Stadt im Ausnahmezustand:Bad Reichenhall und die Frage nach dem Warum

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Die Politiker fühlen sich von den Medien verfolgt - die Debatte über die Ursache des Unglücks geht weiter.

Sebastian Beck und Christine Burtscheidt

Von der Presse hat Elisabeth Reischl im Moment die Nase gestrichen voll. Schlimm sei das gewesen in den vergangenen Tagen, sagt die SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat von Bad Reichenhall. Nicht nur, dass sie vom Kamerateam eines Privatsenders bedrängt wurde.

Trauer und zunehmend Wut - die Stimmung in Bad Reichenhall kippt. (Foto: Foto: dpa)

In einer Boulevard-Zeitung wird ihr am Mittwoch die Aussage untergeschoben, wonach es bereits 2002 ein Gutachten gegeben habe, in dem eine Erneuerung des Hallendachs gefordert worden sei. Das habe sie aber nie gesagt, versichert Reischl, auch ein solches Gutachten existiere nicht.

Die Stadträtin ist nicht allein mit ihrem Ärger. Auch andere in Bad Reichenhall sind immer noch geschockt über die Wucht des Unglücks und der anschließenden Berichterstattung darüber.

"Leichenfledderei" sei das gewesen, sagt ein Kommunalpolitiker, der nach den Erfahrungen der letzten Tage seinen Namen nicht mehr nennen will. Fassungslos berichten Hilfskräfte, mit welchen Methoden sich einige Journalisten Zugang zu den Opfern und deren Angehörigen erschleichen wollten.

Auch die allzu forsche Suche nach der Ursache für den Einsturz und die Schuldzuweisungen haben Lokalpolitiker - egal welcher Fraktion - wortkarg werden lassen. "Wir haben einen Dreck gewusst", sagt ein genervter Stadtrat auf die Frage, ob der schlechte Zustand des Daches nicht schon früher bekannt gewesen sei.

"Aber es gibt Leute, die immer schon alles gewusst haben." Dazu würde er wahrscheinlich auch Leute wie Thomas Rumpeltes zählen, den Vorstand des Bad Reichenhaller Eishockeyvereins EAC. Er war einer der ersten, die nach dem Unglück öffentlich auf die Missstände hingewiesen haben: Rumpeltes war nicht erstaunt, als er am Tag des Unglücks einen Anruf von der Stadt erhielt.

Das Training müsse am Abend ausfallen, weil man den Schnee vom Hallendach abschaufeln wolle, hieß es. "Das ist in den vergangenen Jahren mehrmals vorgekommen", sagt er. Niemand sei zu dem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass die Lage so kritisch sei.

Erst im Nachhinein könne man doch sagen, das es falsch war, den normalen Eislaufbetrieb nicht sofort zu unterbrechen. Rumpeltes nimmt die Stadt und Oberbürgermeister Heitmeier in Schutz - einerseits. Andererseits wirft er der Stadt und den Politikern vor, jahrelang tatenlos dem Verfall der Halle zugesehen zu haben.

Denn dass es Mängel an der Halle gab, weiß man in Bad Reichenhall seit langem. Überall habe es reingeregnet, berichtet Rumpeltes. Bei Eishockeyspielen konnte das Publikum auf manchen Plätzen gar nicht sitzen. Auch wurden regelmäßig Eimer zum Auffangen des Regens aufgestellt.

"In der Halle hat es ausgeschaut wie auf einer halbfertigen Baustelle", sagt der Vereinschef. Immer wieder habe er sich an die Stadt gewandt, die undichten Stellen im Dach doch bitte zu beheben.

Als Antwort sei ihm mitgeteilt worden, man könne die Stellen nur notdürftig flicken, für größere Reparaturen fehle leider das Geld. Keiner habe freilich daran gedacht, dass die schweren Holzträger nicht mehr tragfähig seien.

"In Deutschland denkt man doch nicht, dass ein Gebäude geöffnet wird, das nicht sicher ist", sagt Rumpeltes. Sein Vorwurf an die Stadt lautet denn: "32Jahre lang hat man so gut wie nichts an dem Gebäude getan, bis die Sanierungskosten nicht mehr zu finanzieren waren."

Über die Renovierung der Halle wurde freilich schon länger diskutiert. Tatsächlich wurde vor einigen Jahren ein Kostenvoranschlag erstellt, der vor allem das marode Schwimmbad zum Gegenstand hatte. Das Bad und die Eishalle verfügen über eine gemeinsame Technikzentrale. Die veraltete Kälte-Anlage verursachte hohe Energiekosten, sie sollte im Zuge einer Sanierung mit ausgetauscht werden.

Auch über die Nutzung der Eishalle im Sommer zerbrachen sich die Stadträte in Bad Reichenhall den Kopf. An der Festigkeit der so massiv wirkenden Hallendachkonstruktion zweifelte indes niemand. Auch gestern erklärten die Fraktionssprecher von SPD, CSU und FWG: Die Stadt habe keine Kenntnis von sicherheitsrelevanten Mängeln gehabt. Jetzt ermittelt die Justiz.

"Alle, die es immer schon gewusst haben, können jetzt zum Staatsanwalt gehen", schimpft der Stadtrat und fügt hinzu: "Eine Viertelstunde später, und die Leute wären vom Eis gewesen. Um die Scheißhalle wäre es doch wurscht gewesen."

© SZ vom 5.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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