"Pimp my Fahrrad":Cruisen statt Rasen

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Der neue Trend zur Langsamkeit: Freizeitradler sind neuerdings eher an Design und Luxus interessiert als an superschnellen Rennmaschinen - besonders beliebt ist das individuelle Aufmotzen der Räder.

Titus Arnu

Bis zu fünfzig Liter Blut pro Minute pumpen Spitzenfahrer bei der Tour de France durch die Blutgefäße. Energieaufwand und Flüssigkeitsverlust der Profi-Radsportler sind enorm: Bei schweren Bergetappen verbrauchen die Athleten bis zu 8000 Kilokalorien und verlieren bis zu zwölf Liter Wasser.

Und so eine Quälerei soll der Anreiz sein für Freizeitsportler, sich eine teure Rennmaschine zu kaufen? Eigentlich wirkt es wenig verlockend, sich so abzustrampeln wie die Tour-Profis. Der Hobby-Rennrad-Boom ist durch die Doping-Skandale im Profiradsport ziemlich gebremst worden. Jan Ullrich und Lance Armstrong taugen nicht mehr als Motor der Fahrrad-Industrie, und immer mehr Freizeitradler fragen sich: Was soll der ganze Stress?

Der Gegentrend zum Turbo-Trampeln zeichnet sich schon seit ein, zwei Jahren ab. Statt ultraleichter Carbon-Rennmaschinen und hochgerüsteter 27-Gang-Mountainbikes mit Vollfederung legen sich Freizeitradler mittlerweile lieber altmodische Hollandräder, praktische Falträder für die Stadt oder coole Design-Bikes im Retro-Look zu. Das Ziel heißt nicht mehr Leistungssteigerung, sondern Imagegewinn. Das Motto: Cruisen statt Rasen.

Mehr als 60 Millionen Räder in Deutschland

Der Fahrradindustrie kommt dieser Trend gerade recht. Denn alle paar Jahre muss das Rad sozusagen neu erfunden werden - nach dem Rennrad, dem BMX-Rad, dem Mountainbike und dem Trekkingrad ist nun eben das Retro-Rad dran.

Dass 96 Prozent aller deutschen Familien nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bereits mindestens ein Fahrrad besitzen, muss nicht gegen die Entwicklung neuer Produkte sprechen. Es gibt zwar schon 63,3 Millionen Fahrräder im Land, aber viele Menschen sind offenbar bereit, sich ein Zweit- oder Drittrad zuzulegen.

80 Prozent aller Räder, die in Deutschland verkauft werden, sind nach Angaben der IFMA, der größten Fahrrad-Fachmesse Europas, Räder für Normal-Fahrer. Bei der letzten IFMA im vergangenen Herbst präsentierten die Aussteller vor allem leichte City- und Falträder. Mit dem guten alten Klapprad haben die neuen Modelle wenig zu tun. Die Designer-Falträder sind alles andere als klobig und lassen sich innerhalb von Sekunden zusammenlegen.

2000 Euro teure Mountainbikes dagegen wirken für die Fahrt ins Büro nicht nur etwas übertrieben, sie werden auch eher geklaut. "Wer braucht schon eine 27-Gang-Schaltung außer einem Leistungssportler", fragt sich Petar Desnica, "eine 7-Gang-Schaltung reicht doch völlig!"

Pimp my Fahrrad

Der 24-jährige Regensburger Jungunternehmer betreibt zusammen mit seinen Kollegen Manuel Ostner und Daniel Ott eine Firma namens Pimpgarage. In acht Filialen in Deutschland bieten Desnica und Kollegen Räder an, die entfernt an Harley Davidsons erinnern - die Dinger haben lange, weit geschwungene Lenker, tiefe, breite Sattel, und vor allem viele Chrom-Zierteile.

Für etwa 500 Euro gibt es allerdings nur das nackte Fahrrad. Der eigentliche Spaß beginnt mit dem "Pimpen", dem Aufmotzen des Geräts. Die Zubehörliste ist lang: Spezialisten bieten Ventilkappen in Totenkopfform an, Chopper-Lenker und Pseudo-Auspuff.

Seit der Musiksender MTV die Sendung "Pimp my Fahrrad" zeigte, gilt das Herumschrauben am Fahrrad plötzlich nicht mehr als spießig. Die Kunden der Pimpgarage - 95 Prozent von ihnen sind Männer zwischen 20 und 30 - sehen ihr Rad vor allem als Imageträger, weniger als Personen- und Gepäckträger.

"Go slow and say hello."

Das war vor ein paar Jahren noch anders. Die Biker bevorzugten den wendigen, schnellen Flitzer, mindestens 21 Gänge, schmale Räder, und ab die Post. Wer eine schwere Maschine mit dicken Reifen hatte, galt als antiquiert. Neuerdings scheint angesagt zu sein, was die amerikanische Fahrradbewegung schon vor Jahren propagierte: "Go slow and say hello."

Eine Fortbewegungsphilosophie, die für deutsche Städte gut geeignet scheint. In Zukunft sollen die Fahrräder noch leichter und bequemer werden. Kohlefaser-Bauteile lösen die schweren Federgabeln ab. Auch das Schalten soll leichter werden; einige Hersteller bieten sogar eine Automatik für das Fahrrad an.

Ganz locker kann der Radfahrer es sich mit Elektro-Bikes machen, die mittlerweile schon für weniger als 1000 Euro zu haben sind. Nachdem das Mofa fast völlig ausgestorben ist, könnten moderne Räder mit Hilfsmotoren gerade für Jugendliche attraktiv werden. Für die Fahrzeuge braucht man keinen Führerschein und keine Zulassung.

Auch die Pimpmeister von der Pimpgarage bringen demnächst einen Elektro-Cruiser auf den Markt. Das Fahrrad sieht aus wie eine Schrumpf-Harley für Zweirad-Anfänger. Über einen Naben-Dynamo wird Strom gewonnen, der einen Hilfsmotor antreibt. Die "Flash Escobar" wird 30 bis 40 Stundenkilometer schnell sein. "Damit kann man auf Dauer jeden Hobby-Rennradler abhängen", verspricht Pimp-Chef Desnica, "und zwar ohne zu schwitzen".

© SZ vom 22.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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