Pizza-WM:Italien sucht den Pizza-Star

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400 Grad im Backofen und Seeigel als Belag: Bei der Weltmeisterschaft der Pizzabäcker in Salsomaggiore treten die Cracks der Branche gegeneinander an.

Titus Arnu

So ein Käse. Da läuft ja wirklich alles schief bei Kazuya Akaogi. Erst findet er seine wichtigste Zutat nicht mehr, die Sojasauce. Dann lässt er vor lauter Aufregung einen Seeigel auf den Boden plumpsen. Und jetzt ist auch noch der Teig angebrannt.

Ein bisschen dunkelbraun soll der Boden ja sein, er darf auch leicht nach verbranntem Holz schmecken. Aber schwarz geschmort und rauchend sollte er nicht gerade auf den Teller kommen.

Rund um Kazuya riecht es nach verbranntem Fisch. Die italienischen Schiedsrichter können sich das Grinsen und ein paar hämische Sprüche nicht verkneifen.

Der japanische Kochkünstler aber ist verzweifelt. Da hat er die lange Reise von Japan nach Norditalien gemacht, um an den Pizza-Weltmeisterschaften teilzunehmen, und jetzt so ein Pech. Kazuya ist in der Disziplin "Freistil" angetreten - eine andere wäre mit seinem Rezept auch kaum möglich. Seine Pizza ist mit Seeigeln, Algen und gekochten japanischen Sojanudeln belegt. Das Ganze garniert er mit viel grünem Sprossenzeugs und kaschiert Brandblasen mit Majonäse.

Knusprig oder dick?

Seeigel? Majonäse? Sojasauce? Was auf eine Pizza gehört, ist Geschmackssache, aber irgendwie hätte der japanische Kandidat sich ausrechnen können, dass die Preisrichter - hohe Funktionäre der Pizza-Branche - sich von so einer abenteuerlichen Zusammenstellung schwerlich begeistern lassen. Zumal sie drei Tage lang nichts anderes machen als Pizza zu probieren, um herauszufinden, welche davon am besten schmeckt und am schönsten aussieht.

Aber was ist eigentlich genau eine gute Pizza? Soll sie möglichst knusprig und flach sein wie in Rom, möglichst dick und reich belegt wie in den USA oder möglichst schlicht, groß und würzig wie in Neapel? In Neapel wurde angeblich die Pizza erfunden, vor 150 Jahren etwa. Ein flacher, runder Teigboden, an den Rändern knusprig gebacken und in der Mitte elastisch, darauf Tomaten, Mozzarella und ein paar Gewürze - basta.

Zu Ehren der Königin nannten die Neapolitaner die Ur-Pizza "Margherita". Seitdem hat sich das Angebot stark diversifiziert - die Bandbreite reicht von der glutenfreien Öko-Pizza mit organisch angebauten Biozutaten über die Pizza Hawaii mit Ananas bis zur flambierten Gourmet-Pizza mit Creme fraiche, karamellisierten Zwiebeln und Safran.

"Die WM ist das wichtigste Pizza-Ereignis überhaupt", erklärt Andrea Bosio, Pizzaiolo aus Turin, "wenn du hier gewinnst, geht dein Geschäft gleich zehnmal besser." Schließlich sind Fernsehteams von RAI1 und RAI3 da, Reporter aus Finnland und Japan sind angereist, die internationale Pizza-Fachpresse berichtet ausführlich.

Bei der Pizza-WM in Salsomaggiore Terme, einer kleinen Kurstadt in der Nähe von Parma, kämpfen 350 Pizzaioli aus der ganzen Welt um Weltmeistertitel in verschiedenen Kategorien.

Gesucht werden: die beste klassische runde Pizza, die beste quadratische Blechpizza, die phantasievollste Freistilpizza, die beste Pizza Napoli, die größte Pizza, die am schnellsten gebackene Pizza - und zusätzlich gibt es noch Akrobatik-Wettbewerbe, bei denen die Pizzabäcker den Teig möglichst spektakulär in der Luft herumwirbeln.

Bei den Auftritten der Akrobatik-Nationalmannschaften geht es um möglichst synchrone Teigbewegungen. Diesmal treten Teams aus Italien an, aber auch aus den USA, Japan, Frankreich, Österreich, Polen, der Schweiz, Syrien, Dubai, Finnland, Marokko und Deutschland.

Es brodelt und blubbert

Das japanische Team ist mit einer ganzen Busladung Fans aufgelaufen. Die Schlachtenbummler schwingen auf der Tribüne der Sporthalle von Salsomaggiore frenetisch Fahnen, trommeln und feuern ihre Champions an. Der Stadionsprecher kommentiert jede Käsehobel-Bewegung, als stehe ein Elfmeter bei der Fußball-WM an.

Die Franzosen haben einen Eiffelturm aus Pizzateig gebacken, mit dem sie Runden durch den Sportpalast drehen. Die Italiener kontern mit einem schiefen Turm aus Pizza, von dem man nicht probieren darf - die Einsturzgefahr ist zu groß. Draußen auf dem Parkplatz üben die Teig-Akrobaten kühne Luftbewegungen und Salti für die große Gala am Abend. Die Halle brodelt und blubbert, es riecht nach geschmolzenem Parmesan, Holzkohle und Tomatensauce.

Das Geschehen konzentriert sich auf vier Öfen, die von den Schiedsrichtern mit Holz beheizt und ständig auf ungefähr 320 Grad gehalten werden, damit alle Teilnehmer die gleichen Bedingungen haben. Nur der Ofen für die Pizza Napoletana (Tomaten, Sardellen, Mozzarella) ist heißer, etwa 400 Grad, weil der dünne Teig ganz schnell durch sein soll.

Tony Gemigani vom amerikanischen WM-Team traut der Sache nicht ganz und hat deshalb einen Assistenten dabei, der ständig mit einem Laser-Thermometer in den Backofen hineinmisst und erst anfangen will, als der Ofen exakt die gewünschte Temperatur hat. Während nachgeheizt wird, bereitet er den Teig vor, walkt ihn aus, lässt ihn auf den Fingerspitzen kreisen und stäubt ihn mit Mehl ein.

Er macht eine interessante Pizza mit Parmaschinken, Parmesan und Feigenmarmelade. Bei der Jury führt diese Kombination erst zu hochgezogenen Augenbrauen, dann zu anerkennendem Nicken. Dale Barber kommt aus einem Ort namens Sligo in Irland und experimentiert mit Pesto, Camembert und karamellisiertem Gemüse. Das Ergebnis nennt er "Pizza Michelangelo", die Jury verspeist sie bis auf das letzte Zwiebelchen - ein gutes Zeichen.

Keith Yonker und Jim Casaburo, beide aus Indianapolis angereist, treten in roten Rennoveralls auf, die mit ihrem Teamabzeichen, der US-Flagge und Ferrari-Emblemen verziert sind, so etwas kommt gut an in der Ferrari-Heimat. Sie machen eine Pizza Rustica mit viel Mozzarella, Speckstreifen, Rucola, Zwiebeln und Lollo Rosso. Die duftende Pizza montieren sie mitsamt Teller auf einen Rennfahrerhelm und sausen damit zur Jury.

Salvatore Chierchia aus Kalabrien verzichtet auf solche Mätzchen. "So einen Quatsch brauch' ich nicht", brummelt er, während er Parmesan hobelt. Als einzige Extravaganz hat er sich einen hohen Hut in den Nationalfarben Italiens geleistet, grün, weiß, rot. "Und genau so muss eine Pizza auch aussehen", sagt er, "grün, weiß, rot". Basilikum, Käse, Tomaten, das verwendet er als Belag.

Was also ist eine gute Pizza? "Hauptsache, man hat sie mit Liebe für die Leute gemacht, die sie essen sollen", sagt Andrea Bosio, "und dazu muss man nicht unbedingt Italiener sein." Das tröstet alle Nicht-Italiener, die in den klassischen Disziplinen keine Chance haben gegen die Konkurrenten aus dem Mutterland der Pizza. Auch Kazuya Akaogi hört so etwas gerne. Er will wiederkommen. Ob er das nächste Mal wieder Seeigel-Pizza macht, weiß er noch nicht.

© SZ vom 6.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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