Prozess:Robin Hood im Kittchen

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Ein Bankangestellter verschenkt Geld, plündert das Konto seiner Freunde und zahlt selbst drauf: Das alles, weil er nicht "Nein" sagen kann. Jetzt muss er ins Gefängnis.

Bernd Dörries

Man kann es von zwei Seiten betrachten - und beide haben etwas für sich. Dragan V. sagt, er sei halt zu weich, zu nachgiebig und zu mitfühlend. Habe sich oft ausnutzen lassen. Freundlich und menschlich könnte man ihn auch nennen.

(Foto: Foto: dpa)

Vorhin, auf dem Weg ins Büro seines Anwaltes, habe ihm ein Lastwagenfahrer einen Zettel mit einer Adresse hingehalten, erzählt V. Der Fahrer kam aus Bulgarien und konnte kein Deutsch. Dragan V. konnte kein Bulgarisch.

Also habe er eine ausholende Handbewegung gemacht, sei in sein Auto gestiegen und habe den Lastwagenfahrer zehn Kilometer zum Ziel gelotst. Er hat noch nicht aufgehört zu helfen, trotz allem, was passiert ist.

Dragan V. ist 45 Jahre alt, gelernter Bankkaufmann und sitzt im Büro seines Anwaltes Markus Karl in Tauberbischofsheim. Er trägt ein gestreiftes Polohemd und kurzes Stoppelhaar.

Angeklagt in 168 Fällen

Die Vorkommnisse der vergangenen Jahre hat er noch nie öffentlich erzählt. Sein Anwalt hat ihm dazu geraten, es könne eine gute Übung sein, für den Prozess am nächsten Morgen.

Vor dem Landgericht Mosbach ist er wegen Untreue in 168 Fällen angeklagt, die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zwei Millionen Euro verschoben zu haben.

Dragan V. hat als Leiter Kunden-Center der Sparkasse Tauberfranken in Lauda über einen Zeitraum von sechs Jahren das Geld von etwas wohlhabenderen Kunden, auf die Konten der weniger begüterten transferiert.

Er hat sogar noch eigenes Geld drauf gelegt, bis keines mehr da war. "Ich hatte Mitleid mit Arbeitslosen und sozial Schwachen und wollte ihnen helfen." Eine Art modernen Robin Hood hat man ihn schon geheißen, Dragan V. will aber kein Held sein.

Im Supermarkt klopfte ihm einmal ein Fremder auf die Schulter, weil er "kein Verbrecher" sei. So etwas könnte gut tun, doch für Dragan V. ist jede Aufmerksamkeit "die Hölle". Er hat sich aus seinem Freundeskreis zurückgezogen - auch aus dem Gemeinderat, wo er für die Liste Umwelthilfe aktiv war. Man könnte fast sagen, er hat sich sein eigenes Gefängnis gebaut, lange bevor der Prozess begann.

Geld verdienen und Menschen helfen

Dragan V. kam 1970 mit neun Jahren aus dem damaligen Jugoslawien nach Lauda-Königshofen, einem kleinen Ort von 5000 Einwohnern in der Nähe von Tauberbischofsheim.

Nach der Realschule ging er zur Bank, lernte dort seine Frau kennen, sie heirateten, bekamen ein Kind, bauten ein Haus. Im Jahr 1998 wurde er Leiter des Kunden-Centers.

Es waren Zeiten des Aufschwungs und bei den großen Kreditinstituten stand der Privatkunde nicht hoch im Kurs, das große Geld wollte man nicht mit Kleinkunden machen. Diese Entwicklung drang bis nach Lauda und Dragan V. wollte beweisen , "dass man auch mit dieser Klientel Geld verdienen und gleichzeitig Menschen helfen kann". So stellt er es dar.

Er kann sich nicht mehr erinnern, wer der erste war. Vielleicht der 22-Jährige, der eines Tages zu ihm kam. Ein Hilfsarbeiter ohne Schulbildung, der überall seine Schulden verteilt hatte: Bei Banken und Versandhäusern. Nach den Richtlinien der Sparkasse hätte er nicht einmal ein Konto bekommen dürfen.

Dragan V. gab ihm sogar einen Kredit über 15 000 Euro. Der Mann bekam Krebs, verlor seine Arbeit, die Raten blieben aus. Etwa fünfzig solcher Fälle gab es, mal traf die Leute das Schicksal, mal wollten sie Dragan V. nur ausnutzen, es hatte sich herumgesprochen, dass es hier noch Geld gab, wenn woanders nichts mehr zu holen war. Seine Vorgesetzten schien das nicht sonderlich zu interessieren.

Am Schalter stand er Eltern gegenüber, die um zwanzig Euro bettelten, und éinem Selbstständigen, der einen Kredit von 60000 Euro bekam und ihn ziemlich schnell in den Sand setzte.

Dragan V. konnte nicht Nein sagen. "Ich ziehe diese Leute magisch an", sagt er. In seinem Computer hatte er ein System, das nach sechzig Tagen ohne Rateneingang eine Liste ausspuckte, nach neunzig wurden die Vorgesetzten alarmiert.

Löcher aus eigener Tasche gestopft

Dazwischen begann er, die Löcher zu stopfen, erst mit eigenem Geld, dann mit dem von anderen Kunden. Selbst engen Freunden plünderte er das Konto, stellte falsche Sparurkunden aus, wenn Nachfragen kamen.

Anfangs überwies er das Geld nur für kurze Zeit, glich die überzogenen Konten aus, damit ihm das System in Ruhe ließ und schleuste das Geld wieder zurück zu seinen eigentlichen Besitzern. Aber schon bald verlor er den Überblick.

Er kam Stunden vor Öffnung in die Bank, um alles am Laufen zu halten. Er veränderte sich. Wenn seine Frau fragte, was los sei, sagte er: "Stress in der Bank." Es war nicht einmal gelogen.

An Dreikönig 2006 wurde ihm klar, dass es nicht mehr weitergeht: Selbstmord oder Beichte seien die Optionen gewesen.

600 000 Euro Schaden

Am Donnerstag sitzt er im Landgericht Mosbach, der Staatsanwalt hält sein Plädoyer, spricht von "altruistischen Motiven" , aber auch davon, dass der Angeklagte sich mit der Verschleierung dem Tadel seiner Vorgesetzten entziehen wollte. Zu weich gegenüber den Kunden, zu ängstlich gegenüber dem Chef. Er fordert drei Jahre und sechs Monate.

Sein Verteidiger zählt auf, was für den Angeklagten spräche: Keine Selbstbereicherung, die Reue, der Versuch, den Schaden wieder gut zu machen. Er hat sein Haus verkauft und der Sparkasse Geld zurückbezahlt, auf etwa 600 000 Euro beläuft sich der Schaden für die Bank, bisher habe sie ihren säumigen Kunden nur ein paar freundliche Briefe geschrieben, sagt der Verteidiger.

Dann listet er noch Fälle auf, in denen es um Millionen gegangen sei: Peter Hartz und Manfred Kanther. Beide hätten nur Bewährungsstrafen gekriegt. Dragan V. wird vom Gericht zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Richter macht ihm Hoffnung auf baldigen Freigang, dann könne er wieder seiner Arbeit nachgehen. Dragan V. ist derzeit selbständiger Finanzberater. "Ohne Zugriff auf Konten", sagt er.

© SZ vom 15.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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