Spanien:Beklemmende Nähe

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Der Fall eines Eta-Terroristen, der nach der Haftentlassung in das Haus der Witwe seines Opfers zog, alarmiert die Justiz.

Peter Burghardt

Wenn Pilar Elias ihr Haus in der baskischen Kleinstadt Azkoitia betritt oder verlässt, dann spiegelt sich ihr Gesicht in einem Schaufenster. Es gehört zu einer Glaserei namens Aldako, dahinter sieht sie manchmal den Besitzer. Er heißt Kandido Azpiazu und hat vor einem Vierteljahrhundert ihren Mann ermordet.

Die Opfer schützen und dem Morden endlich ein Ende setzen: Immer wieder gibt es in Spanien große Demonstrationen gegen die baskische Terrororganisation Eta. (Foto: Foto: AP)

Die Begegnung von Täter und Opfer erweitert seit einigen Monaten eine Geschichte, wie sie in Westeuropa nur im spanischen Baskenland möglich ist. Dort, wo der Hass eine Terrororganisation mit dem Kürzel Eta nährt. Wo ein junger Fanatiker aus politischen Gründen einen Bekannten erschießt, der ihn als Kleinkind aus einem Verkehrsunfall befreit hatte. Wo die Witwe des Toten zwei Leibwächter braucht, weil sie Lokalpolitikerin einer Staatspartei geworden ist.

Am Anfang - ein Unfall

Die Tragödie begann 1962 mit einem Verkehrsunfall, die Eta entstand da gerade erst. Der Ladenbesitzer Ramon Baglietto, Pilar Elias' Gatte, sah eine junge Frau über die Straße gehen, sie hatte ein Baby im Arm und einen Jungen an der Hand. Der Bub lief los, als sich ein Laster näherte.

Die Mutter versuchte ihn zu erreichen, das Fahrzeug überrollte beide. Augenzeuge Baglietto stürmte aus dem Geschäft, konnte aber nur den Einjährigen an sich reißen. 18 Jahre später brachte der Überlebende seinen Retter um.

Am 12. Mai 1980 fuhr Ramon Baglietto, 43, wie jeden Tag die kurvige Strecke zwischen Elgoibar und Azkoitia. Seine Verfolger wussten das. Sie betrachteten ihn als Feind, weil er mit der seinerzeit in Madrid regierenden Zentrumspartei UCD sympathisierte. Die Diktatur war zwar vorbei, es gab eine demokratische Verfassung mit weitreichenden Autonomierechten für die Basken.

Doch das genügte der Eta nicht. Ihre Kommandos töteten allein in jenem Jahr 96 Menschen, die ihrer Utopie vom unabhängigen Großbaskenland im Weg waren. "Du wirst sterben", stand an Ramon Bagliettos Hauswand. Auch an jenem Abend, seinem letzten, entdeckte er einen Renault 4 im Rückspiegel und wollte es für Zufall halten.

An der Steigung von Azcarate wurde sein Auto beschossen, schwer verletzt prallte es bei strömendem Regen gegen einen Baum. Dann näherte sich der Eta-Aktivist Kandido Azpiazu, 19, und schoss Baglietto mit einer Parabellum Kaliber neun Millimeter in den Kopf.

Bagliettos Bruder Pedro Mari schrieb das Drama später auf, das Buch trägt den Titel "Ein Friedensschrei". Schwester Nieves Baglietto zog weg, sie wurde ebenfalls bedroht: "Wenn du nicht die Nächste sein willst, dann verschwinde." Seine Frau Pilar Elias blieb.

Sie trat der rechtskonservativen Volkspartei bei, wurde Gemeinderätin, bekam Personenschutz - baskische Routine. Eine Zeitlang musste sie sogar neben einem Vertreter der Eta-nahen Formation Batasuna sitzen, der an dem Mord beteiligt gewesen sein soll, ehe er vor Gericht gestellt und Batasuna verboten wurde.

Möglichkeiten des Gesetzes

Es kam das Jahr 1995. Haupttäter Azpiazu durfte unter Auflagen das Gefängnis verlassen, nach 15 Jahren, obwohl er zu 49 Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden war. Gesinnungsgenossen in Azkoitia empfingen ihn wie einen Helden.

Pilar Elias war entsetzt, doch sie bekam ihn erst nicht zu Gesicht und hätte ihn auch kaum mehr erkannt. Zuletzt wurde es um die Eta zudem ruhiger. Im März 2005 erfuhr die Witwe dann, wer die Glaserei im Parterre ihres Hauses in der Calle Ibai-Ondo übernahm: Kandidito, wie ihn die Leute nennen. Kandido Azpiazu, den ihr Ramon gerettet und der ihren Ramon erschossen hatte.

Sie konnte es nicht glauben. Der Käufer hat noch nicht mal die gesetzliche Entschädigung für sie und die Söhne bezahlt, doch nun zog er gegen einen Kaufpreis von 120.202 Euro und 42 Cents in denselben Wohnblock ein. Einem Reporter sagte Kandido Azpiazu, er wolle arbeiten und in Ruhe gelassen werden.

Pilar Elias sei es, die Konfrontationen provoziere. Er sei sich sicher, dass die Nachbarn ihn unterstützten und nicht sie. Und Fremde hätten sowieso keine Ahnung, was im Baskenland vor sich gehe. "Alle Völker haben in bestimmten Momenten den bewaffneten Kampf für ihre Unabhängigkeit verwendet. Vielleicht ist jetzt nicht mehr der Moment, aber wir reden von anderen Zeiten."

Die Zeitung El Pais berichtete schließlich, andere Medien folgten. Auch die spanische Staatsanwaltschaft las die unfassbaren Berichte. Die Justiz will nun dafür sorgen, dass Täter ihren Opfern selbst nach verbüßter Strafe fernbleiben müssen.

Auch im kleinen Baskenland, das ungefähr so groß ist wie der Kosovo, aber sehr viel wohlhabender. Pilar Elias freute sich über die Nachrichten. Sie wusste gar nicht, dass juristische Möglichkeiten bestanden, und hofft, dass es nicht bei der Ankündigung bleibt.

Den Mörder ihres Mannes sieht sie vorläufig fast jeden Tag. "Ich hab' keine Angst", sagt Pilar Elias. Obwohl er einmal gesagt habe, das seien "Blicke, die töten."

© SZ vom 21.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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