Sorgerechtsverfahren in der Kritik:Schlampige Gutachten

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"Man denkt ja, da wird einem professionell geholfen": Gutachten vor Familiengerichten haben die wohl größte Macht, die ein Papier über Menschen haben kann - sie entscheiden, ob Eltern ihr Kind genommen wird. Und doch sind nicht nur die verwendeten Tests mangelhaft, sondern auch die Gutachter oft schlecht ausgebildet.

Charlotte Frank

Die Liebe ging ihnen schnell verloren, dann auch noch ihr Vertrauen, ihre Freundschaft, und irgendwann war das Einzige, was Eva und Jan D. noch teilten, Nina, ihre Tochter. Das Paar wollte aber nichts mehr teilen, wollte sich auch nichts mehr sagen, also sahen sie nur noch einen Weg: Ein Gericht sollte über Ninas Aufenthalt entscheiden.

Viele, die ein Sorgerechtsgutachten erstellen, sind unzureichend ausgebildet. Dabei haben sie über Folgenreiches zu entscheiden. (Symbolbild) (Foto: dpa)

"Man denkt ja, da wird einem professionell geholfen", sagt Jan D. Heute weiß er es besser. Denn um zu klären, bei wem Nina besser aufgehoben war, berief der Richter eine Gutachterin. Damit endete alle Professionalität: Ihr Gutachten strotzte nur so von Fehlern. Es ist kein Einzelfall.

Es braucht mehr als ein bisschen Werkzeug

Gutachten vor Familiengerichten haben die vielleicht größte Macht, die ein paar Blatt Papier über Menschen haben können: Die Macht zu bewirken, dass Eltern ihr Kind genommen wird. Und doch werden sie immer wieder schlampig erstellt, unter Missachtung wissenschaftlicher Standards.

Kein Wunder: Viele, die sie erstellen, sind unzureichend ausgebildet. Beides lässt das Gesetz zu. "Selbst vor Verkehrsgerichten ist der Anspruch an Sachverständige höher", sagt Werner Leitner, der an der Uni Köln Psychologie lehrt. Er hat bei einer Stichprobe von 70 Gutachten aus den Jahren 2009 und 2010 festgestellt: Der größte Teil der zehn am häufigsten angewendeten Tests genügt wissenschaftlichen Ansprüchen nicht.

Ein Kind ist keine Maschine, und um zu prüfen, wie kaputt es durch eine Scheidung ist, braucht es mehr als ein bisschen Werkzeug. Und doch haben Psychologen eine Art Werkzeugkasten: Klare, nach jahrelangen Tests zugelassene Regeln, anhand derer Kinder beurteilt werden können. Diese aber, sagt Leitner, würden oft ignoriert. "Oft werden Schlüsse aus dem Bauch getroffen", sagt er.

Zudem kämen vielfach Tests zum Einsatz, deren Aussagekraft "gegen null" gehe. So werden Kinder aufgefordert, ihre Familie als Tiere zu malen, was zu "obskuren Interpretationen" führe. "Malt ein Kind seinen Vater als Schwein, hat das oft nicht mehr zu sagen, als dass es zuvor mit einem Plüsch-Schwein gespielt hat", sagt Leitner.

Jeder kann zum Sachverständigen werden

Die oft mangelhafte Qualität der Gutachten hängt mit einem weiteren Problem zusammen: Zum Sachverständigen vor Familiengerichten kann theoretisch jeder Mensch mit jedem Beruf ernannt werden, nicht nur Psychologen oder Pädagogen. Auch müssen Gutachter keine Berufserfahrung nachweisen. Schon Uni-Absolventen ohne Lebens- oder Berufserfahrung können ein Urteil über die Zukunft ganzer Familien abgeben. Fortbildung ist für Gutachter nicht - wie für alle anderen Heilberufe - vorgeschrieben. Und eine Kammer, die ihr korrektes Arbeiten überwachen könnte, fehlt.

Das Problem ist längst auch an den Familiengerichten bekannt - und wird seit Jahren hingenommen. In keinem anderen Rechtsbereich sei die Auswahl der Gutachter so lax geregelt, sagt Christoph Berndt, Familienrechtsexperte bei der Bundesrechtsanwaltskammer. "Da fehlt der politische Druck, strengere Kriterien anzulegen." Auch sieht er die Juristen in der Verantwortung: "Ein guter Familienrichter oder -anwalt müsste in Gutachten die neuralgischen Punkte erkennen", sagt er. Viel zu oft werde unter Zeitdruck aber nur das Fazit gelesen.

Im Fall der Familie D. lautete das Fazit: Nina solle bei der Mutter leben, der Vater sei erziehungsunfähig. Er darf Nina kaum noch sehen, schläft nicht mehr, ist ein gebrochener Mann. In zwei Gegengutachten für 3000 Euro hat er der Gutachterin grobe Fehler nachgewiesen. Umsonst. Er hat den Prozess verloren - und sein Kind.

© SZ vom 14.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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