Prozess um Maskenmann:"Schwere seelische Abartigkeit"

Lesezeit: 3 min

Im Prozess gegen den sogenannten "Maskenmann" hat ein Gutachter den geständigen Täter Martin N. für voll schuldfähig erklärt. Trotz einer psychischen Störung hätte sich der Kindermörder immer unter Kontrolle gehabt. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft - die Fragen der Angehörigen beantworten kann sie nicht.

Hans Holzhaider, Stade

Es ist ein zähes Ringen, das im Gerichtssaal stattfindet - ein Ringen, bei dem es für die Angehörigen der drei ermordeten Jungen darum geht, ob sie in diesem Prozess wirklich die ganze Wahrheit darüber erfahren, was mit ihren Kindern geschehen ist. Martin N., der als der "Maskenmann" in die deutsche Kriminalgeschichte eingehen wird, hat gestanden, Stefan Jahr, Dennis Klein und Dennis Rostel getötet zu haben, um zu verhindern, dass er entdeckt wird als der Mann, der sich über Jahre hinweg in Schullandheime, Jugendherbergen und auch Privathäuser geschlichen hat, um Kinder sexuell zu missbrauchen.

Sie fielen dem "Maskenmann" zum Opfer: der 1992 getötete Stefan J. (v.l.), der 2001 getötete Dennis K. und der 1995 getötete Dennis R.. (Foto: dapd)

Aber die Eltern, die in diesem Prozess vor dem Landgericht Stade als Nebenkläger auftreten, glauben nicht, dass das alles ist. Sie sehen Anhaltspunkte dafür, dass da noch andere Motive im Spiel waren - dass der Täter nicht nur aus Furcht vor Entdeckung getötet hat, sondern weil er sich an der Todesangst der Kinder ergötzt hat, oder vielleicht auch, weil er eine perverse Neigung hatte, sich mit den Leichen zu beschäftigen. Deshalb stellen sie viele bohrende Fragen an den Münchner Gerichtspsychiater Norbert Nedopil, der Martin N. begutachtet hat. Nedopil ist sich sicher: Martin N. ist pädophil, und er ist ein sehr auf sich bezogener Mensch, er kapselt sich ab, er hat keine Neigung, sich mit anderen Menschen emotional auseinanderzusetzen, ihm fehlt die Fähigkeit, mitzufühlen. Aber ein Sadist, einer, der seine Befriedigung aus Quälereien anderer bezieht - so einer, sagt der Psychiater, sei Martin N. nicht.

Pädophilie - also die sexuelle Neigung zu Kindern im vorpubertären Alter - sei ein Schicksal, sagt Nedopil, und heilbar sei diese Neigung nicht. Martin N. sei ein ängstliches, schüchternes Kind gewesen, das sich schon in der Grundschule zurückgezogen habe, vielleicht auch wegen eines Sprachfehlers. Als er in der Pubertät sein von den Altersgenossen abweichendes sexuelles Interesse entdeckte, habe das seine Abgrenzung verstärkt, aber darunter gelitten habe er nicht, im Gegenteil - er habe sich davor gefürchtet, dass andere versuchen könnten, in seine Welt vorzudringen.

Martin N. wollte unter allen Umständen verhindern, dass andere, und ganz besonders seine Mutter, davon erführen, dass er "etwas mit Kindern hat". Und so verbannte er diesen Teil seiner Persönlichkeit in die Finsternis, im wörtlichen Sinn. Tagsüber war er der fürsorgliche, kumpelhafte Sozialpädagoge, beliebt bei den Kindern, die ihm anvertraut waren, und denen gegenüber er sich nie etwas zuschulden kommen ließ, nachts ging er auf Tour, ungezählte Male, drang maskiert in Schlafräume ein und betastete Kinder an ihren Geschlechtsteilen, um sich später in der Erinnerung daran sexuell zu befriedigen.

Die Pädophilie, sagt der Psychiater, sei durchaus eine "schwere seelische Abartigkeit", die nach dem Gesetz zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit führen könne. Sie habe bei Martin N. aber nicht dazu geführt, dass seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war. Der "Maskenmann" hatte sich stets unter Kontrolle. Er konnte sein Tagesleben ohne Störungen führen, obwohl er ständig mit Kindern konfrontiert war, und er konnte auch, wenn er nachts vermummt unterwegs war, seine Taten jederzeit unterbrechen, wenn er gestört wurde oder wenn ein Kind sich zur Wehr setzte.

Immer wieder fragen die Anwälte der Nebenkläger nach, ob bei den Morden nicht doch mehr im Spiel war als Angst vor Entdeckung. Martin N. hatte im Internet Texte produziert, die auf sadistische Motive hindeuten, aber aus der tatsächlichen Durchführung der Taten gebe es keinerlei Hinweis auf solche Beweggründe, sagt Nedopil. Auch die Verteidiger bringen die sadistische Variante ins Spiel, aus anderem Grund - eventuell käme dann doch eine verminderte Schuldfähigkeit in Frage.

Staatsanwalt Johannes Kiers lässt sich auf solche Spekulationen nicht ein. Für ihn steht die volle Schuldfähigkeit des Angeklagten außer Frage. Er räumt ein, dass das Geständnis, das Martin N. bei der Polizei ablegte, wesentlich zur Aufklärung der Verbrechen beigetragen habe. An seiner Forderung, Martin N. zu lebenslanger Haft zu verurteilen, kann das nichts ändern. "Reue und Einsicht hat man vermisst", sagt er, "aber er hätte auch nichts sagen können, was seine Situation verbessert. Es ist so schrecklich, dass einem die Worte fehlen."

Kiers beantragt auch, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Damit würde verhindert, dass Martin N. schon nach 15 Jahren zur Bewährung entlassen werden kann. Außerdem solle der Angeklagte nach Verbüßung der Strafe in Sicherungsverwahrung genommen werden, obwohl das in der Praxis keine Folgen hätte. Denn für die Entlassung aus lebenslanger Haft gelten dieselben Kriterien wie für die Entlassung aus der Sicherungsverwahrung.

© SZ vom 26.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: