Sex-Streit in der Türkei:Anatolische Leidenschaften

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Ein Mann war im konservativen Kayseri mit Sexshops erfolgreich - nun haben ihm die Ämter die Lizenz entzogen.

Kai Strittmatter

Kayseri liegt im Herzen Anatoliens. Die Leute dort sind berühmt für ihren Geschäftssinn. Einer der bekanntesten Söhne der Stadt, der Möbelfabrikant Mustafa Boydak, zitiert gerne den Propheten Mohammed mit dessen Wort: "Neun Zehntel des Schicksals liegen in Handel und Mut".

Angeblich enthält chinesischer Kunststoff Schadstoffe - berichten türkische Zeitungen (Foto: Foto:)

Eigentlich also müsste die Stadt stolz sein auf einen wie Sezai Karakaya, der aus dem Nichts ein florierendes Unternehmen geschaffen hat. Ist sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie versucht, Karakaya das Handwerk zu legen. Sein Problem: Er hat einen Sexshop eröffnet. In einer Stadt, die nur eines noch mehr preist als Tüchtigkeit und Profit - Anstand und Frömmigkeit.

Es ist schon das zweite Leben des Sezai Karakaya. Das erste hat er in Deutschland verbracht, 19 Jahre, die meisten davon als Bergmann in westfälischen Kohlegruben. 1999 ging er zurück in seine Heimatstadt Kayseri. Zuerst versuchte er sein Glück mit einem Teelokal. Dann hatte er eine Idee.

Lange Recherche

Fünf Monate zog er durch Sexshops in Istanbul und Ankara, befragte Kunden und Verkäufer. 2004 war er soweit: Karakaya eröffnete seinen "Erotik Shop", den ersten in Kayseri. "Es lief von Anfang an super", erzählt er. Vibratoren und Gummipuppen verkauften sich am besten.

"Männer und Frauen kamen zu mir, oft gemeinsam. Die Leute waren glücklich." Nicht alle: Schon damals versuchten die Behörden, seinen Laden schließen zu lassen, die Gerichte aber waren auf der Seite Karakayas. Seine Geschäfte liefen so gut, dass er beschloss, zu expandieren: Die "Welt der Phantasie" feierte vor einer Woche Eröffnung. "Die Leute haben mir den Laden eingerannt", sagt Karakaya.

Das Glück währte nur kurz: Ein Bescheid des Bezirks Melikgazi traf ein, der Karakaya mit sofortiger Wirkung die Lizenz entzog. Begründung: Der Mietvertrag sei "nicht notariell beglaubigt". Eine Ausrede, meint Karakaya: "Der Bürgermeister gehört zur AKP. Der liebt die Religion. Deshalb will er mich nicht." Die islamisch geprägte Regierungspartei AKP hat nirgendwo im Land so viele Stimmen erhalten wie im konservativen Kayseri.

"Sex ist so wichtig wie Wasser und Brot"

Tatsächlich wurde in Teilen der Lokalpresse Stimmung gemacht: "Experten meinen, dass solche Läden zu abartigen Praktiken unter den Menschen führen", fand die Zeitung Kayseri Gündem heraus: "Zudem halten die Experten diese Produkte, die aus dem Westen stammen, für schädlich für die türkische Kultur und Lebensweise." Viele der Waren stammten aus China, warnte das Blatt, und "chinesischer Kunststoff enthält Schadstoffe". Das türkische Liebesleben im Zangengriff von West und Ost.

Sezai Karakaya hat manchen in Kayseri schockiert mit seiner Offenherzigkeit. Sex sei "so wichtig wie Wasser und Brot", diktierte er den Reportern. Er kämpft. Am Dienstag wird sein Anwalt die Stadtregierung verklagen. "Wir gewinnen", ist er sich sicher.

© SZ vom 20.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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