Sowjet-Symbol:Good Bye, Lenin

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In Moskau ist wieder einmal der Streit darum entbrannt, ob der große Revolutionsführer nicht endlich beerdigt werden soll.

Daniel Brössler

Morgens um zehn ist in Moskau die Welt noch in Ordnung. Zumindest für altgediente Kommunisten. Sie können dann sehen, dass sich immer noch eine Schlange bildet vor dem Roten Platz, dass immer noch Menschen geduldig anstehen, um am Leichnam Wladimir Lenins vorbeizudefilieren.

Die Lenin-Mumie im Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau. (Foto: Foto: AP)

Zu genau dürfen die betagten Jünger Lenins natürlich nicht hinschauen, sonst bemerken sie, dass es überwiegend Touristen aus Japan oder Spanien sind, die sich angestellt haben, weil sie sich Moskaus gruseligste Attraktion nicht entgehen lassen wollen.

Für die meisten Russen ist das Moskauer Mausoleum längst kein Heiligtum mehr, vielen ist es sogar peinlich. "Wir sind doch keine Ägypter", platzte es jüngst aus der St. Petersburger Gouverneurin Walentina Matwijenko heraus. Das ließ treue Kommunisten besorgt aufhorchen, gilt doch die Petersburgerin als Vertraute jenes Mannes, der im Palast oberhalb des Mausoleums thront - Präsident Wladimir Putin.

"Kein Zustand"

Es mehren sich die Anzeichen, dass im Kreml über Wege nachgedacht wird, Lenin unter die Erde zu bringen. Es sei doch kein Zustand, dass so jemand "im Zentrum unseres Staates in der Nähe des Kreml" bleibe, klagte Putins Beauftragter für Russlands Zentralbezirk, Georgij Poltawtschenko.

"Es kommt die Zeit, dass alle in Mutter Erde begraben sein werden, wie es sich gehört", prophezeite der Putin-Mann. Ljubow Sliska, die Vizechefin der Duma, setzte noch einen drauf. Sie habe ja Verständnis für die Anhänger des Revolutionsführers, "doch bei all ihrer Liebe zu Lenin darf man sich nicht so an ihm vergehen. Das ist unchristlich", sagte sie. Lenin müsse nach christlichem Ritus bestattet werden.

Ein orthodoxes Begräbnis für den Mann, der die Religion als Opium fürs Volk bezeichnet hatte? Eine "verantwortungslose Provokation" nennt das Gennadij Sjuganow, der Vorsitzende der russischen Kommunisten. "Diese Erklärungen sind ein weiterer Beweis für die Amoralität und den Zynismus der russischen Führung", tobte er.

Starke Minderheit für Mausoleum

Mit dieser Meinung vertritt der Kommunistenchef freilich nur eine Minderheit der Russen, wenn auch eine starke. Nach einer neuen Umfrage des Moskauer Instituts VZIOM sind 51 Prozent der Russen der Meinung, Lenin solle begraben werden. 40 Prozent wollen hingegen, dass der Führer der Oktoberrevolution bleibt, wo er ist - im Mausoleum.

Die Gefühle dieser Menschen dürften nicht verletzt werden, findet auch der letzte sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Irgendwann müsse Lenin bestattet werden, räumte er ein, doch "dieser Moment ist noch nicht gekommen".

Tatsächlich fällt einem Teil der Russen der Abschied von den Symbolen ihres untergegangenen Sowjetreiches schwer. Neben bunter Leuchtreklame prägen immer noch rote Sterne das Stadtbild Moskaus, und wenn zu festlichen Anlässen die Hymne erklingt, so ist es die Melodie aus alten Sowjettagen.

Zwietracht

Bislang war gar der 7. November, der Jahrestag der Oktoberrevolution, noch gesetzlicher Feiertag; doch den hat Putin nun abgeschafft. Stattdessen dürfen die Russen am 4.November, an diesem Freitag also, erstmals den "Tag der nationalen Einheit" begehen, was im Land umgehend für Zwietracht gesorgt hat.

Den Sieg über die Polen im Jahr 1612 zu feiern, erscheint jedenfalls selbst patriotischen Landeskindern ein wenig weit hergeholt. Zufrieden mit dem neuen Feiertag ist freilich die orthodoxe Kirche, die mit diesem Datum einen Triumph über die verhassten Katholiken verbindet.

Es versteht sich, dass die Orthodoxen nun auch wieder Hoffnung schöpfen, der Tempel der gottlosen Leninisten könnte doch endlich aus dem Moskauer Stadtbild verschwinden. "Aus Sicht von Christen, Juden und Muslimen müssen Tote begraben werden", erinnerte der Metropolit Kirill. Er wirbt nun für eine Volksabstimmung über das Schicksal des umstrittenen Leichnams.

Asylangebote

So weit ist es noch nicht, doch vorsorglich sind in Moskau schon Asylangebote für Lenin eingegangen. Das Oberhaupt der autonomen Republik Kalmückien im Süden Russlands, Kirsan Iljumschiow, bot an, das Mausoleum samt Mumie in die kalmückische Hauptstadt Elista zu verlegen.

Im Sinne des 1924 Verstorbenen wäre das wohl nicht. Er hatte sich gewünscht, an der Seite seiner Mutter in St. Petersburg bestattet zu werden.

© SZ vom 04.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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