Sex-Spielzeug:Ware Liebe

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Handschellen und Dildos neben Kopfschmerzmitteln und Rheumasalben: Im sonst eher prüden Schweden gibt es Sex-Spielzeug künftig auch in Apotheken zu kaufen.

Gunnar Herrmann

Stockholm - "Eine Packung Aspirin, ein Erkältungsbad und ein Dildo bitte." Solche Bestellungen sollen in schwedischen Apotheken bald zum Alltag gehören. Kürzlich präsentierte die staatliche Apotheken-Kette in Stockholm ihr neues Sexspielzeug-Sortiment, das unter dem Slogan "Trust in Lust" ab 23. Juni in mehr als 100 Filialen im ganzen Land vermarktet wird. Neben dem phallischen Massagestab gehören zum Angebot auch ein Vibratorring, Öl in verschiedenen Duftnoten und spezielle Reinigungstücher zum Putzen der Gerätschaften.

Sextoys aus der Apotheke - warum nicht? (Foto: Foto: iStockphotos.com)

Der Vorstoß der Lustprodukte in den Gesundheitsbereich ist jüngster Höhepunkt in der Geschichte des "Reichsverbandes für sexuelle Aufklärung", kurz: RFSU. Der gemeinnützige Verein feiert heuer 75-jähriges Bestehen, er wirkt seit 1933 für einen unbefangeneren Umgang der Schweden mit ihrer Sexualität. Wie das Beispiel zeigt mit großem Erfolg. Im Laufe der Jahre hat der RFSU den Schweden das Kondom gebracht und ist überdies für die liberale Abtreibungs-Gesetzgebung des Landes mitverantwortlich. Der Verband leistet auch heute noch Aufklärungsarbeit an Schulen. Auf seiner Webseite erfahren die Schweden alles, was sie über Sex wissen wollen. Und wahrscheinlich sogar noch etwas mehr. Außerdem ist der RFSU im Ausland aktiv und setzt sich zum Beispiel für einheitliche Abtreibungsregeln in der EU ein.

Der Volvo unter den Kondomen

Ein Markenzeichen der schwedischen Sexualaufklärer ist, dass sie sich ihren Themen streng wissenschaftlich nähern. So war das auch bei den Dildos: Der RFSU hatte zunächst mit einer Konsumentenbefragung herausgefunden, dass etwa die Hälfte aller Schweden ein Sexspielzeug besitzt. Dabei zeigte sich auch, dass dessen Qualität oft mangelhaft ist. "Die Leute trauen sich einfach nicht, diese Art von Produkten zu reklamieren", sagte Katarina Knutz vom RFSU bei der Vorstellung des Apotheken-Sortiments. Ziel sei es nun, die Lust-Spielsachen "ans Tageslicht zu holen" und ihre Qualität zu verbessern. Dabei kann der RFSU gleich in mehrfacher Hinsicht behilflich sein. Denn dem Verein gehört auch ein gleichnamiges Handelsunternehmen, das die Apotheken mit dem Qualitäts-Spielzeug für Erwachsene beliefert.

Beim RFSU vergleicht man den Einzug des Sexspielzeugs in die Gesundheitsläden mit der Verbreitung des Kondoms. Der Vertrieb von Präservativen war nämlich in Schweden lange Zeit gesetzlich beschränkt, Jugendliche sollten nicht durch offenen Verkauf von Präventivmitteln auf sündige Gedanken gebracht werden. Erst im Jahr 1970 fielen die Schranken - unter anderem auf das Drängen des RFSU hin.

Damals gründete der Verein seine Handelsgesellschaft, die auch heute noch hauptsächlich Kondome vertreibt. Das erste RFSU-Präservativ kam Ende der 60er Jahre auf den Markt und trug den Namen Profil. Der Verein wollte damit - so wie heute mit dem Sexspielzeug - Qualitätsmaßstäbe setzen. Profil gilt den Sexualaufklärern zufolge heute als "Volvo unter den Kondomen". Der Schweden-Gummi wird mittlerweile auch in Deutschland verkauft, ebenso wie eine Reihe weiterer RFSU-Produkte, etwa die Marken Birds'n'Bees (Naturkautschuk) und Nam Nam (Erdbeergeschmack).

Dildos in Supermärkten und Drogerien

RFSU-Vorsitzende Lena Lennerhed kann sich gut vorstellen, dass Dildos und Vibratoren bald auch in Supermärkten und Drogerien feilgeboten werden. "Der Apothekenverkauf", sagt sie, "ist jedenfalls ein großer Schritt." Sie glaubt, dass viele Leute es schätzen, dass sie Sexspielzeug nun in einer "stubenreinen" Atmosphäre abseits von Rotlicht und Bahnhofsviertel kaufen können. "Vor allem für junge Menschen ist ein Dildo etwas Selbstverständliches, ein Teil des Wohlbefindens", sagt Lennerhed.

Die Apotheke, in Schweden ein staatseigener Monopolbetrieb, teilt offenbar ihre Sichtweise. Nach Angaben des Unternehmens gab es kaum interne Diskussionen über die ungewöhnliche Erweiterung des Angebots. "Die Apotheke will Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen fördern", kommentierte die Marketing-Chefin Eva Fernvall den Dildo-Verkauf.

Bleibt nur die Frage, warum gerade die Schweden so offen mit ihren Trieben umgehen. Lennerhed, die sich auch als Historikerin mit der Sexualmoral ihrer Landsleute beschäftigt, meint dazu, dass die Schweden eigentlich gar nicht so besonders seien. "Ich möchte zum Beispiel stark bezweifeln, dass wir mehr Sexspielzeug kaufen als die Menschen in anderen Ländern", sagt sie. Anderswo seien diese Fragen vielleicht einfach nicht so genau untersucht worden. Und die im Ausland weit verbreitete Vorstellung von den freizügigen Schweden und vor allem Schwedinnen hält Lennerhed für ein Klischee. Die sexuelle Aufklärung, meint Lena Lennerhed, sei in ihrer Heimat längst nicht so weit fortgeschritten, wie oft vermutet wird. Deshalb sei der RFSU auch nach 75 Jahren noch lange nicht überflüssig. "Da gibt immer noch eine Menge zu tun", versichert sie.

© SZ vom 06.06.2008/vs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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