Schweiz:Die letzte Frau im Ständerat

Lesezeit: 3 min

Den Satz „Ich als Mutter“ werde man von ihr nie hören, sagt die Schweizer Abgeordnete Brigitte Häberli-Koller. (Foto: PR)

Lange sah es so aus, als wäre Brigitte Häberli-Koller bald die einzige Frau in der kleinen Kammer des Parlaments in Bern. Die Schweizer Politik hat grundsätzlich einen Frauenmangel.

Von Charlotte Theile, Bichelsee

Die Frau, um die es in diesem Text gehen soll, erscheint auf den ersten Blick so unspektakulär, dass es fast schon wehtut. Ihren Internetauftritt beginnt sie mit dem eher nicht polarisierenden Statement "Politik muss dem Menschen dienen", ansonsten zeigt die Homepage eine Handvoll freundlich-kompetenter Porträtfotos und einen Apfel. Weil der Kanton Thurgau, den Häberli-Koller seit 17 Jahren im Bundeshaus in Bern vertritt, für seine guten Äpfel bekannt ist.

Mit anderen Worten: Dass diese Frau je im Zentrum einer gesellschaftlichen Debatte stehen könnte, hätte sich niemand vorstellen können. Doch lange sah es so aus, als sei die Christdemokratin die einzige weibliche Abgeordnete, die in diesem Jahr für den Ständerat - die kleine Kammer des Parlaments - kandidieren will. Im Herbst wird ein neues Gremium gewählt, und von den derzeit sechs Frauen unter den 45 Mitgliedern haben fünf entweder keine Lust mehr oder müssen wegen der Amtszeitbeschränkung aufhören.

Die letzte Frau im Ständerat

Als Ende des vergangenen Jahres bekannt wurde, dass Brigitte Häberli-Koller womöglich nach der nächsten Wahl die einzige Frau im Ständerat sein könnte, schrieb die Neue Zürcher Zeitung: "Die letzte Frau im Stöckli", auf Standarddeutsch: Austragshaus, in Anlehnung an den Spitznamen, den die Kammer - aufgrund des oft fortgeschrittenen Alters ihrer Mitglieder - fast schon offiziell trägt.

Brigitte Häberli-Koller wurde für viele zum Symbol für den Frauenmangel in der Schweizer Politik. Das Land hat viel zu wenig Politikerinnen, in der Regierung, im Parlament wie in den Kantonen. Eine Frau auf 44 Männer? Häberli-Koller, die in Wirklichkeit exakt so freundlich und zupackend aussieht wie auf ihrer Homepage, schüttelt den Kopf. Nein, dazu werde es hoffentlich nicht kommen, mittlerweile haben ja immerhin acht Frauen ihre Neukandidatur angekündigt, und einige Parteien haben ihre Kandidaten für den Ständerat noch nicht festgelegt.

Andere Atmosphäre

Sie arbeite gern mit Männern ("sonst könnte ich diese Aufgabe nicht machen"), aber sie sei dennoch froh, dass es momentan in der Finanzkommission des Rates noch eine andere Frau gebe. Wenn Frauen dabei sind in einer Debatte, dann ist die Atmosphäre eine andere, auch Brigitte Häberli-Koller hat das festgestellt.

Im Übrigen sei - wenn man vom Männerüberschuss absehe - die Arbeit im Ständerat "die beste Aufgabe, die es in Bern gibt", sagt sie. Dann folgt ein leidenschaftliches Statement für die Arbeit in der zweiten Reihe der Politik: Früher als Lokalpolitikerin sei sie oft gefragt worden, wer sich jetzt um die drei Kinder kümmere. Das war in den 1990er-Jahren. "Aber nach dem, was ich von jungen Frauen höre, ist es heute nicht viel anders." Häberli-Koller schaut nachdenklich unter ihrem Bubikopf hervor. "Es ist noch gar nicht lange her, da wäre ich die Letzte gewesen, die eine Frauenquote unterstützt hätte." Aber jetzt? Jetzt findet sie, "dass sich ohne Druck nichts bewegt", obwohl sie sich nicht ganz sicher ist, ob eine Quote der richtige Weg ist.

Von der Flötenlehrerin zur Politikerin

Die Schweiz, die zu den wohlhabendsten und modernsten Ländern der Welt gehört, ist in Sachen Gleichstellung allenfalls ein Schwellenland. Erst 1971, Brigitte Häberli-Koller war damals 13 Jahre alt, wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Bis es in jedem Kanton etabliert war, vergingen noch einmal 20 Jahre, Brigitte Häberli-Koller machte in dieser Zeit eine kaufmännische Ausbildung, arbeitete in einer Anwaltskanzlei, verhandelte mit 21 Jahren ein Gehalt, das dem Züricher Männerstandard jener Zeit entsprach. Mit Mitte zwanzig wurde sie schwanger, bekam in den folgenden Jahren drei Kinder - und blieb erst einmal zu Hause.

Als die Kinder größer wurden, wagte sie den beruflichen Wiedereinstieg: als Blockflötenlehrerin. Kurz darauf wurde ihr politisches Engagement, das sie zuvor ehrenamtlich verfolgt hatte, zum Beruf. Schon bald saß sie als Abgeordnete in Bern.

Die Schweiz aber entwickelte sich in dieser Zeit langsamer als viele andere europäischen Länder. Während anderswo nach der Geburt beide Elternteile Anrecht auf eine gewisse Freistellung haben, bekommen junge Väter in der Schweiz genau einen Tag frei - zur Geburt. Frauen, die mehr als nur ein kleines Teilzeitpensum arbeiten, sind rar. Schweizer Männer dagegen arbeiten fast ausnahmslos Vollzeit. Daran wird Brigitte Häberli-Koller nichts ändern: Ihre Partei, die christdemokratische CVP, gehört zu den Parteien, die ihre Klientel vor allem mit konservativ geprägten, sogenannten "Familieninitiativen" an sich bindet.

Schweizer Panzer

Fragt man in Bern nach der Frau aus dem Thurgau, hört man als Erstes von der Blockflöte. Die zweite Assoziation, die sie hervorruft, sind Panzer. In Kreuzlingen im Kanton Thurgau produziert der US-Rüstungskonzern General Dynamics "Spezialfahrzeuge", Häberli-Koller sitzt in der Vorsorgestiftung des Unternehmens. Einen Interessenskonflikt sieht sie nicht. Die Verbindung sei offen deklariert, und vom jüngsten Lobbyvorstoß der Rüstungskonzerne, die Waffen auch in Bürgerkriegsländer exportieren wollen, halte sie nichts.

Noch weniger hält sie von dem, was in den USA als "Identity Politics" bekannt wurde. Sie habe nie versucht, mit ihren Lebensumständen Politik zu machen. "Ich als Mutter - das werden sie von mir nie hören", sagt die 60-Jährige und lacht. "Wer möchte, kann sich meinen Lebenslauf herunterladen und sehen, dass ich drei Kinder habe. Daraus wird ja wohl klar, dass sie irgendwie auf die Welt gekommen sind."

Noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, im kommenden Ständerat auch auf weibliche Abgeordnete zu treffen. Sie sagt, sie fände es "toll, wenn wir zehn Frauen wäre, knapp 25 Prozent. Das ist ja nicht gerade radikal." Nein, das ist es tatsächlich nicht. Aber halt auch: ziemlich unrealistisch.

© SZ vom 15.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: