Provinzposse in Baden-Württemberg:Das Phantom von Pfronstetten

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Ein schwäbischer Ort versucht, seinen Bürgermeister loszuwerden, weil dieser nie anwesend ist. Einige Menschen in Pfronstetten hatten bereits Böses geahnt, denn Michael Waibel erhielt bei seiner Wahl 666 Stimmen - eine schöne Mehrheit, aber auch die Zahl des Teufels.

Bernd Dörries

Pfronstetten ist eine kleine Gemeinde auf der Schwäbischen Alb, die auf ihrer Internetseite damit wirbt, dass die Landschaft, der Ort und wohl auch seine Bewohner "rau, aber herzlich" seien. Vielleicht wirbt man auch gar nicht damit, vielleicht ist es eher eine Art Entschuldigung. Oder eine Warnung. Einem der beiden Gasthöfe haben sie den Namen "Zur Rose" gegeben, obwohl die eher karge Landschaft nicht für Rosen bekannt ist. Draußen auf der Wand steht in großen Buchstaben: "Fremdenzimmer". Nicht Gästezimmer.

Pfronstettens BürgermeisterMichael Waibel im Amtsgericht Münsingen (Foto: Foto: dpa)

An einem Tisch sitzen drei Männer und trinken Bier. Fragt man, ob man sich kurz dazusetzen darf, steht einer gleich auf, der andere sagt, er sei gar nicht von hier, und der dritte meint, die Sache gehe ihn nichts an. Was auch bedeutet, dass es den Fremden schon gleich gar nichts angeht. Dann schauen sie auf ihre Gläser. Einer sagt noch, den Bürgermeister habe man schon lange nicht mehr gesehen. Das ist die offizielle Stellungnahme des Stammtisches in der Rose zu Pfronstetten zu den Ereignissen.

Feuerwehr, aber kein Bürgermeister

Es kratzt wohl einfach am Stolz dieses Dorfes, das eine eigene Feuerwehr hat, viele Vereine und zwei Gasthöfe, aber keinen Bürgermeister, der ein Fest eröffnet und durchs Dorf stolziert. Sondern einen, der nicht da ist und Pfronstetten zum Gespött macht. Von drei Jahren seiner Amtszeit war Waibel laut der Gemeinde mindestens sieben Monate krankgeschrieben. Warum, weiß man in Pfronstetten nicht.

Das alte Haus gegenüber der Rose war früher das Schulhaus, dann wurde es umgebaut und das Rathaus zog ein. Im Dienstzimmer des Bürgermeisters im ersten Stock liegen überall Aktenhäufchen. Es sieht aus, als habe hier jemand eine Menge Arbeit. Nur war Bürgermeister Michael Waibel, 40, schon seit Monaten nicht mehr hier. Man hat alles unverändert gelassen. So, als sei jemand gestorben.

Das letzte Mal, dass zumindest einige Bürger Pfronstettens ihren Bürgermeister gesehen haben, war im Juli, sie sind sich im Flur des Amtsgerichts Münsingen begegnet. Und keiner hat den anderen gegrüßt. Rau war das Verhältnis schon lange, herzlich nie. Ein Dorf will seinen Bürgermeister loswerden, aber es weiß nicht, wie. Einmal forderte der Gemeinderat den Rücktritt des Bürgermeisters, woraufhin der Bürgermeister den Gemeinderat zum Rücktritt aufforderte.

Es wurde laut im Sitzungssaal. Die Gemeinderäte verließen unter Protest den Saal. Gebracht hat es alles nichts. Die baden-württembergische Gemeindeordnung sieht eine Abwahl des Bürgermeisters nicht vor. Waibel ist bis 2012 gewählt, momentan amtiert er nur auf der Internetseite der Gemeinde. Ein Mann mit wirren Locken und großen Schulterpolstern unterm Anzug.

Gewählt mit 666 Stimmen

Manche im Dorf hatten bereits Böses geahnt, als Waibel 2004 mit 666 Stimmen gewählt wurde. Eine schöne Mehrheit, aber eben auch die Zahl des Teufels. Ganz so schlimm wurde es nicht, aber schlimm genug.

Schon in der ersten Gemeinderatssitzung hielt Waibel es für eine gute Idee, mehr Gehalt zu verlangen. Wenig später begann er, die örtliche Waschanlage zu benutzen, ohne zu zahlen, als Bürgermeister stehe ihm das zu, schrieb er dem Inhaber. Rückblickend muss man sagen, dass das Verhältnis der Bürger zum Stadtoberhaupt damals gar nicht so schlecht war. Es war immerhin da, und man diskutierte noch miteinander.

An diesem Abend tagt der Gemeinderat im Rathaus. Zehn Gemeinderäte des 1600-Einwohner-Ortes sitzen an einem großen Tisch in großen Sesseln, die grün und angenehm gepolstert sind. Kleine Zeichen des Wohlstands. Der Haushalt wird erst beraten und dann verabschiedet.

Man könnte meinen, sie seien recht früh dran, aber es ist der Etat des laufenden Jahres, was den Gemeinderäten durchaus unangenehm ist. Der Bürgermeister hatte seinen Entwurf viel zu spät und fehlerhaft eingebracht. Er selbst hatte von dem Zahlengewirr ohnehin wenig Ahnung und ließ die Sache vom Kämmerer einer Nachbargemeinde zusammenstellen.

Der stellvertretende Bürgermeister Rudolf Beck leitet die Sitzung. Zwei Gemeinderäte seien entschuldigt, den Bürgermeister erwähnt er gar nicht. Nach dem ersten Tagesordnungspunkt bekommt er einen Zettel zugeschoben, auf dem ihm mitgeteilt wird, dass sich ein Fremder im Raum befindet, der Notizen macht. Es wird kurz ruhig im Rathaus von Pfronstetten, einige schauen sich um, dann geht man mit höchster Konzentration an die nächsten Punkte, die Bewirtschaftung der 170 Kilometer Feldwege, die Zuschüsse für die Schule.

Ganz in Weiß

Am nächsten Tag sitzt Beck in seinem Büro, gleich neben dem des Bürgermeisters. Das mit dem Zettel, sagt er, sei eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen. "Der Herr Waibel hat sehr gute Anwälte." Beck, 60, ist eigentlich der örtliche Förster, muss aber als stellvertretender Bürgermeister die Amtsgeschäfte führen, weil sein Vorgesetzter seit drei Monaten krank ist.

An diesem Tag endet mal wieder eine der vielen Krankschreibungsfristen, aber das Bürgermeisterzimmer bleibt geschlossen, am Morgen ging per Einschreiben eine neue Krankmeldung ein. Die Art der Erkrankung kennt man hier nicht. Waibel ist nicht zu erreichen. Im Dorf vermutet man, er sei Mitglied einer Sekte, weil er sich in der Freizeit immer komplett weiß kleide und einen seltsamen Gesichtsausdruck habe.

Beck sagt, er habe gleich ein schlechtes Gefühl gehabt. 2004 starb der junge Bürgermeister, den viele bis heute verehren, bei einem Motorradunfall, die Stelle wurde ausgeschrieben, es meldeten sich drei Kandidaten. Waibel hatte als Einziger etwas Verwaltungserfahrung und wurde gewählt. Er stammt aus einem Dorf fast 80 Kilometer entfernt und wollte eigentlich nach Pfronstetten ziehen.

Nach der ersten Sitzung des Gemeinderats war das Bild des verstorbenen Bürgermeisters plötzlich von der Wand im Sitzungssaal verschwunden. Der neue Amtsherr hatte es entfernen lassen. Der erste Streit, dem viele folgten. Auf erste Kritik an seiner Amtsführung in einer örtlichen Zeitung reagierte Waibel mit einer langen Liste seiner Tätigkeiten. Viele mit dem Zusatz: "mit meiner ganzen Familie". Die Frau des neuen Bürgermeisters beschwerte sich, die Bewohner reagierten sehr rau auf sie, so gar nicht herzlich.

Rauer Ton im Rathaus

Der neue Bürgermeister brachte seine Kinder mit zu Sitzungen, abends um zehn Uhr riefen sie: "Papa, es ist Zeit." Der Bürgermeister klappte dann die Akten zusammen und verschwand. Oft habe man tagelang nicht gewusst, wo er sich befand, sagt Beck. Briefe verschwanden, es ging nichts mehr voran. Der Ton im Rathaus wurde rauer, von Mobbing ist die Rede.

Drei Mitarbeiter erkrankten, weil Waibel ihnen so zusetzte, manche mussten in psychiatrische Behandlung. Der Bürgermeister stand ohne Mitarbeiter da. Das machte er im Gemeindeblatt bekannt, mit dem Hinweis, man könne so nicht arbeiten. Kurz darauf ließ er sich krankschreiben.

Im Juli wurde Waibel der Prozess gemacht, einige im Dorf hofften, der Spuk würde nun ein Ende haben. Waibel war wegen versuchter Nötigung, Vorteilsannahme und der Verletzung von Dienstgeheimnissen angeklagt. Wegen der Sache mit der Waschanlage und der Veröffentlichung der Namen der kranken Kollegen. Das Gericht sah es zudem als erwiesen an, dass der Bürgermeister Briefe an Gemeinderäte und die Kommunalaufsicht vernichtet hat und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 7200 Euro. Für eine Amtsenthebung reicht das alles nicht.

Im Landratsamt Reutlingen arbeitet man daran, Waibel in vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Es ist die letzte Hoffnung des Dorfes und vielleicht auch der geheime Plan seines Bürgermeisters.

© SZ vom 05.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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