Seniorenheim in Mainz:Gequält und gedemütigt

Lesezeit: 2 min

Die Bewohner eines Mainzer Seniorenpflegeheims sollen misshandelt worden sein. Dass der Einrichtung nun die Schließung droht, zeigt, wie gravierend die Mängel waren.

Christoph Hickmann und Nina von Hardenberg

180 Bewohnern eines Seniorenpflegeheims in Mainz könnte bald der Zwangsumzug bevorstehen, da ihr Heim vor der Schließung steht. Die zuständige Heimaufsicht gab am Dienstag eine in Deutschland immer noch ungewöhnliche Nachricht bekannt: Man habe sich entschieden, das Seniorenpflegeheim der Firma "Casa Reha" im Mainzer Stadtteil Finthen den Betrieb zu untersagen, hieß es. Die Mainzer Behörde zog damit die Konsequenzen aus einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), der schwere Pflegemissstände in dem Heim festgestellt hatte.

Dass die Heimaufsicht nun derart entschieden eingegriffen hat, offenbart die Dimension des Falls: Es kommt nur sehr selten vor, dass einem Heim die Betriebserlaubnis entzogen wird, und es ist extrem schwierig, kurzfristig neue Unterkünfte für die Bewohner zu finden. "Je größer ein Haus ist, desto schwerer ist es, es zu schließen", sagt der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek. In der Regel wird zunächst versucht, der Einrichtung Auflagen zu machen.

Untragbare Zustände im Pflegeheim

In Mainz-Finthen aber habe das offenbar nicht mehr ausgereicht. Bereits am 9. Oktober waren im dortigen Heim sechs Prüfer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vorstellig geworden, gemeinsam mit Vertretern der Heimaufsicht sowie der Mainzer Staatsanwaltschaft. Zuvor war beim MDK eine detaillierte Beschwerde eingegangen.

Offiziell spricht der MDK von "gravierenden Mängeln", die den Prüfern aufgefallen seien. Ein Bericht des ARD-Politmagazins Report Mainz allerdings zitierte am Montagabend aus einem Brief des Dienstes der unter anderem an die Staatsanwaltschaft Mainz geschickt wurde. Demnach hätten die Kontrolleure bei mindestens drei Bewohnern einen so genannten Hungermarasmus festgestellt, einen schweren Grad der Unterernährung.

Zudem ist von Gewichtsverlust bei weiteren Bewohnern und mangelnder hygienischer Versorgung in mehreren Fällen die Rede. Gundo Zieres, Geschäftsführer des rheinland-pfälzischen MDK, will sich zu Details nicht äußern, bestätigt aber: "Unsere Ergebnisse waren Auslöser für die jetzt laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft."

Von untragbaren Zuständen im Heim spricht eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben will. "Einige Angestellte haben die Bewohner angeschrien und gedemütigt. Sie haben Sachen wie ,verreck doch' gesagt, und es kam zu körperlicher Gewalt", sagte die Frau der Süddeutschen Zeitung. Sie habe erlebt, dass die Pflegedokumentation falsch geführt wurde. So waren die Angaben zum Trinkverhalten der Bewohner oft schon für ihren Dienst ausgefüllt, als sie ankam.

Alleine für 56 Bewohner zuständig

Auch seien die Stationen häufig zu gering besetzt gewesen. "Im Nachtdienst war ich alleine für 56 Bewohner zuständig." Inzwischen ist die Mitarbeiterin freigestellt worden. Sie dürfe das Haus nicht mehr betreten, erzählt sie. Letzteres empört die Frau besonders. "Ich komme mir vor wie ein Verbrecher, nur weil ich den Mund aufgemacht habe."

Bei Casa Reha wollte sich bis Redaktionsschluss niemand zu dem Betriebsverbot äußern. Noch am Morgen hatte der Konzern alle Vorwürfe zurückgewiesen und ein Gegengutachten zitiert. Nach der anonymen Anzeige einer ehemaligen Casa-Reha-Hilfskraft sei das Heim am 9. Oktober auch vom Gesundheitsamt geprüft worden. Anders als der MDK sei das Amt aber zu dem Ergebnis gekommen, dass "die von der Beschwerdeführerin geschilderten Mängel nicht nachvollziehbar sind", heißt es in einer Stellungnahme von Casa Reha.

Ob die Bewohner des Pflegeheims wirklich umziehen müssen, ist derzeit noch fraglich. Häufig werden Missstände in Heimen auch durch einen Trägerwechsel gelöst. Und auch der jetzige Betreiber hat offenbar noch eine Chance: "Das Heim ist jetzt mit einer schweren Hypothek belastet", sagt der Leiter der Heimaufsicht Peter Ehses. Er erwarte, dass Casa Reha Rechtsmittel einlegt. Dann sei "zu prüfen, ob die Mängel beseitigt werden". Würden sie beseitigt, "wäre dem Bescheid der Boden entzogen".

© SZ vom 21.11.07/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: