Schweiz:Liebi und Triebi

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Wie ein seltsames Bühnenstück über einen Seitensprung im Heuhaufen, eine verzauberte Berggondel und ein schwules Murmeltier zum erfolgreichsten Schweizer Musical aller Zeiten wurde.

Von Charlotte Theile, Zürich

Auf den T-Shirts, die am Eingang verkauft werden, prangen zwei Herzen, zwei Edelweiß-Blüten und ein goldenes Band mit der Aufschrift: "Ewigi Liebi". Die Shirts sind aus grauer Baumwolle, sie kosten umgerechnet 30 Euro. Auf der Rückseite steht Büezer oder Büezerin, was so viel heißt wie Handwerker oder Handarbeiter. Alles klar? Es geht um einfache Leute, es geht um die Liebe, es geht um die Schweiz. Hochdeutsch streng verboten, Alkohol darf man mit in den Saal nehmen. Der Cocktail des Abends besteht aus Champagner und Pfirsichsaft, jeder Platz im Saal ist verkauft. Mittwochabend, 18.30 Uhr. Das erfolgreichste Musical der Schweiz beginnt pünktlich. Es wird, das weiß man schon jetzt, mit Standing Ovations enden.

Es gibt wenig, was in den vergangenen Jahren einen so durchschlagenden Erfolg hatte wie die im September 2007 gestartete Liebesgeschichte von Heidi und Daneli. Ursprünglich war das Stück nur auf zwei Monate angelegt, 18 Mal wurde es verlängert, mehr als eine halbe Million Schweizer haben das Stück bis zum einstigen Finale im Juni 2012 gesehen. In Bern war sogar extra ein Theater für die Show gebaut worden. Dann war fünf Jahre lang Pause, und jetzt, zum Zehnjährigen, läuft "Ewigi Liebi" wieder - zunächst bis Ende Mai. Und erneut ist fast alles ausverkauft.

Manche Zuschauer haben das Stück schon mehr als 100 Mal gesehen

Die Schweizer bekommen eben einfach nicht genug von diesem Musical. Fast jeder, der an diesem Abend in die Zürcher Maag-Halle gekommen ist, sitzt schon zum zweiten oder dritten Mal in dem Stück von Roman Riklin und Dominik Flaschka. Es soll Besucher geben, die mehr als 100 Mal zugeschaut haben, wie die Kinder aus Trueb im Emmental den kleinen Daneli auslachen, weil er sich in die Heidi verliebt hat und ihren Velo-Pneu (Fahrradreifen) repariert.

Hilfe, das Murmeltier trägt Rosa! Das Schweizer Musical "Ewigi Liebi" verlangt seinen Darstellern so einiges ab. (Foto: Christian Knecht, vasistas.ch)

Der Erfolg ist so gewaltig, dass inzwischen sogar die Komponistin von Helene Fischers Hit "Atemlos" und Schlagergrößen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum nach Zürich pilgern, um sich anzuschauen, wie die Schweizer das machen: volkstümliches Liedgut, rockige Schlager und Popsongs mit einer Emmentaler Liebesgeschichte, Sex, Betrug, einer verwunschenen Gondel und - ja wirklich - einer Murmeltier-Familie verweben. Und das komplett in Mundart.

Die Geschichte ist gar nicht so schnell erzählt, die Sänger auf der Bühne brauchen fast drei Stunden dafür. Grob gesagt, geht es um einen Mann und eine Frau aus dem Dorf Trueb, beide etwa fünfzig Jahre alt. Die Frau hat einen Autounfall, der Mann ist Mechaniker und lebt auf einem Schrottplatz. Die Frau hat es eilig, der Mann versucht sich an der Reparatur - und erkennt dann: Das ist ja das Heidi! Seine erste Freundin, das Mädchen, mit dem alles so unglücklich auseinandergegangen ist. Auch das Heidi erkennt Daneli, der als Erwachsener überraschenderweise Dänu heißt, wieder. Es folgen romantische Lieder - und stets wird im letzten Moment irgendwo ein Kuss verhindert.

Man fragt sich: Wie viele Schweizer Fahnen werden noch auf der Bühne flattern?

In einer "Zeit-Gondel" versuchen Heidi und Dänu nun, in die Vergangenheit zurückzureisen. Sie wollen verhindern, dass er sie mit der blonden Sabe im Heu betrügt. Denn daraus erwuchs ja nur Unglück. Das ist schon alles reichlich absurd, noch absurder aber wird es, wenn nun auch noch das Schicksal dreier Schweizer Murmeltiere in das Stück gewoben wird. Im Gegensatz zu Heidi und Daneli sind die nämlich verheiratet, aber deshalb keineswegs glücklicher. Die Beziehung ist abgestanden, der schwule Sohn liebt Murmeltier Bruno aus dem Engadin. Bruno trägt übrigens ein bauchfreies Top und ist immer auf der Suche nach einem guten Nagelstudio.

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Intellektuell mag das für den einen oder anderen eine Herausforderung sein - andererseits hat solch gehobener Trash ebenso wie das Wolfgang-Ambros-Musical "Der Watzmann ruft" in dem Genre durchaus Tradition. Sogar die Neue Zürcher Zeitung findet die Wiederauflage des ländlichen Schauspiels mit neuen aktuellen Schunkelsongs einfach nur: "Köstlich!"

In der Pause stehen die Menschen dann Schlange am "Ewigi-Liebi-Selfie-Stand". Wie wird es weitergehen? Werden sich die beiden am Schluss bekommen? Wie viele Schweizer Fahnen werden noch auf der Bühne flattern? Tritt das Donald-Trump-Murmeltier noch einmal auf? Es beginnt tatsächlich, irgendwie Spaß zu machen. Mitklatschen, mitsingen, "i ha Heiweh nach de Bärge" beziehungsweise: "Ewigi Liebi", das wünsch ich dir und mir.

Am Ende gibt's ein Happy End, das Publikum liegt sich in den Armen und singt mit. Hunderte Menschen sind da - viele haben umgerechnet 100 Euro für die Karte bezahlt. Standing Ovations. Das Ensemble singt von Heimat: Das Dörfchen Trueb im Emmental, zu wenig hübsche Mädchen, zu viele Jungs, Alkohol und der Traum, mit Touristen und einer Gondelbahn irgendwie zu Geld zu kommen.

Vor der Maag-Halle wartet ein VIP-Bus, auch auf ihm prangen zwei Herzen, zwei Edelweiß und ein goldenes Band. Meist bringe sie Hochzeitsgesellschaften zu der Vorführung, sagt die Busfahrerin. Köstlich.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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