Raubüberfall bei Pokerturnier:"Alle wollen eine Ocean's-Eleven-Geschichte"

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Nach einem Raubüberfall auf die European Poker Tour in Berlin entkommen die Täter mit mehreren hunderttausend Euro.

Wolfgang Luef

"Hilft jemand?", schreit der Mann im schwarzen Anzug. Er kauert am Boden und hält einen anderen im Schwitzkasten. Der trägt eine Skimaske und brüllt laut, befreien kann er sich aber nicht. Neben den beiden liegt eine Pistole. Rundherum herrscht Chaos. Die Kamera wackelt, Menschen laufen durchs Bild, im Hintergrund Lärm.

Als ein zweiter Mann mit Skimaske auf den Anzugträger zuläuft, eine Metallstange in der Hand, lässt er locker und springt zur Seite. Die beiden Männer mit den Masken laufen davon. Die Kamera schwenkt nach rechts, in einen Saal, in dem eben noch 500 Menschen Poker gespielt haben. Alle Tische sind nun leer.

Es ist eines von mehreren Internet-Videos, die den bewaffneten Raubüberfall auf die European Poker Tour im Luxushotel Grand Hyatt in Berlin zeigen. Der Sieger des größten Pokerturniers in Deutschland erhält eine Million Euro. Am Samstag haben vier vermummte Männer einen sechsstelligen Betrag geraubt, Polizei und Veranstalter schweigen über die genaue Summe.

Wenn der Wachmann im Anzug die Täter nicht angegriffen hätte, wäre die Beute wohl deutlich höher gewesen, nach dem Kampf mit ihm ließen sie einen Teil des Geldes zurück. Die Räuber waren mit Pistolen und einer Machete bewaffnet, doch es fiel kein Schuss. Ernsthaft verletzt wurde niemand.

"Du bist der Held, oder?"

Am Samstagabend ist das Turnier wieder im Gange, die Polizei ist abgezogen. Vor dem Hotel am Marlene-Dietrich-Platz steht Roman, 36, ein bulliger Kerl, zwei Meter groß. Er ist der Anzugträger aus dem Video, einer von fünf Mitarbeitern der Firma Kuhn Security, die für die Sicherheit sorgen sollen. Seinen Nachnamen soll keiner wissen. "Hab' ich also wieder mal in den Lauf einer Pistole geguckt", sagt er lakonisch. Laut Polizeibericht gehört er zu den sieben Leichtverletzten.

Einige Spieler haben sich im Gerangel Schürfwunden zugezogen, und ihn hat ein Räuber mit der Machete getroffen. Der Kratzer über dem rechten Auge ist kaum zu sehen. "Minimal gestreift", sagt er und nimmt einen Zug von seiner Zigarette. "Gefühlte drei Schachteln" habe er heute geraucht. Dieser Hinweis ist die einzige Blöße, die er sich gibt. Er bemüht sich, cool zu wirken.

"Du bist der Held, oder? Ich hab dich im Internet gesehen!", ruft ihm ein junger Mann im Vorbeigehen zu. Da lächelt Roman ganz kurz, aber er hat sich sofort wieder im Griff. "Das war kein Heldentum, sondern Selbsterhaltungstrieb", sagt er. "Da spult sich einfach ein Film im Kopf ab, das kannst du nicht mehr kontrollieren". Roman weiß, dass ein Held sich selbst nie so nennen darf. Und er genießt diese Rolle. Seine Geschichte hat er heute schon mehrmals erzählt: Wie er einem Angreifer die Pistole aus der Hand schlug, mit einem Absperrungs-Pfosten nach zwei anderen warf und wie er einen der Räuber zu fassen bekam und in den Schwitzkasten nahm.

Er und seine Kollegen waren unbewaffnet: "Das hat der Veranstalter so gewünscht." Auch bei ähnlichen Events gebe es keine Armada an bewaffneten Sicherheitsleuten. In Berlin waren aber auch Hintereingänge nicht bewacht; außerdem lagen große Geldsummen im Check-In-Bereich, wo Spieler ihre Chips abholen. Wer mitmachen will, legt durchschnittlich 5000 Euro hin. In regelmäßigen Abständen wurde das Geld in einen Tresor gebracht - kurzzeitig lagen dort aber hohe sechsstellige Summen. Seit Samstag hat sich das geändert.

"Man denkt ja sofort an Terroristen"

Die Täter nutzen diese Sicherheitslücke, als sie kurz nach 14 Uhr über das Treppenhaus ins Foyer des Turniersaals rennen. Arved Klöhn kommt zu diesem Zeitpunkt gerade mit einigen Kollegen aus dem Presseraum am anderen Ende des Flurs. Klöhn ist 27, Pokerjournalist aus Berlin, er berichtet auf pokerolymp.de über das Turnier. Er sieht einen der Räuber, erkennt eine Waffe, hört Geschrei. "Man denkt ja sofort an Terroristen oder eine Geiselnahme", sagt er. Etwa 15 Journalisten verbarrikadieren sich sofort im Pressezimmer, einem stickigen Raum voller Laptops und TV-Bildschirmen. Eine Journalistin schmiedet den Plan, das Hotel durch ein Fenster zu verlassen. "Panik im Presseraum", schreibt einer der Blogger um 14.12 Uhr.

Eine Weile können die Reporter noch über Bildschirme das Geschehen im Turniersaal verfolgen. Dort bricht Chaos aus. Die Spieler haben die Aufregung im Foyer mitbekommen und flüchten. Dann reißt die Übertragung ab. Minuten später ist alles vorbei. Als Klöhn den Presseraum verlässt, sieht er "ein Bild der Verwüstung". Scherben am Boden, heruntergerissene Absperrungen, ein leerer Poker-Saal. Medienberichten zufolge hat auf die Täter draußen ein Fluchtauto gewartet. Die Polizei soll außerdem DNS-Spuren der Räuber gefunden haben. Beides wurde vorerst nicht bestätigt.

"Jetzt sind alle Chips durcheinander", klagt einer der Poker-Blogger um 14.16 Uhr auf pokerolymp.de, nur wenige Minuten nach der Tat. Das passt zu der Stimmung, die bei der eingeschworenen Poker-Gemeinschaft herrscht. Das Event ging wie selbstverständlich weiter, nur ein paar kleinere Nebenturniere wurden abgebrochen, weil die Chips eben zu sehr durcheinandergewirbelt waren.

Viele Spieler ärgert es, dass über ihre Leidenschaft ausgerechnet wegen einer Straftat berichtet wird - und nicht etwa wegen der Stargäste wie Boris Becker oder Charlotte Roche, die beide zum Zeitpunkt des Überfalls längst ausgeschieden waren. Dass auf Online-Portalen sofort von Pumpguns, Handgranaten, Kalaschnikows und einer Millionenbeute die Rede war, passt für viele ins Bild: "Alle wollen eine Ocean's-Eleven-Geschichte", sagt einer der Spieler. Und Arved Klöhn meint: "Den größten Schaden hat heute das Image des Poker davongetragen."

© SZ vom 08.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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