkt, irgendwann die geografische Kennzeichnung "au-Mont-d'Or" durch die populärere Zusatzbezeichnung "Paul Bocuse" ersetzt. Denn ausschließlich durch diesen Namen ist das Kaff zu einem der prominentesten Gastro-Wallfahrtsorte in Frankreich geworden.

Paul Bocuse gilt in der Fachwelt als der wichtigste Propagandist der "Nouvelle Cuisine". Eines seiner vielübersetzten Kochbücher trägt die 1973 von den Journalisten Gault und Millau geprägte Bezeichnung als Titel.

Ins Leben gerufen hat Bocuse die Reformbewegung, die überall in Europa ähnliche Initiativen ausgelöst hat, keineswegs allein. Sein Kollege Michel Guérard in Eugénie les Bains, die Brüder Troisgros in Roanne an der oberen Loire und der Elsässer Paul Haeberlin in Illhäusern bei Colmar haben zur gleichen Zeit die Küche ihrer Region ähnlich fundamental neu interpretiert wie Bocuse die seiner Heimat, des Lyonnais. Doch Bocuse hat den Ruhm für die Neuerungen fast allein eingeheimst.

Grundregeln

Als den eigentlich kreativen Kopf der Bewegung kann man heute Fernand Point, den Lehrer von Bocuse, ausmachen. Er hat in seiner "Pyramide" in Vienne einer ganzen Generation von Spitzenköchen die Grundregeln der "neuen", der "leichten" Küche beigebracht.

Sie lauten ungefähr so: ausschließlich frischeste Ware vom Markt und Grundmaterialien bester Provenienz verarbeiten; nur noch wenige Elemente in einem Gericht kombinieren; die Garzeiten deutlich verkürzen; beim Zubereiten einfache, schonende Alternativen wie Pochieren, Dämpfen und Pürieren erproben; Saucen getrennt zubereiten und auf dem Teller "an", also neben dem à la minute gegarten Fisch oder Fleisch anrichten.

Mit diesen paar elementaren Grundregeln haben Bocuse und seine Mitstreiter in den 60er und 70er Jahren der kulinarischen Welt eine neue Vorstellung davon vermittelt, wie differenziert und herzhaft heimische Naturprodukte schmecken können.

Allerlei Manierismen

Durch diese Regeln wurden die Schüler und Nachahmer, die bald zu Tausenden um die Wette Neues kreierten, aber auch zu allerlei Manierismen verführt. Die immer aufdringlicher nach Dekorprinzipien arrangierten Speisen schrumpften auf den Tellern bis zur Unsichtbarkeit. Und aberwitzige Kombinationen von Materialien, die von den Poeten am Herd mit langen Wortkaskaden gefeiert wurden, krönten virtuelle Mahlzeiten, die dem Gast die Mühsal der Beißarbeit ersparten. In manchen edlen Suppen freilich stieg der Sahne- und Butterpegel fast bis unter die Oberfläche.

Bocuse hat die Gefahren der elitären Ausdünnung und Detailüberhöhung frühzeitig erkannt und in seinen Büchern und Verlautbarungen einen Gegenkurs eingeschlagen, auf dem ihm am Ende fast alle Epigonen ein Stück weit gefolgt sind. Die Parole hieß: zurück zum Einfachen, Ehrlichen, zum Regionalen, ja zum Großmutter-Prinzip.

Als Kochbuchschreiber hat Bocuse die Sache mit dem "Neuen" ohnehin nie so ernst genommen wie als Küchenchef im eigenen Haus: In sein populäres Hauptwerk hat er nicht weniger als 67 Saucen aufgenommen; viele von ihnen gründen auf jener ominösen Mehlschwitze, die als Inbegriff der überholten Küche zuvor strikt aus den Töpfen verbannt worden ist.

Schwarze Trüffel und Hummer

An die Spitze Frankreichs gekocht hat sich Bocuse mit den Produkten des unvergleichlich reichen Lyoner Lebensmittelmarkts. Zu den Spezialitäten, die er bis heute nach bewährten Rezepten zelebrieren lässt, gehört das Geflügel aus der benachbarten Bresse, Rindfleisch aus dem nahen Charolais, schwarze Trüffeln aus dem Périgord und Hummer aus Maine.

Die legendäre Trüffelsuppe, die er 1975 anlässlich seiner Aufnahme in die Ehrenlegion für den Festabend im Elysée-Palast geschaffen hat, steht auch in diesem Winter wieder zum strammen Portionspreis von 80 Euro auf der Karte: Unter einer goldbraunen Blätterteigkuppel schwimmen Brocken von schwarzen Trüffeln und Gänsestopfleber mit gewürfeltem Gemüse in einer Geflügelbrühe.

Berühmt wurde auch der Loup de mer in der Hummermuskruste. Doch all diese weltweit kopierten Kreationen sind schon vor Jahrzehnten erfunden worden. Seit er 1965 den dritten Michelin-Stern vom Himmel gepflückt hat, ist Bocuse vor allem mit der Zementierung seines Ruhms und mit der Ausweitung seines Marken-Imperiums beschäftigt.

Halle für Festgesellschaften

Aus dem ursprünglichen Lokal mit neun Tischen im elterlichen Haus an der Saône-Brücke ist das pompös ausgekleidete Luxusrestaurant "Paul Bocuse" mit 100 Plätzen und 40 Angestellten geworden. Ihm wurde die "Abbaye de Collonges" beigesellt: eine Halle für Festgesellschaften, in der 400 Personen gleichzeitig bewirtet werden können.

Für die Zukunft abgesichert hat Bocuse sein Unternehmen durch eine Unzahl von Küchengeräten und Tafelutensilien, die seinen Namen tragen. Und mit dem einfachen Volk, aus dem er selber stammt, hat er sich durch die in den vergangenen Jahren eröffneten fünf großen Brasserien in Lyon versöhnt, die mit einem munteren französisch-asiatisch-maghrebinisch-italienischen Speisemix dem Geschmackswandel Tribut zollen, doch allesamt auf Anhieb den begehrten Bib-Gourmand im roten Michelin-Führer erobert haben.

An diesem Samstag wird Paul Bocuse 80 Jahre alt. Ob berühmte Schüler wie Eckart Witzigmann ihm die Ehre erweisen, bleibt abzuwarten. Nicht nur das Festmenü zum Jubeltag, auch den fälligen Triumphmarsch kann Bocuse hausgemacht liefern.

Mechanischer Plunder

In seiner "Abtei" nimmt die knallbunte Schaufront einer gigantischen Jahrmarktsorgel - sie kann ein Orchester von 110 Musikern simulieren - eine ganze Wand ein. Auch die übrigen Wände sind mit mechanischem Plunder überhäuft. Und da der Meister zur Abwechslung gerne mal einen schrill bunten Formel-Eins-Boliden zwischen die Esstische stellt, kommen Gourmets bei ihm aus dem Staunen nicht heraus.

So bestätigt sich wieder einmal, was man in den Tempeln und Palazzi so vieler anderer gastronomischer Großfürsten festgestellt hat: dass guter Geschmack und guter Geschmack selten in einem Raum zusammenfinden.

© SZ vom 11.02.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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