Russland:Tod und Teufel

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Schutzgelderpressung, Schlägereien, Schüsse: Auf Moskaus Friedhöfen herrscht das Gegenteil von Frieden. Migranten und Mafia bekriegen sich - es geht um Anteile am Totengräber-Geschäft.

Von Julian Hans, Moskau

Es war ein heiterer Frühlingstag, als auf dem Friedhof der Krieg ausbrach. Dort, wo Moskau im Westen ausfranst, erstreckt sich die größte Begräbnisstätte der russischen Hauptstadt; auf über 190 Hektar liegen die Gebeine von mehr als einer Million Verstorbener. Gräber so weit das Auge reicht, auf vielen älteren Sowjetstern, auf den neueren orthodoxen Kreuze, um wohlhabendere ein kleiner Zaun, eine Bank und manchmal ein Tischchen, an dem sich die Angehörigen zum Todestag treffen, einen Happen essen, einen Schluck Wodka trinken, um der Toten zu gedenken.

Täglich kommen Dutzende neue Gräber hinzu. Leichentransporte, Begräbnisse, Gedenksteine, Blumen, Grabpflege - anders als das Sprichwort sagt, ist auch der Tod nicht umsonst. Mehr als 50 000 Euro würden am Chowanskoje-Friedhof jeden Tag umgesetzt, schätzt die Wirtschaftszeitung Kommersant. Viele wollen daran mitverdienen - auch mit Hilfe von Gewalt.

200 Männer lieferten sich eine Schlacht mit Grabschaufeln, Eisenstangen und Steinen

Die Zusammenstöße hätten in der Nähe der Werkstatt begonnen, in der die Steinmetze arbeiten, berichteten Augenzeugen später. Gegen zehn Uhr morgens trafen dort immer mehr Männer mit sportlichem Körperbau ein und begannen, die Friedhofsarbeiter einzuschüchtern, von denen die meisten aus Tadschikistan stammten. Einige trugen Pistolen bei sich, sogar eine Maschinenpistole wurde später sichergestellt. Die Arbeiter wehrten sich mit dem, was sie greifen konnten: Grabschaufeln, Eisenstangen, Steine. Bald lieferten sich mehr als 200 Männer eine erbitterte Schlacht. Als ein Großaufgebot von 300 Polizisten zweieinhalb Stunden später die Menge auseinander getrieben hatte, waren drei Männer tot; einer starb durch einen Schuss in die Brust, zwei wurden mit einem Auto überfahren. Mehr als 30 mussten mit schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden.

Seit jenem Samstag vor zwei Wochen versuchen 40 Ermittler und die Öffentlichkeit in Russland zu rekonstruieren, was zu den Zusammenstößen führte, die Boulevardmedien das "Gemetzel vom Chowanskoje-Friedhof" getauft haben. Zunächst war die Rede von einem Streit zwischen Migranten aus Zentralasien und Männern aus den russischen Republiken im Nordkaukasus um die Aufteilung des Geschäfts mit Dienstleistungen und Trauer-Bedarf. Doch die Hauptbeschuldigten unter den mehr als einhundert vorläufig Festgenommenen haben fast alle slawische Namen. Wie die Nowaja Gaseta berichtete, trugen viele von ihnen T-Shirts des Boxklubs "Gesunde Nation". Dass Mafia-Gruppen gern kräftige Männer aus Kampfsport-Vereinen rekrutieren, ist bekannt. Diese sogenannten "Sportler" helfen dann bei Bedarf, den Forderungen ihrer Auftraggeber Nachdruck zu verleihen.

Ins Visier der Ermittler ist derweil der inzwischen entlassene Direktor des Friedhofs, Jurij T., geraten, der als Abteilungsleiter des städtischen Betriebes "Ritual" für etwa 30 Friedhöfe verantwortlich war, darunter auch der berühmte Friedhof des Neujungfrauenklosters, auf dem viele Staatsmänner, Künstler und Prominente beerdigt sind. T. selbst hatte die Version von einem Konflikt zwischen konkurrierenden ethnischen Gruppen verbreitet, in dem er zu vermitteln versucht habe. Allerdings ist fraglich, warum der städtische Angestellte dann nicht die Polizei gerufen hat.

Die Ermittler gehen daher davon aus, dass T. die "Sportler" anheuerte, weil sich die Migranten weigerten, eine Abgabe an die Friedhofsleitung dafür zu zahlen, dass sie dort arbeiten dürfen. Ein Tadschike, der nach eigenen Angaben seit 20 Jahren auf dem Chowanskoe-Friedhof arbeitet, sagte der Nowaja Gaseta, die Migranten müssten bis zu 70 Prozent ihrer Einnahmen abgeben - offenbar als Bestechungsgeld.

Die mafiöse Organisation des Friedhofsgewerbes ist ein Problem, das bis in Sowjetzeiten zurückreicht. Wer nicht draufzahlt, bekommt Gräber, die unter Wasser stehen oder solche am äußersten Ende des Geländes, viele Kilometer vom Eingang entfernt. Für einen Extra-Betrag kann man seine Angehörigen dagegen selbst in Abschnitten beerdigen, die eigentlich schon geschlossen sind.

Spuren der Schlacht: Der Konflikt ist in den lokalen Medien als "Gemetzel vom Chowanskoje-Friedhof" bekannt. (Foto: Vladimir Velengurin/dpa)

Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte es im Herbst bereits zwei ähnliche Zwischenfälle auf anderen Friedhöfen gegeben, die ebenfalls unter der Leitung von "Ritual" stehen. Schutzgeldeintreiber hätten den Wanderarbeitern bis zu 90 Prozent ihrer Einnahmen abgepresst, berichtet der Kommersant. Im Juni 2015 nahmen Drogenermittler außerdem einen Mann fest, der auf dem Chowanskoe-Friedhof Heroin verkauft haben soll und Gräber als Versteck benutzte.

Ob die Stadt Moskau ihren eigenen Betrieb nicht in den Griff bekommt, oder ob hohe Beamte nicht selbst an den dunklen Geschäften bei "Ritual" mitverdienen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Seit 2008 wurde fünf Mal der Direktor ausgewechselt. Allein im vergangenen Jahr wurden Dutzende "Ritual"-Angestellte wegen Korruption entlassen. In einem anonym im Internet veröffentlichten Brief an Bürgermeister Sergej Sobjanin klagten Mitarbeiter im Sommer 2015, in dem Unternehmen herrschten "Anarchie und Verbrechen". Jurij T. hatte derweil einen guten Draht zu den Sicherheitsorganen: Seit 2011 saß er im Beirat des Ermittlungskomitees - einer Art russisches FBI - und wurde 2013 für gute Zusammenarbeit mit einem Orden ausgezeichnet.

Mittlerweile hat die Schlacht auf dem Chowanskoe-Friedhof eine internationale Dimension erreicht. Bei einem Besuch in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe versprach Russlands Innenminister Wladimir Kolokolzew am Dienstag Präsident Emomali Rachmon, die Schuldigen würden unabhängig von ihrer Nationalität verfolgt und bestraft. "Alle Ermittlungen unterstehen meiner persönlichen Kontrolle. Egal, woher er kommt, jeder kriegt, was er verdient".

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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